Dienstag, 15. April 2008

Truthiness in Audio

Aus dem verblichenen Blog des Hifi-Forum

Truthiness wurde von der American Dialect Society zum Wort des Jahres 2005 in den USA gekürt. Es stammt von Stephen Colbert, einem bekannten US-Satiriker, der es in der ersten Folge seiner Comedy-Serie The Colbert Report einführte.

Auf Deutsch würde man wahrscheinlich "Wahrlichkeit" sagen. Wahrheit, die aus dem Innersten kommt, aus dem Herzen, oder dem Urin. Wahrheit, die nichts mit Fakten zu tun hat. Die einfach deshalb schon wahr sein muß weil sich sonst etwas falsch anfühlen würde.

Wahrlichkeit ist wichtiger als Wahrheit. Wenigstens sieht es so aus. Wenn Bush den Irak angreifen läßt, dann ist es nicht so wichtig ob der Irak irgendwelche Massenvernichtungswaffen besitzt bzw. sich besorgt, sondern ob man das glaubhaft machen kann, also ob es sich wahr anfühlt. Wenn man gegen Terrorismus durch Computerspionage bei der breiten Masse angehen will ist es nicht so wichtig ob das nachweislich etwas bringt, sondern ob es sich so anfühlt als ob es was bringen würde.

Was das mit Audio zu tun hat?

Nun, daß es in diesem Bereich eben auch so ist. Es bringt hier zwar nicht so viel Schaden wie im politisch-militärischen Bereich, ist aber nicht weniger auffällig. Man könnte sagen daß das wegen des vergleichsweise geringen Schadens bei Audio gar nicht so schlimm sei und man die Leute doch einfach machen lassen sollte. Daß man also gewissermaßen jedem die Freiheit lassen sollte, sich verarschen zu lassen, bzw. sich selbst zu verarschen. So einfach ist es aber nicht.

Wenn sich nämlich in einem Bereich die Wahrlichkeit zu Lasten der Wahrheit durchzusetzen anfängt, dann werden auch Unbeteiligte hineingerissen. Dann kommen sogar diejenigen, die sonst immun wären, nicht mehr darum herum. Bei solchen Fällen wie dem amerikanischen Präsidenten und seinem Irak-Projekt brauche ich nicht dazusagen wer hier als Unbeteiligter zu seinem eigenen Schaden hineingerissen wird, aber bei Audio gibt's das eben in kleinerem Stil auch.

So gibt es ansonsten nüchterne und gegen Irrationalitäten relativ immune Zeitgenossen, die einfach mangels ausgewogener Informationen unsinnige Kaufentscheidungen treffen. Es gibt ansonsten ehrbare Hersteller die anfangen, in den Chor der Wahrlichkeitsverkünder einzustimmen weil sie keine Chance sehen, mit der Vernunft dagegen Gehör zu finden. Und es gibt Profiteure die die Welle nach Kräften antreiben, in der Absicht ihre Brieftasche damit zu füllen, oder andere Eigeninteressen zu befördern.

Ab wann ist also Einschreiten geboten? Soll man den amerikanischen Präsidenten nun machen lassen? Man ist als Mitteleuropäer ja eigentlich kaum betroffen, und man kann zur Irak- bzw. Terrorismusfrage solcher und solcher Meinung sein. Vielleicht ist da ja einfach Toleranz gegenüber Andersdenkenden geboten, und Saddam war nunmal eindeutig ein Unsympath, und ob er nun Massenvernichtungswaffen hatte oder nicht ist eigentlich unwichtig, ihn zu beseitigen fühlt sich einfach irgendwie richtig an. Oder etwa nicht?

Oder analog bei Audio: Die Wahrlichkeitsverkünder dort haben vielleicht einfach nur eine andere Hörerfahrung, man hat ja selbst keinen Schaden davon, folglich könnte man ja tolerant sein und sie einfach machen lassen. Sollen sie doch den Raum animieren und ihre Kabel entkoppeln, oder nicht?

Ich würde hier nicht schreiben wenn ich dieser Meinung wäre. In meinen Augen wäre das falsche (und faule) Toleranz. Das Problem ist nicht der Schaden, den der Eine oder Andere womöglich nur bei sich selbst anrichtet, das Problem ist der Schaden durch eine verkehrte Denkweise, oder Geisteshaltung. Es geht um mehr als als um unsinnige Kaufentscheidungen und etwas verschwendetes Geld. Es geht um den Umgang mit der Realität, und mit den eigenen Wunschvorstellungen (von denen man vielleicht gar nicht realisiert daß es Wunschvorstellungen sind).

So glaubte z.B. auch noch deutlich nach der Veröffentlichung des Duelfer-Reports, in dem eindeutig festgestellt wurde daß der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß, die deutliche Mehrheit der US-Amerikaner daran, daß der Krieg gerechtfertigt war, der mit eben diesen Massenvernichtungswaffen begründet wurde. Mehr noch, sie glaubten weiterhin an die Existenz dieser Massenvernichtungswaffen. Mit anderen Worten, sie glaubten das Gegenteil dessen was bewiesene Tatsache war. Sie haben vor diesem Hintergrund einen Regierungschef wiedergewählt, der ihnen die Unwahrheit vorgespiegelt hatte, und darauf basierend zum Schaden sowohl der Iraker als auch der USA selbst gehandelt hatte.

Wer aus diesem Blickwinkel die Welt betrachtet kann wohl kaum den Geschichtsfälschern und Wahrheitsverdrehern dieser Welt mit Toleranz entgegentreten. Auch wenn es dabei "nur" um Audio gehen sollte. Zwischen Wahrlichkeit und Wahrheit gibt es einen bedeutenden Unterschied. Das Eine hat etwas mit dem Ego der sie verkündenden Person zu tun, das Andere mit der oft unwillkommenen Realität. Es ist wichtig das unterscheiden zu können.

1 Kommentar:

  1. Off the Blogg:
    Der zitierte Urheber des Wortes "Thrustiness" im Dialog mit Fox-Scharfmacher Bill O´Reilly:

    http://de.youtube.com/watch?v=QquTUR9nbC4

    Ist was für Aficionados...

    Gruß,

    marteau

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