Donnerstag, 1. November 2012

Stereoplay-Verstärkermessungen, fünfter Versuch

Ich war dieses Jahr nicht auf der High-End in München, aber vielleicht hätte ich hingehen sollen, denn wie ich inzwischen mitgekriegt habe (jaja ich weiß: ziemlich spät), sind die dubiosen Verstärkermessungen der Stereoplay wieder aus der Versenkung aufgetaucht, nämlich in der Form eines neuerlichen Vortrags von Peter Schüller, dem Laborleiter der Testfactory, dem von der Stereoplay beauftragten Meßlabor in Stuttgart. Kurioserweise findet man die schriftlichen Unterlagen auf der Webseite der Firma Burosch, ich war aber erfolglos auf der Seite der Stereoplay und der Testfactory auf der Suche.

Wenn man sich die ganzen Kontroversen in Erinnerung ruft, die es um diese Messungen vor einigen Jahren gab (siehe dazu hier, hier, hier, hier und hier), dann wird natürlich interessant, zu sehen was sich an der Darstellung inhaltlich getan hat. Speziell, ob man die damals geäußerte massive Kritik in irgendeiner Form berücksichtigt findet. Nicht, daß ich angesichts der bisherigen Verhaltensweisen der Stereoplay-Vertreter da irgendeine Hoffnung hätte, die Fortsetzung der Totalverweigerung ist da sicher die wahrscheinlichste Annahme. Aber sehen wir uns das ruhig mal im Einzelnen an.

Schüller möchte den Bezug zur sog. "Stereoplay-Klirrtheorie" herstellen, die in den 80er Jahren von Stereoplay-Redakteur Johannes Maier formuliert wurde. Sie besagt daß gut klingende Verstärker ein Klirrspektrum haben, bei dem die höheren Harmonischen eine abfallende Stärke haben. Insofern der Klirr so stark ist daß er hörbar wird, ist das auch leicht nachzuvollziehen. Daß höhere Harmonische unangenehmer klingen als niedrige Harmonische, und deswegen auch schneller stören, war auch schon 1985 jahrzehntelang bekannt.Entsprechende Aussagen habe ich schon in der Literatur der 50er Jahre gefunden, als es noch keine Transistorverstärker in der HiFi-Technik gab. Die Theorie ist also wohl kaum auf dem Stereoplay-Mist gewachsen, und es war dazu anscheinend auch kein moderner Spektrumanalysator nötig (daß er hilfreich ist steht außer Zweifel). Unklar bleibt, warum das auch noch dann gelten soll, wenn der Klirr insgesamt sehr gering ist, und ich konnte bisher keine Erklärung, weder von der Stereoplay noch von sonstwem, finden, warum das unabhängig von der Stärke des Klirrs gelten soll. Es sollte intuitiv klar sein, daß unterhalb eines bestimmten Klirrniveaus die Klirrverteilung egal ist. Es kann dann nur noch darum gehen, wo dieses "Unbedenklichkeits-Niveau" in der Praxis liegt. Schüller läßt das völlig undiskutiert.

Der nächste angeblich klangbestimmende Faktor ist laut Schüller der Frequenzgang, also lineare Verzerrungen. Schüller will offenbar die Gegenkopplung für Probleme mit dem Frequenzgang verantwortlich machen, speziell bei wechselnder Lastimpedanz, aber es ist nicht erkennbar wie seine Behauptung von den von ihm gezeigten Meßkurven gestützt wird. Mir scheint eher die Überlegenheit der Gegenkopplung daraus deutlich zu werden. Obwohl der gezeigte Verstärker mit einer Last von 2 Ohm deutliche Schwierigkeiten hat, was auf viele Verstärker zutreffen dürfte, die für solche Lasten nicht konstruiert sind, ist der Einfluß mit Gegenkopplung geringer als ohne.

Zudem versucht Schüller in der schriftlichen Präsentation den Eindruck zu erwecken, als wäre die Gegenkopplung "erfunden" worden, um die nachteiligen Transistorkennlinien zu linearisieren. Das ist natürlich falsch. Die Gegenkopplung stammt aus der Röhrenzeit, und wurde auch bei Röhrenverstärkern erfolgreich zur Klirr-Reduktion benutzt, denn auch die Röhrenkennlinien sind nicht linear. Als die Transistorverstärker aufkamen war die Gegenkopplung schon längst allgemein akzeptierte Technik bei Röhrenverstärkern. Prominentes Beispiel: Der Williamson-Verstärker aus den 40ern. Der erreichte Klirrwerte von an die 0,1% nur wegen seines Einsatzes von Gegenkopplung, und wurde wegen seiner Klangqualität als Meilenstein angesehen.

Schüller's nächster Punkt ist die "Rückflußdämpfung", und da kommt er an dem Punkt an, den auch die erwähnte "Meßtechnik-Sensation" von 2009 aufgehängt war. Nach mehreren Fehlzündungen kam die Stereoplay damals schließlich auf die Verwendung eines MLS-Signals, das "rückwärts" in den Verstärkerausgang eingespeist wird, entweder über einen Ohmschen Widerstand oder über eine Lautsprecher-Nachbildung. Am Verstärkerausgang mißt man dann, was davon übrig ist, was also der (stumme) Verstärker nicht mit seiner niedrigen Ausgangsimpedanz "kurzgeschlossen" hat. Nimmt man den Ohmschen Widerstand, dann kann man so den Dämpfungsfaktor über die Frequenz bestimmen (dazu wäre aber kein MLS-Signal nötig, das ginge ganz genauso und leichter mit einfachen Sinussignalen). Nimmt man die Lautsprecher-Nachbildung, dann überlagert sich dieser Dämpfungsfaktor-Kurve noch die Impedanzkurve der Lautsprecher-Nachbildung. Was man sieht ist der kombinierte Effekt von Beidem.

