Dienstag, 14. Oktober 2008

Audiophile Logik

Ah, welch eine reichhaltige Quelle das Hochalpinistenforum* doch für einen Satiriker sein kann! Wie unschuldig da doch immer wieder die übelsten rhetorischen Maschen angewandt werden, und alle finden, was für ein super Argument das doch sei. Hier ein besonders schönes Beispiel:
"Wenn ich todkrank bin und ein Placebo mich heilt, was würdet ihr über den Menschen denken, der mich mit Formeln und Messwerten überzeugt, dass das Medikament wirkungslos ist und ich unheilbar bin? Was denke ich wohl über jemanden, der mich mit aller Kraft überzeugen will, dass die schöne Musik, die ich glaube, meinem Kabel zu verdanken, gar nicht schön sein kann? Wenn er es geschafft hat, und mir mein Lieblingslied nicht mehr gefällt, werde ich ihm sicher danken..." (Gabi alias Tour Eiffel)
Also ich gebe zu daß selbst ich Schwierigkeiten hätte, so eine perfide Logik ohne Scham öffentlich zu äußern. Es erinnert mich an die Zeiten als es noch Gewissensprüfungen für Wehrdienstverweigerer in Westdeutschland gab (kann sich daran noch jemand erinnern?). Was antwortet man da auf die Frage:
"Sie erwischen einen russischen Soldaten dabei wie er gerade Ihre Freundin vergewaltigt. Sie haben zufällig eine Maschinenpistole dabei. Was würden Sie tun?"
Würde da nicht sogar ein ausgesprochener Pazifist einen spontanen Impuls verspüren, diesem Arschloch von Gewissensprüfer an die Gurgel zu gehen?

Analog dazu frage ich mich, ob man die Verfasserin des obigen Zitats wirklich noch als gutmütige Diskutantin ansehen kann, die halt einfach eine etwas andere Meinung hat? Zumal natürlich gerade in besagtem Forum eine meiner Meinung nach durchaus angebrachte etwas grobere Reaktion sofort als Zeugnis einer niederen Diskussionskultur aufgefaßt und weithin beklagt würde. Aber hier ist ja mein Blog, da gelten zum Glück meine Regeln.

Aber obwohl die Perfidie eigentlich für einen halbwegs vernünftigen Menschen auch so klar sein sollte, warum eigentlich nicht im Dienste höchstmöglicher Diskussionskultur sachlich antworten? Ich versuch's mal:

Ich weise auf die Unverfrorenheit, ein vergleichsweise harmloses Phänomen wie Kabelklang mit einer Frage von Leben oder Tod zu verknüpfen, nur mal mit einem Satz hin - mehr sollte nicht nötig sein. Interessanter ist ohnehin die Logik.

Was ist ein Placebo? Ein Medikament ohne Wirkstoff, das ausschließlich psychologisch wirkt, nämlich indem der Patient an seine Wirksamkeit glaubt, und sich durch diese Überzeugung quasi selbst heilt. Der Einfluß der Psychologie auf Heilungsprozesse ist ja auch bei der "Schulmedizin" nicht umstritten.

Was heißt es, wenn jemand durch ein Placebo geheilt wird? Nun, es heißt daß ihn sein Glaube geheilt hat, nicht das Placebo. Das Placebo war auch im Erfolgsfall nur ein Trick um diesen Glauben hervorzurufen.

Wenn ein Patient auf diese Weise von einer lebensgefährlichen Krankheit geheilt wurde, und man erzählt ihm danach daß es sich um ein Placebo gehandelt hat, stirbt er dann oder wird wieder krank? Natürlich nicht.

Was soll also dann das Argument? Es fängt schon damit an daß ein verantwortlicher Arzt wohl kaum ein Placebo für eine lebensgefährliche Krankheit einsetzen würde! Man stelle sich bloß mal vor was wohl wäre wenn es nicht helfen sollte und die Tatsache daß es sich um ein Placebo handelte wird den Angehörigen des Verstorbenen bekannt. Dieser Arzt würde ich nicht sein wollen.

