Zu Beginn der NSA-Affäre hatte ich hier schon einmal einen Artikel über Ahnungslosigkeit, fast 3 Jahre ist das jetzt schon her. Inzwischen haben wir einen Untersuchungsausschuß des deutschen Bundestags zu diesem Thema, und bei seiner gestrigen Sitzung scheint die Ahnungslosigkeit mal wieder Konjunktur gehabt zu haben. Einen Liveblog gibt's bei Netzpolitik. Weil es dabei auch um Drohnenangriffe ging, muß man wohl hier von (potentiell) tödlicher Ahnungslosigkeit reden, und sie hat natürlich noch immer genauso viel System wie vor drei Jahren.
Der Ausschuß befragte zwei Herren vom deutschen Verfassungsschutz, nämlich den momentanen Chef Maaßen, und seinen Vorgänger Fromm. Sehen wir uns mal an was die alles nicht wissen, obwohl es doch ihr Job wäre, Informationen zu beschaffen:
Fromm fängt an. Er war Chef des Verfassungsschutzes von 2000 bis 2012, die Anschläge des 11. September 2001 hat er also im Amt erlebt, und natürlich auch die Veränderungen der Arbeit der Geheimdienste in deren Folge.
Gleich ein interessanter Info-Schnipsel: Die EU hat nach den Anschlägen 2001 die Counter Terrorism Group (CTG) geschaffen, in der die EU-Länder zum Zweck der Terrorismusabwehr zusammenarbeiten. Die Gruppe ist aus dem Berner Club erwachsen, den es schon seit 1971 gibt. Ist es da nicht seltsam, daß man seither und bis in jüngste Zeit immer wieder gebetsmühlenartig aus der Politik hört, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden müsse gestärkt werden? Was haben die dann in der CTG in den letzten 15 Jahren gemacht? Wieso erzählt man der Öffentlichkeit immer wieder dasselbe, über mittlerweile Jahrzehnte, ohne daß neu geschaffene Gremien und Gesetze irgend etwas daran zu ändern scheinen?
Aber dann zum Thema Drohnen erfährt man, daß man beim Verfassungsschutz keine Ahnung hatte, daß man Handynummern auch zur Ortung benutzen kann, weswegen sie kein Problem damit gesehen hatten, solche Handynummern und weitere Informationen an die USA weiter zu leiten. Als dann in der Gegend um Afghanistan und Pakistan zwei Deutsche von Drohnen getötet wurden, zu denen der Verfassungsschutz Infos geliefert hatte, mußte man sich darüber Gedanken machen, und hat sich die Vorgehensweise dann vom Innenministerium absegnen lassen, "auch mit Blick auf Mitarbeiter".
Mit anderen Worten, Mitarbeiter beim Verfassungsschutz hatten Bedenken, ob das so in Ordnung sei, und wurden damit "beruhigt", daß der Innenminister die Vorgehensweise ausdrücklich billigt. Nach dieser Vorgehensweise ist die Weitergabe aller Informationen an die USA erlaubt, die nicht "unmittelbar" zur Zielortung taugen, also im Prinzip alles außer GPS-Koordinaten. Alle anderen Daten, wie z.B. Handydaten, die im Zusammenhang mit weiteren Informationen eine Ortung möglich machen, wurden weiter gegeben. Wie glaubhaft ist es dabei, daß beim Verfassungsschutz keiner gepeilt haben soll, daß man mit Handydaten auch orten kann? Soll ich lachen oder kopfschütteln? Wenn das wahr wäre, dann wäre die Inkompetenz dort mit Händen zu greifen.
Dabei wurde den Amerikanern auch der Hinweis mitgeliefert, daß die Informationen nur für nachrichtendienstliche Zwecke gebraucht werden dürfen, nicht aber zu einer Exekution. Darauf hat man sich dann verlassen. Von einer Möglichkeit zur Nachfrage bei der NSA, was genau mit den Daten passiert, machte man anscheinend keinen Gebrauch. Kein Wunder daß den Mitarbeitern das problematisch vorgekommen sein muß. Das ist ja geradezu eine Einladung zum Mißbrauch. Das muß auch dem Innenministerium klar gewesen sein, daher kann man annehmen, daß die Folgen dort in Kauf genommen wurden und werden. Die Versuche, das abzustreiten, finde ich einfach nicht glaubhaft.