Schüller behauptet, man sehe daran den Einfluß des Lautsprechers auf den Verstärker. Das ist falsch. Man sieht daran lediglich, wie zwei frequenzabhängige Widerstände (die Lautsprechernachbildung und die Ausgangsimpedanz des Verstärkers) sich zu einem frequenzabhängigen Spannungsteiler kombinieren. Dieses Ergebnis hätte man auch rechnerisch ermitteln können, es ist keinesfalls überraschend oder neu, und hat auch nichts mit einer Rückwirkung zu tun. Hier sind die Kritikpunkte aus den früheren Diskussionen offensichtlich ignoriert worden, und es werden weiterhin falsche oder irreführende Aussagen gemacht.

Das setzt sich fort in der Diskussion des rückwärts eingespeisten Rechtecksignals. Hier begegnet uns der Brinkmann-Verstärker wieder, an dessen Test sich vor mehr als 3 Jahren die Debatte entzündet hatte. Schüller versucht, den Eindruck zu erwecken als habe das dargestellte Rechtecksignal mit weniger Überschwingern einen Bezug zum angeblich besseren Klang des Brinkmann. Abgesehen davon daß diese Aussage nach wie vor nicht belegt wird, weil keinerlei Hörtests zur Erhärtung vorgestellt wurden, ist das auch eine sehr unglaubwürdige Schlußfolgerung. Die gezeigten Rechteckdarstellungen des rückwärts eingespeisten Signals zeigen im Grunde das Gleiche wie die vorher gezeigten Kurven der "Rückfluß-Dämpfung" (Folie 15), bloß einmal im Frequenzbereich und einmal im Zeitbereich. Aus Folie 15 kann man schon abschätzen wie hoch die Überschwinger an den Rechteckflanken sein würden, und wie hoch die waagrechten Linien, auf denen sich das Rechteck einschwingt. Es ergibt sich allerdings daß der Maßstab nicht übereinstimmen kann, oder daß die beiden Rechteckkurven nicht mit vergleichbaren Meßbedingungen ermittelt wurden, denn sonst hätte das Rechteck rechts in Folie 23 mindestens die doppelte Amplitude haben müssen.

Generell schlägt sich in dieser Rechteckmessung der Dämpfungsfaktor bei niedrigen Frequenzen auf die Höhe des Rechtecks als solchem nieder, und der Dämpfungsfaktor bei hohen Frequenzen auf die Höhe der Überschwinger. Ist der Dämpfungsfaktor bei allen Frequenzen gleich, dann verschwinden die Überschwinger. Das ist wieder nichts Anderes als die Kombination zweier frequenzabhängiger Widerstände (Impedanzen) in einem Spannungsteiler. Dazu ist es nicht die Btrachtung des am Lautsprecher ankommenden Signals, sondern der am Verstärker ankommenden Rückwirkung, von der zudem keine Beeinflussung des eigentlichen Verstärkers zu erkennen ist. Auch hier ist nicht zu erkennen, daß man bei der Stereoplay aus der früheren Kritik irgend etwas gelernt hätte.

Schüller kommt dann wieder auf die Thematik des Klirrs zurück, und es fällt auf daß für ihn die absolute Höhe der Klirrwerte gar keine Rolle zu spielen scheint. Nur auf die relativen Stärken der einzelnen Harmonischen soll es offenbar ankommen, so daß er mühelos einen heftig klirrenden kleinen Röhrenverstärker loben kann, der den Meßwerten zufolge aber wohl eher deswegen gefällt, weil er schönfärberische, als "warm" empfundene Harmonische zweiter Ordnung produziert, und zwar umso mehr, je niederohmiger die Last ist. Das ist alles überhaupt keine Überraschung, und so oder so ähnlich schon vor vielen Jahrzehnten diskutiert worden.

Die Stereoplay erfindet solche Theorien natürlich nicht einfach so. Wie schon beim Brinkmann-Verstärker anno 2009 gab auch diesmal wieder ein Verstärker aus einem aktuellen Test den Anstoß, sich eine dazu passende Theorie zusammenzudichten. Der in der diesjährigen Aprilausgabe getestete Unison-Röhrenverstärker ist genau dieses Klirrmonster, das schönerklärt werden mußte, und wie man das macht sieht man an dem für Unison erstellten Sonderdruck.

Es ist das bekannte Bild: Man testet ein Gerät, das aus irgendeinem Grund gefällt, und für das man nicht einfach schlechte Meßwerte stehen lassen kann. Also erfindet man eine Theorie, mit denen man die Meßwerte uminterpretieren kann, und die das Gerät allen konventionellen Ansichten zum Trotz gut aussehen läßt. Das war beim Brinkmann so, und das ist dann wieder beim Unison so gewesen. Ich bin schon gespannt, wnn man das nächste Mal bei Stereoplay einen Verstärker testet, für den man die passende Theorie dazu erfinden muß. Hemmungen scheinen da ja keine mehr zu existieren.


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