Montag, 12. Mai 2008

Respekt? Welcher Respekt?

Jaja, man muß andere Meinungen respektieren. Rücke einem Subjektivisten diskussionsmäßig zu Leibe und früher oder später wird er mit diesem Respektargument daherkommen. Sozusagen als Ausweichstrategie wenn ihm beim Diskussionsthema die Argumente ausgegangen sind. Er könnte genausogut sagen: Laß mich in Ruhe! Bloß klingt das zu sehr wie eine Niederlage. Folglich versucht er einen Vorwurf daraus zu stricken, nämlich den der Verletzung einer ethischen Regel: Daß man die Meinung seines Gegenüber respektieren müsse.

Muß man das wirklich?

Es gibt eine ganze Reihe von Meinungen die ich nicht respektiere. Die ich weder respektieren will noch kann. Und ich habe dabei nicht das geringste schlechte Gewissen, und weiß auch nicht weswegen ich eins haben sollte.

Ich respektiere zum Beispiel keine Ignoranz, und damit auch keine Meinung die sich aus Ignoranz speist. Zum Beispiel wüßte ich keinen Grund warum ich die Meinung respektieren sollte, 2 + 2 ergebe 5. Ich weiß daß das falsch ist. Nachweislich falsch. Wenn es jemand anders sieht, dann sollte er schon verdammt gute Argumente dafür haben, andernfalls Pech für ihn.

Bei der Mathematik ist das natürlich wegen der klaren Beweislage am einfachsten zu beurteilen, aber auch bei weniger gut bewiesenen Themen verweigere ich meinen Respekt, wenn die Meinung zu bescheuert ist. Leute, die mir weismachen wollen, andere Rassen seien minderwertig, die Erde sei vor 6000 Jahren erschaffen worden, Homosexualität sei unmoralisch, oder ähnlichen Unfug, haben keinen Anspruch auf meinen Respekt.

Respekt muß verdient sein. Ich teile ihn nicht mit der Gießkanne aus.

Schon gar nicht bekommt meinen Respekt, wer ihn bei mir einfordert, während er sich als unfair behandeltes Opfer darstellt. Besonders wenn das offensichtlich eine Ausweichstrategie ist. Und erst recht wenn er dabei die Sachlage kraß verzerrt.

Im Hifi-Forum ist das wieder mal (zum x-ten Mal) Diskussionsthema hier und auch hier. Jämmerlich. Immer wieder die gleiche schablonenhafte Ignoranz der Subjektivisten, die sich auf ihren Außenseiterstatus noch was zugute halten. Die sich standhaft weigern, Argumente auf die sie nichts zu entgegnen wissen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, auch nach mehrfacher Aufforderung, dazu etwas zu sagen. Die auch nach ausdrücklicher Erwiderung ohne irgendwelche konkrete Untermauerung ihren Diskussionsgegnern Aussagen und Positionen unterschieben, die so nie gefallen sind, und erkennbar unsinnig sind. Das ganze eristische Diskussionsrepertoire eben.

Da kann man von mir noch so oft Respekt einfordern, vor solch windelweichem Gebaren habe ich keinen.

Mit Meinungsfreiheit hat das übrigens nichts zu tun. Meinungsfreiheit heißt nur daß man seine Meinung frei äußern darf. Daß dafür irgend jemand Respekt aufzubringen hat bedeutet es nicht. Und wenn meine Meinung anders aussieht genieße ich die gleiche Meinungsfreiheit. Wenn meine Meinung ist, daß Du Schwachsinn redest, warum sollte ich das nicht frei sagen dürfen?

Und wie sollte ich in einem Forum, in dem ich ein gleichberechtigter Benutzer ohne Sonderrechte bin, die Meinungsäußerung Anderer unterdrücken? Ich kann mit meinen Artikeln die Behauptungen anderer in Grund und Boden argumentieren, aber verhindern daß diese Behauptungen geschrieben werden kann ich nicht. Und ich beeile mich hinzuzufügen: Das will ich auch nicht!

Meinungsfreiheit ist, daß jemand seinen Unsinn frei verbreiten darf. Meinungsfreiheit ist aber auch daß ich diesen Unsinn nach allen Regeln der Kunst auseinander nehmen darf, egal ob demjenigen das nun paßt oder nicht.