Auch der Probebetrieb von XKeyScore, die umfassende Abhör- und Auswertungsanlage der NSA, der 2012 beim Verfassungsschutz anfing, nachdem der BND damit schon lange arbeitete, dauerte sehr lang und hält noch immer an, weil die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offenbar Sicherheitsbedenken hatten. Fromm ging das wohl zu langsam, er fand die Sicherheit zu streng, aber es scheint als hätte er mit Blick auf seine baldige Pensionierung keinen besonderen Aktionismus mehr entfaltet. Besonders interessant dabei: Der BND setzt sich mit der NSA zusammen in Frankfurt direkt an die Glasfaser und schneidet den gesamten Verkehr mit, obwohl im Inland eigentlich der Verfassungsschutz zuständig wäre. Eigentlich müßten beim Verfassungsschutz da alle Warnlampen brennen, und man müßte im Sinne der Spionageabwehr genau hinsehen was die beiden da miteinander treiben. Aber man tut gar nichts. Schaut nicht hin, beschwert sich nirgends, fragt nirgends nach. Was der BND da so tut wird schon seine Richtigkeit haben. Ob das wohl so der Sinn hinter der Trennung der Geheimdienste war?
Ebenfalls interessant: Der Verfassungsschutz ging davon aus daß in verschiedenen Botschaften Anlagen zur Überwachung der Mobilfunknetze installiert sind (wäre ja ein Zeichen absoluter Unfähigkeit, wenn sie das nicht angenommen hätten). Belegen konnte sie es nicht, aber sie (bzw. der Bundesgrenzschutz) haben Botschaftsgebäude regelmäßig "beflogen", und dabei auch "Indizien" festgestellt, z.B. auf der britischen Botschaft, die ihnen anscheinend geantwortet habe, es handle sich dabei um Kunst. Britischer Humor. :-)
Der Innenminister ist bekanntlich der Dienstherr des Verfassungsschutzes. Es möge jeder selber überlegen, was es zu bedeuten hat, daß sich der Verfassungsschutz im Klaren war und ist, daß Mobilfunknetze sehr wahrscheinlich abgehört wurden, auch von den eigenen Verbündeten, und deswegen auch abriet vor der Verwendung von Mobiltelefonen, und im Herbst 2013 meint dann die Bundeskanzlerin ganz überrascht, ein Abhören des eigenen Handies durch die USA "geht gar nicht".
Mein überwiegender Eindruck: Organisiertes Nichtwissen. Wenn man befürchten mußte, daß die Bedenken der eigenen Belegschaft zu groß werden, dann holt man sich ein passend formuliertes Genehmigungsschreiben vom Innenminister, und schickt den US-Partnern einen Text mit, wofür die Informationen benutzt werden dürfen, kümmert sich aber nicht darum ob das befolgt wird. Jeder weiß im Grunde Bescheid, was in der Praxis passiert, aber man hat die Verantwortlichkeit so gut verteilt, daß sich niemand mehr selbst verantwortlich fühlen muß. Am Schluß sterben Leute, und keiner kann was dafür.
Dann der jetzige Chef Maaßen. Dessen Verhalten finde ich so offensichtlich zweckgebunden, daß es mir schon wie ein Eingeständnis erscheint. Er ist ja schon seit Beginn an dabei, Snowden einen Verräter zu nennen, insoweit war sein neuester Auftritt nichts grundlegend Neues. Er spitzt es noch dadurch zu, daß er Snowden unterstellt, er sei ein russischer Spion, bzw. ein Doppelagent. Wie ernst man Maaßen nehmen kann, sollte klar sein wenn man sich ansieht, wie er noch 2014 nichts von Wirtschaftsspionage durch die USA wissen wollte. Selbst Maaßen's Vorgänger Fromm kam angesichts seines deutlichen Nich-Wissen-Wollen nicht drum herum zuzugeben, daß er von den Versuchen der USA, Informationen über EADS zu bekommen, erfahren hatte.
