Donnerstag, 13. November 2014

Patentierter Müll

Patente werden in der Politik gerne als Indikator für die Innovationskraft einer Firma oder eines ganzen Landes herangezogen. Die Anzahl eingereichter Patente pro Jahr ist so etwas wie ein Index, ähnlich wie dem "Geschäftsklima-Index" oder dem "Konsumklima-Index". Bloß spiegelt sich darin nicht die Qualität der Patente. Und die scheint mir immer weiter rückläufig zu sein.

Nun gab es immer schon völlig unsinnige Patente, die entweder nicht funktionieren, oder die nichts wesentlich Neues beschreiben, oder die kein reales Problem lösen. Man kann nicht wirklich erwarten, daß die Patentanwälte oder Patentämter all diesen Unsinn von vorn herein eliminieren. Angesichts immer breiter werdenden Wissens wäre das auch zunehmend unmöglich. In der Praxis hofft man darauf, daß auch erteilte Patente im Konfliktfall angefochten werden können, ggf. vor Gericht. Bei Bedarf kann man daher immer noch einen Entscheid herbeiführen, und wenn keine Klagen geführt werden, ist das Patent wohl auch nicht so wichtig. Unsinnige Patente werden somit als unvermeidlich hingenommen.

Leider besitzen Patente im breiten Volk immer noch einen unverdient guten Ruf. Viele Leute glauben offenbar, daß ein Patent ein Indiz für eine geprüfte Sinnhaftigkeit, oder für einen echten technischen Fortschritt darstellt. Das machen sich Scharlatane zu Nutze, indem sie den Eindruck erwecken als hätten sie ein Patent auf eine maßgebliche Erfindung.

Bei näherer Untersuchung bleibt davon oft wenig übrig, und gelegentlich erkennt man sogar daß es sich beim Patentanmelder um einen Spinner oder Hochstapler handeln muß. Damit schrumpft die Aussagekraft eines Patentes auf nahe Null.

Im Hifi-Forum ist letztens mit Gerd Sauermann ein "High-End-Verstärkerentwickler" aufgetaucht, der für seine Verstärker ein Patent geltend macht. Er startete seinen Auftritt in Beitrag #591 hier, und es ging in diesem Thread weiter. Sein Verhalten im Forum betätigt so ziemlich alle audiophilen Klischees, die ich hier im Blog schon mal durch den Kakau gezogen habe, daher braucht es dazu wohl nicht mehr vieler Worte. Seine Selbstdisqualifikation ist ziemlich vollständig. Das Patent hat aber immerhin den Vorteil, daß man seine als Neuigkeit angepriesene Schaltungstechnik genauer unter die Lupe nehmen kann, ohne daß man dafür Detailinformationen bräuchte, die solche Leute gerne unterschlagen.

Das dürfte nämlich der Patente größter Vorteil sein: Sie sind öffentlich. Damit kann man sich ansehen was da behauptet und gemacht wird. Das will ich in Sauermann's Fall mal tun, um zu sehen was denn der innovative Faktor seiner Entwicklung wohl sein wird.

Sauermann's Patent hat die Nummer DE102009057225, und wenn man sich dieses Patent ansieht (z.B. über DEPATISNET), dann sieht man darin die Prinzipschaltung, die angeblich neu und patentierfähig sein soll.

Nun wundert man sich, wie es eine Schaltung mit gerade mal 3 Transistoren und ein paar passiven Bauteilen geschafft hat, bis ins 21. Jahrhundert unpatentiert geblieben zu sein. Bei Schaltungen dieser geringen Komplexität hätte man normalerweise davon ausgehen können, daß sie im Grundprinzip schon vor der Geburt heutiger Entwickler bekannt waren. Gerade die Tatsache daß nur NPN-Transistoren verwendet werden, legt nahe, daß es eine Analogie mit Röhren gibt, die schon in der Zeit vor den Transistoren gefunden war.

Und tatsächlich hat die Schaltung eine auffallende Ähnlichkeit mit etwas, das unter den Röhrenfreaks als SRPP (Shunt Regulated Push-Pull) Verstärker bekannt ist, auch wenn dieser Name erst mit der Zeit aufkam, und auch etliche andere Namen dafür kursieren. Es gibt diverse Beschreibungen dieser Schaltung im Netz. Sie wurde 1940 von Newsome Henry Clough von Marconi in England unter der Nummer 526418 patentiert.