Von daher wär's mir lieber wenn die Subjektivisten ihr armseliges Gejammer einstellen würden und zum Thema zurück kämen. So könnten sie meinen Respekt für ihre Meinungen steigern, mit dem Einfordern von Respekt nicht.

Womit man meinen Respekt auch steigern könnte wäre wenn man demonstriert daß man bereit ist sich mit meinen Argumenten zu beschäftigen. Ja, es würde oft schon reichen wenn man erkennen ließe daß man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. Aber oft genug ist das Gegenteil der Fall.

Ich finde es respektlos, wenn man einem Diskussionsgegner noch nicht einmal zeigt das man sein Argument gelesen und aufgenommen hat. Ihm damit wortlos signalisiert: Was Du schreibst kann mir gestohlen bleiben. Oder wenn man keine Gelegenheit ausläßt, dem Diskussionsgegner das Argument nach seinem Gusto zu verbiegen, umzudrehen, ins Absurde zu übersteigern, oder mißzuverstehen. Alles das sind Anzeichen von Ignoranz, und die respektiere ich eben nicht.

Ist das missionarisch?

Das ist mir ehrlich gesagt egal. Es wird sowieso als Kampfbegriff benutzt. Für mich bedeutet der Begriff den Versuch, jemand Anderen von etwas zu überzeugen für das es keine vernünftige Grundlage gibt, und das ohne die Bereitschaft, sich seinerseits zu überzeugen zu lassen. Für das was ich vertrete meine ich eine durchaus tragfähige vernünftige Grundlage zu haben und ich lege sie auch in aller Regel offen. Zudem kann man mich von etwas anderem durchaus überzeugen, bloß sicher nicht mit grundlosen Behauptungen. In meinen Augen bin ich damit kein Missionar. Aber das wird diejenigen, die auf der Suche nach irgendetwas sind, das sie mir um die Ohren hauen können, sicher nicht hindern.

Habe ich verdeckte Motive?

Möglich. Wenn ich wüßte was mein Unterbewußtsein will dann wäre es nicht unterbewußt. Meine bewußten Motive sind aber nicht verdeckt, und ich meine die reichen auch um zu erklären warum ich mich im Hifi-Forum ins Getümmel stürze.

Die haben was mit meinem Job und meiner Hifi-Vergangenheit zu tun. Ich war auch mal Leser der einschlägigen Hifi-"Fach"zeitschriften, und habe eine Zeitlang geglaubt was ich las. Das ist 20 Jahre her, und es hat immerhin nicht lange gedauert bis ich begriffen habe daß das Humbug ist. Dieser ganze subjektivistische Esoterik-Mist hat schon damals angefangen, und ist seitdem nur noch schlimmer geworden. Jede zweite Ausgabe von Stereoplay war mal wieder die Sensation perfekt und neue Klangwelten haben sich aufgetan. Je mehr ich über die Technik dazugelernt habe desto bescheuerter kam mir dieses Geschwurbel vor. Schließlich habe ich's nicht länger ertragen und das Abo gekündigt, obwohl ich immerhin die Plattenkritiken vermißt habe. Für 15 Jahre ist mir dadurch nicht nur die Fachblatt-Szene, sondern darüber hinaus auch die Hifi-Szene zum Hals raus gehangen, mir schien die ganze Branche infiziert.

Tontechnik habe ich trotzdem zu meinem Beruf gemacht, aber im professionellen Bereich, in dem es nach meiner Beobachtung damals wie heute wesentlich nüchterner zugeht. Einesteils weil man da seine finanziellen Entscheidungen etwas besser rechtfertigen muß, andernteils weil man da im Durchschnitt einen höheren Anteil an Leuten antrifft die eine Ahnung von dem haben womit sie umgehen.