Jetz reitet Maaße also erneut darauf herum, daß Snowden ein russischer Spion sein könnte, obwohl er auch diesmal keinerlei Beweise beibringen kann. Es habe "eine hohe Plausibilität", wäre "aus Erfahrung der Spionageabwehr naheliegend". Maaßen legt vor dem Ausschuß eine Unverfrorenheit an den Tag, die zeigt, daß er sich für unangreifbar hält, und die wohl dem Ausschuß zeigen soll, daß sie keine Chance haben:
Er läßt sich in seinem Eingangsbeitrag über Snowden aus, als dann aber Nachfragen kommen, heißt es plötzlich, es gehe gar nicht um Snowden. Er wirft Snowden vor, wahrscheinlich ein russischer Spion zu sein, was nicht zuletzt auch mit seinem Aufenthalt in Russland zusammen hängt, und verschweigt völlig weshalb er da sitzt, ja er versteigt sich sogar zu spekulieren, er wisse nicht ob er nicht vielleicht sogar da eingeschleust worden sei! Er heuchelt ein Interesse, Snowden zu vernehmen, wenn er in Deutschland wäre, und vertritt zugleich die Haltung der Bundesregierung, die ihn auf gar keinen Fall hierher holen will. Wenn jemand es für nötig hält, derart offensichtlichen Rufmord in Richtung Snowden zu betreiben, und dabei noch behauptet, er würde keine Behauptungen machen und keine Desinformation betreiben, dann zeigt das, daß Snowden genau getroffen hat. Außerdem zeigt es die absolute Geringschätzung Maaßens an die Adresse der Ausschußmitglieder, die er offensichtlich provozieren will.
Fast noch frecher finde ich aber seine Andeutung, die Arbeit des Ausschusses, insbesondere der Auwand, der in seiner Behörde deswegen entsteht, würde letztlich die Terrorismusgefahr vergrößern. Das kann man schon perfide nennen: Ihr seid schuld wenn was passiert. Das geht schon gefährlich nahe an einen Verdacht, den man eben auch haben kann: Daß nämlich die Geheimdienste kein allzu großes Interesse daran haben wenn der Terrorismus aufhört, denn so lange die Gefahr besteht, mindestens gefühlt, so lange kriegen die Dienste Geld und Handlungsspielraum. Wenn man sich so ansieht, was Maaßen alles für plausibel hält, könnte dann nicht auch plausibel genannt werden, daß sich die Dienste ihre eigene Existenzgrundlage womöglich sichern wollen auch durch weniger legitime Tricks? Umso besser wenn man vorsorglich sogar die Verantwortung dafür an einen Untersuchungsausschuß abtreten kann, oder?
Ich habe natürlich nichts behauptet, wie Maaßen, aber Überlegungen dürfen doch wohl noch angestellt werden, auf Möglichkeiten wird doch wohl noch hingewiesen werden dürfen, nicht wahr? ;-)
Und zum Schluß zum Thema Drohnen noch mein Lieblingssatz von Maaßen: "Politisch wollten wir nicht mitarbeiten an Drohneneinsätzen." (Keine Ahnung ob er das wörtlich gesagt hat, aber sinngemäß trifft's absolut den Punkt). Das ist genau die Haltung, die sich schon seit Langem bei den Diensten wie bei der Bundesregierung herausschält: Wir wissen natürlich, was läuft, offiziell wissen wir aber nichts, vertrauen wir unseren Partnern, selbst dann noch wenn die Spatzen alles von den Dächern pfeifen, und wir sichern uns durch passend formulierte Dokumente ab. Politisch können wir uns damit als Unbeteiligte darstellen, und das ist worauf es ankommt. Wir wissen, daß durch Drohnen Leute ohne faires Verfahren umgebracht werden, und wir helfen dabei so weit mit, wie es möglich ist ohne sich nach außen hin die Finger damit schmutzig zu machen.
Da ist die institutionelle Nicht-Verantwortung auf's Tödlichste perfektioniert worden, und die menschliche Ethik ist in den Ritzen zwischen den Ämtern, Diensten und Paragraphen versickert.
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