Ein SRPP braucht bloß zwei Röhren, denn man nutzt die Eigenschaft der Röhren, daß die Grid-Spannung im Normalbetrieb negativ gegenüber der Kathode ist. Das ist nicht so bei einem NPN-Transistor, daher braucht es da einen weiteren Transistor. Der wäre überflüssig, wenn man für den "Stromquellentransistor" in Sauermann's Design einen Depletion-MOSFET verwenden würde, wie er z.B. von IXYS erhältlich ist. Der wirkt nämlich in dieser Hinsicht wie eine Röhre. Sauermann's Änderung, die durch die Verwendung von NPN-Transistoren nötig ist, braucht zwar einen dritten Transistor, ändert aber am Funktionsprinzip der Schaltung nichts Entscheidendes. Interessanterweise fehlt aber in Sauermann's Patent, wie auch in seiner sonstigen Information, jeder Hinweis auf die SRPP-Schaltung, so daß man glauben könnte daß er darüber gar nichts weiß.

Das heißt daß Sauermann uns etwas als neu und seine eigene Erfindung zu verkaufen versucht, was in seinem Grundprinzip älter ist als er selbst (wobei ich einfach mal annehme, daß er keine 75 Jahre alt ist). Das muß keine dunkle Absicht sein, aber es spricht jedenfalls mal nicht gerade für seine Kompetenz und Seriosität.

Das wird nochmal unterstrichen durch Sauermann's idealisierte Darstellung der angeblichen Schaltungsvorteile, die keinerlei Anstalten macht, die sehr realen Abweichungen des Verhaltens der Schaltung von den idealen Bedingungen einzugestehen oder gar zu quantifizieren. So unterschlägt er z.B., daß der Strom durch den "Spannungsverstärkertransistor" keineswegs konstant ist. Der Strom durch den dritten Transistor (genauer: dessen Emitter) fließt nämlich ebenfalls durch den Spannungsverstärker, und dieser Strom ist signalabhängig. Der angebliche Konstantstrom ist daher in der Praxis nicht so konstant wie man offenbar glauben soll. Somit sind auch die Stromverstärkung und die Spannungsverstärkung nicht so "völlig unabhängig voneinander", wie er uns glauben machen will.

Nebenbei: In einem "konventionellen" Class-B Push-Pull Verstärker sind Spannungsverstärkung und Stromverstärkung ebenfalls voneinander getrennt. Die letzte Stufe in so einem Verstärker dient lediglich der Stromverstärkung. Die Trennung funktioniert anders als bei Sauermann, aber man könnte sie mit ziemlich ähnlichem Vokabular lobpreisen, wenn man wollte. Ganz ideal ist es da auch nicht, aber man kann immerhin die Vorspannung der Ausgangsstufe recht beliebig einstellen, so daß man damit wahlweise im Class-A oder -B arbeiten kann, während Sauermann's Design bloß mit Class-A funktioniert, und daher zwangsläufig recht Energie-ineffizient arbeitet.

Sauermann's Darstellung ist damit einesteils hochstaplerisch, weil er sich eine Erfindung ans Revers heftet, die nicht von ihm ist. Andererseits beruht sie auf Desinformation, weil sie die praktischen Einschränkungen gegenüber der idealisierten Darstellung ignoriert, obwohl sie de facto zu schlechteren Ergebnissen führen als man von "normalen" Verstärkern erwarten kann.

Sein Patent ist damit letztlich wertlos, aber vermutlich trotzdem lohnend, weil er es bei seiner Zielgruppe als Argument einsetzen kann. Nebenbei hat er der Politik einen Gefallen getan, denn dort zählt die Zahl der Patente, nicht der Gehalt.

P.S.: Ich sehe daß im Oktober 2009 John Broskie im TubeCAD Journal folgenden geradezu prophetischen Satz äußerte: "The SRPP twist has been applied to solid-state devices for almost half a century, so I expect the technique to be invented soon and used in some $10,000 high-end power amplifiers." Gerd Sauermann reichte seinen Patentantrag im Dezember 2009 ein. Der Sauermann-Verstärker kostet 8500 Euro, was beim heutigen Kurs etwa 10500 US-Dollar ergibt. Nicht schlecht, oder?

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