Ich habe auch heute noch keine Ambitionen, mich beruflich mit der Hifi-Szene zu beschäftigen, aber mir wurde vor einigen Jahren immerhin klar daß ich aufgrund meiner Erfahrung und meines Wissens einerseits, und meiner Unabhängigkeit von dieser Branche andererseits, gut "positioniert" bin um gegen den geballten Blödsinn anzugehen, der in Tateinheit von den Fachmedien und den Herstellern, und im Gefolge auch zahlreichen "Enthusiasten" auf die Leute losgelassen wird. Und mir wurde klar daß ich nach 15 Jahren aufhören muß in der Schmollecke zu sitzen, daß sich nur was ändert wenn man auch was tut, und daß es außer mir noch einen Haufen Andere geben muß die ähnlich denken. Zumal die Verhältnisse in der Hifi-Branche das Thema allgemeinen Gespötts der Profi-Szene waren. Es war schlicht undenkbar daß sich alle vernünftigen Leute in der Profiszene befinden und die Ahnungslosen in der Hifi-Branche.

Es ist außerdem schizophren, mit seiner Arbeit einer Profiszene dienlich zu sein, die letzlich ihrerseits Produkte für den Hifi-Benutzer macht, wo dann alles nach ganz anderen Kriterien abläuft. Wozu macht man Studiotechnik möglichst perfekt wenn der Endkunde das damit erstellte Produkt dann über einen sinnfreien Verstärker und furchtbar unausgewogenen Lautsprechern in einem dem Zufall überlassenen Raum abspielt, und dabei noch meint er wüßte es besser als die ganzen Profis, die im Gegensatz zu ihm tatsächlich was Vernünftiges gelernt haben, statt 10 Hörsitzungen bei Hifi-Händlern für Wissen, und sein Gehör für unbestechlich zu halten?

Ich habe auch gemerkt daß der Subjektivismus eben doch in die Profiszene einsickert. Langsam zwar aber merklich. Das mag auch was damit zu tun zu haben daß es einen stark wachsenden Semipro-Anteil gibt, also Leute die meinen sie seien Profis wenn sie ein 8-Kanal Behringer-Mischpult und ein T-Bone Mikrofon haben. Mehr und mehr hat sich bei mir der Eindruck verbreitet daß dieser Esoterik-Kram auch in Profi-Kreisen "salonfähig" wird. An der Stelle betrifft es eben auch mich. Ich will nicht in die gleiche Lage kommen in der sich seit 20 Jahren ernstzunehmende Hersteller von Hifi-Komponenten befinden: Mit den Wölfen zu heulen oder sich gegen einen schwer aufzuhaltenden Trend zu stemmen.

Was hat man in den letzten 20 Jahren als Hifi-Hersteller getan wenn man eigentlich den ganzen Esoterik-Kram für Unfug gehalten hat? Wie kommt man überhaupt an seine Kunden wenn die gesammelte Flachpresse ins gleiche Horn bläst? Wohlgemerkt, das war weit vor der Internet-Revolution. Der Kunde von Hifi-Geräten hat damals fast unvermeidlicherweise zu den Fachzeitschriften gegriffen. Und wenn er da unisono den gleichen - pardon - Scheißdreck liest fängt er an das zu glauben. Ging mir ja selber so, und ich bin erstens relativ kritisch und zweitens technisch vorgebildet. Und wenn da anscheinend Alle irgendwelche Unterschiede hören, man selber aber ehrlicherweise nicht, dann hat man folgende Möglichkeiten:
  • Man hält sich für gehörmäßig minderbemittelt. Umso ehrfürchtiger sieht man die die so etwas tatsächlich hören.
  • Man akzeptiert daß man nicht genug in seine Anlag investiert hat um so weit zu kommen. Nachdem aber die "Autoritäten" auch in der Klasse in der man selber "spielt" mühelos unterscheiden können, ist das nicht so recht glaubwürdig.
  • Man fängt an, sich emotional in diese Unterschiedhörerei hineinziehen zu lassen, und alles als bedeutend aufzufassen was man vorher als Vorübergehend aufgefaßt hat. Das muß man aber an seinem Verstand vorbei tun, wenigstens wenn man meine Sorte Verstand hat.
Kann ich irgendwie nicht. Paßt alles nicht. Ich beneide diejenigen ernsthaften Hersteller, die es schaffen, sich eine ehrenwerte Haltung in dieser Welle von Bullshit zu bewahren. Die es verstehen in einer Umgebung zu überleben, die von ihnen geradezu zu verlangen scheint, sich vor dem Altar der Subjektivität zu verbeugen, und die gleichen Worthülsen von sich zu geben die zum Standardrepertoire der Branche gehören. Das stelle ich mir so schlimm vor wie bei einem atheistischen Präsidentschaftskandidaten in den USA, der religiöse Standardfloskeln von sich gibt weil er weiß daß er sonst keine Chance hätte, gewählt zu werden. Zwang zum Heucheln, igitt!

