Kann man einem Atheisten unterstellen, daß ihm völlig egal ist was mit ihm nach seinem Tod passiert?
Ich bin einer, und mir ist es nicht egal. Ich rede nicht von meinem Körper, obwohl ich es auch nicht gut fände wenn man mit meiner Leiche Schindluder treiben würde. Menschliche Würde hört nicht in dem Moment auf an dem die Hirnströme versiegen. Ich kann selbst nichts mehr davon wahrnehmen, und es schon gar nicht beeinflussen, aber die Aussicht darauf, daß andere Leute nur auf den Moment warten, an dem ich mich nicht mehr wehren kann, um sich über meine Interessen hinweg zu setzen und womöglich völlig falsche Legenden über mich in die Welt setzen, macht mich nervös.
Es heißt, Voltaire habe gegen Ende seines Lebens mit diesem Problem zu kämpfen gehabt. Zu seiner Zeit war die Furcht wohl auch berechtigt, man könnte ihm ein ordentliches Begräbnis verweigern, oder Schlimmeres zufügen. Vielleicht haben Gerüchte einer Bekehrung zum Christentum auf seinem Totenbett sogar Schlimmeres verhindert, obwohl ich nicht an eine Bekehrung glaube - das wäre gerade bei Voltaire unverständlich gewesen. Für gerissen genug halte ich ihn aber schon, womöglich hat er daher bewußt etwas Unsicherheit gestreut.
Es läuft mir kalt den Rücken hinunter wenn ich daran denke wie ich in einer ähnlichen Situation wohl handeln würde. Ich hoffe inständig, daß sich die Frage nie stellt, aber wenn ich mir die Nachrichten aus dem amerikanischen Vorwahlkampf ansehe bin ich mir da nicht so sicher. Mitt Romney, der im Moment wohl aussichtsreichste republikanische Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur, ist bekanntlich ein Mormone. Mormonen sind Angehörige der "Church of Latter Day Saints", und was ich bislang nicht wußte ist, daß die kein Problem damit sehen, Leute auch nach ihrem Tod noch zu taufen. So wie z.B. im Fall des Schwiegervaters von Mitt Romney, der zu seinen Lebzeiten ein überzeugter Atheist gewesen sein soll, und 14 Monate nach seinem Tod zum Mormonen getauft wurde.
Die übrige Familie seiner Frau hatten sie schon zu Lebzeiten erfolgreich zu Mormonen konvertiert, fehlte also noch der Schwiegervater. Vielleicht dachten die Romneys, daß er einfach zu früh gestorben ist, und im Falle längeren Lebens bestimmt auch noch konvertiert wäre. Daß man also mit der posthumen Taufe bloß eine Art "Mißgeschick" repariert, und dem Toten so nachträglich noch einen Gefallen tun kann. Zudem hängt ja nach religiöser Überzeugung auch sein Wohlbefinden in der Ewigkeit davon ab. Man kann also davon ausgehen, daß er die Taufe zu Lebzeiten gewollt hätte, wenn er da schon gewußt hätte wie es nach dem Tod weitergeht, nicht wahr? Die Taufe ist also im Interesse aller, auch und insbesondere des Toten selbst.
Außerdem hilft es natürlich auch der mormonischen Kirche, und den Romneys selbst. Man kann schließlich so die makellose mormonische Familie vorführen, in der alle von gleichen Glauben überzeugt sind, und der Zweifel keinen Platz hat. Alles in Ordnung also. Genau das was man für eine erfolgreiche politische Karriere braucht, und was die mormonische Kirche für ein makelloses Image braucht, nicht wahr?
Für jemanden, der in der Lage und willens ist, sich in die Haut eines Atheisten wie Schwiegervater Edward Davies oder mich zu versetzen, wird das kaum eine Beruhigung sein können. Da vertritt man zeitlebens eine klare atheistische Linie, und ist dabei tolerant genug seinen Angehörigen in diesen Dingen ihren eigenen Willen zu lassen, und muß dann befürchten, nachträglich einfach "eingemeindet" zu werden, wenn man sich nicht mehr wehren kann. Daß es posthum so hingedreht wird als habe man im Grunde genau das Gegenteil von dem geglaubt, was man immer gesagt hat.
Die Mormonen sind dabei anscheinend so weit gegangen, manche katholischen Päpste posthum zu Mormonen zu machen, zum Protest der katholischen Kirche. Wobei es da wenigstens eine mächtige Organisation gibt, die sich wehren kann, wenngleich ich auch da bezweifle daß das immer im Interesse der Betroffenen geschieht. Aber welcher Hahn kräht nach einem auf diese Weise in seiner Würde mißachteten verstorbenen Atheisten? Wäre das überhaupt heraus gekommen wenn Romney nicht Präsident werden wollte?
Immerhin hat Bill Maher in seiner Show das Unrecht der unfreiwilligen Taufe zeremoniell rückgängig gemacht und damit der Würde zurück auf die Beine geholfen.
Was, so frage ich mich, kann jemand zu seinen Lebzeiten tun um so etwas zu verhindern? Müßte man zusätzlich zu seinem "materiellen" Testament, in dem man regelt wer welchen Teil des Vermögens erbt, auch noch eine Art von "intellektuellem" Testament schreiben, wo drin steht welche Überzeugungen man vertreten hat und vertritt, und sich verbittet daß das posthum jemand so hin dreht wie es ihm paßt?
Schockierend auch, was für Arschlöcher die eigenen Familienmitglieder sein können, besonders wenn's um religiöse Fragen geht oder um eine Präsidentschaftskanditatur.
Ich stelle mir vor meine Tochter heiratet in eine Audiophilen-Familie, wo mit audiophilen Devotionalien ein Haufen Geld verdient wird, und nach meinem Tod wird dann überall verbreitet, ich sei in Wirklichkeit selber ein Audiophiler gewesen, und hätte auch geglaubt, daß da noch etwas sein müsse was man nicht in Meßwerten ausdrücken kann. Ein passendes Zitat von mir könnte man sicher problemlos finden, das man aus dem Zusammenhang reißen kann um das glaubhaft zu machen. Die Message wäre: "Seht her, alles in Ordnung mit Eurem Glauben, sogar der alte Motzknochen hat dazugehört".
Oder bin ich da zu paranoid oder zu empfindlich, was meint Ihr?
Nachtrag 25.2.12: Ich lese gerade, daß es nun auch Anne Frank erwischt hat, die bekannte jugendliche Tagebuchschreiberin, die im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde. Letzten Samstag wurde offenbar ihre posthume Taufe zur Aufnahme in die mormonische Kirche abgeschlossen.