Oder wenn die Krankheit nicht so ernst sein sollte, und man hätte die Hoffnung daß ein Placebo hilft, dann würde man natürlich dem Patienten nicht sagen daß es ein Placebo ist, sonst könnte man sich die Aktion ja sparen. Wenn er dann gesund wird und hinterher vom Placebo erfährt, was wäre dann der Schaden? Wenn mir das als Patient passieren würde hätte ich nicht das geringste Problem damit, und ich würde auch von niemandem schlecht denken. Und wenn ich als Skeptiker kein Problem damit habe, warum sollte ein Subjektivist eins damit haben?

Wäre es da übertrieben wenn ich Gabi's Argument nicht bloß unsinnig, sondern regelrecht demagogisch nenne?

Der zweite Teil des Arguments, der mit der Musik, ist nicht viel besser. Der gröbste Fehler darin ist die Unterstellung, wer den Kabelklang abstreite würde damit jemanden überzeugen wollen, die darüber laufende Musik könne nicht schön sein. Das ist zwar kein so abscheuliches Argument, aber dafür ist es umso dämlicher.

Und um die rhetorische Frage nachzuäffen: Was soll ich von jemandem halten, der ihr Lieblingslied nicht mehr gefällt wenn ich ihr den Kabelklang ausgeredet habe? Wieviele Leute es wohl geben mag, denen ihr Lieblingslied nur über die eigene Anlage gefällt, nicht aber über andere Anlagen, weil dort nicht die richtigen Kabel drin sind? Oder genauer gesagt von denen sie bloß glauben, daß die falschen Kabel drin sind, denn wir reden ja von Placebos!

Und schließlich: Die Abstreiter von Kabelklang streiten ja eben nicht ab, daß es psychologische Placebo-Wirkungen gibt. In der Regel betonen sie sogar daß sie kein Problem damit haben wenn jemand aus diesem Grund spezielle Kabel haben will. Das Problem ist lediglich ob man Kabel andere als Placebo-Wirkungen, also elektrisch bedingte Wirkungen zuschreiben kann. Und es wäre ja wohl absolut widersinnig wenn man behaupten wollte, es müsse elektrische Wirkungen geben sobald es Placebo-Wirkungen gibt. Bei Placebos in der Medizin behauptet ja auch niemand, wenn sie geholfen haben müsse irgend ein realer Wirkstoff drin gewesen sein. Da wird ja auch allgemein akzeptiert daß sie psychologisch gewirkt haben. Würde das beim Kabelklang ebenso akzeptiert, gäbe es keinen Streit.

Das war jetzt viel Antwort für ein wenig audiophilen Dünnpfiff. War er's wert? Vielleicht nicht, aber als Schlaglicht auf die Denkweise, die in Charly's Forum (und nicht nur da) weit verbreitet ist, fand ich's gut geeignet. Wer noch mehr solche Stilblüten und mentale Darmverschlingungen lesen will wird jedenfalls dort keine Mühe haben, Material zu finden.

Und falls gegen meine Warnung jemand hier lesen sollte, dem meine Texte sauer aufstoßen, und dem daraufhin sein Lieblingslied nicht mehr gefällt, dann wird ihm das dortige Forum sicher Balsam auf die geschundene Seele sein.

Ich bin jedenfalls überzeugt, daß für jeden, der sich noch ein nüchternes Urteil bewahrt hat, solche Argumentationsweisen wie von Gabi noch viel stärkere Argumente gegen Kabelklang sind, als es alle "gescheiterten" Hörtests, alle technischen Argumente, und alle Messungen sein können. Wer so verbohrt ist, daß er diese Art der Argumentation für angebracht oder gar überzeugend hält, kann wohl kaum für einen glaubwürdigen oder respektablen Zeitgenossen gehalten werden.

(*) Für Alle, die noch nicht so lange dabei ist: Das ist ein Spitzname für Charly's Open-End-Forum, dem man im Hifi-Forum öfter begegnet.

2 Kommentare:

  1. Böser,böser Plemazo!

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  2. Hochalpinistenforum ??
    Wenn ich da reinschaue sehe ich zu 80% Produktplacements aller Schattierungen.

    ARD und ZDF, selbst die Privaten könnten da viel lernen, wie man eine Werbeplattform unter dem Deckmantel "Forum" aufzieht.

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