Die Ironie ist, daß man in dieser Branche offenbar die größten Subjektivisten auch für die "mutigsten" Außenseiter hält. Wenn man einen Tuning-Lack für sündteures Geld anbietet, der unterschiedslos auf fast alles gepinselt enorme Verbesserungen bewirken soll, mit haarsträubenden Erklärungen beworben, findet man größeres Echo in der Szene als wenn man versucht, das Fähnchen der Rationalität hochzuhalten. Dabei wäre die einzig angebrachte Reaktion auf solche hemmungslose Verarschung ein Tritt in den Allerwertesten.

Dafür Respekt? Nicht von mir!

Was im Moment passiert, nicht zuletzt durch das Internet, ist keineswegs die Unterdrückung der Subjektivisten. Deren Meinungsfreiheit ist nicht in Gefahr. Es geht darum der Stimme der Rationalität überhaupt erst wieder Gehör zu verschaffen. Ein Klima zu schaffen in dem man sich als Hersteller auch trauen kann ehrlich zu sein, ohne dadurch einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil zu haben. Ein Klima in dem sich der Kaufwillige auch neutral informieren kann und nicht den Eindruck gewinnt, die esoterische Erklärung der Welt sei die Einzige in dieser Branche. Ein Klima in dem keiner sich schämen muß oder Schmähungen anhören muß wenn er "weggezogene Vorhänge", "enorme Klangsteigerungen", "aufgehende Sonnen" und dergleichen nicht hört. Ein Klima in dem nicht als selbstverständlich hingenommen wird was bei näherer Betrachtung nicht nur der technischen Erkenntnis sondern auch dem gesunden Menschenverstand widerspricht.

Die Subjektivisten haben die letzten 20 Jahre das Spielfeld beherrscht. Es war höchste Zeit das zu ändern, und es ändert sich auch inzwischen merklich. Wer damit ein Problem hat kann's meinetwegen behalten. Am besten er behält dann sein Respekt-Gejammer auch gleich für sich.

1 Kommentar :

Unknown hat gesagt…

Der Artikel ist klasse geschrieben und trifft das Problem im Kern. Leider ist so gut wie keiner der Geräteklang-Freunde (es gibt ja schließlich mehrere Abstufungen unter den High-Endern) bereit, selbst nach einem Blindtest (durch den sie selbstverständlich durchgefallen sind) zuzugeben, dass es wohl echt keine Unterschiede gibt. Dazu ist die Verlockung, den Klang mithilfe von teurer Elektronik verbessern zu können einfach zu groß. Schließlich darf man aufgrund der "Regierung" (bzw. Frau) keinerlei Raumakustikmaßnahmen im kahlen, befließten Wohnzimmer durchführen. Also muss die Verbesserung woanders herkommen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass man sich die sündhaft teuren Geräte ja bereits hat aufschwätzen lassen und da ist es natürlich bitter, zuzugeben, dass das alles "fürn Arsch" war. Was zudem traurig ist, ist die extreme Überzeugung des eigenen, göttlich gesegneten Gehörs. Selbst wenn die größten High-End-Alphamännchen einen Blindtest nicht bestehen, muss man diese Tests mit jedem einzelnen Anhänger durchführen, da den Tests mit anderen kein Glauben geschenkt wird. Falls dann am Ende die Argumente ausgehen, kommt man als echter High-Ender mit der mangelnden Erfahrung des Gegenüber. Als wüsste jemand, der 60 Jahre lang Auto gefahren ist mehr über den Motor, als der 23 Jahre alte Konstrukteur... einfach traurig die Hifi-Szene und ihr Gebahren.