Ich habe mir den Höcke reingezogen. Nachdem die ganze Zeit in allen Medien drüber hyperventiliert wurde, hatte ich das Bedürfnis mir das in Gänze selber anzusehen (eine Textversion gibt's hier). Es hat sich gelohnt. Mir ist nun aus eigener Anschauung klar, daß Höcke ein Nazi ist. Ich kann seinen Auftritt nicht anders werten. Der Mann weiß was er sagt und wie er es interpretiert haben will.
Genauso interessant fand ich aber auch das Publikum. Das paßt dazu wie die Faust auf's Auge. Die machen auch keinen Hehl daraus wo sie gesinnungsmäßig stehen. Das Verhalten ist mehr Mob als Volk, man hat den Eindruck daß sie geradezu darauf warten, eine Grenzüberschreitung zu begehen, jemandem etwas anzutun, der ihnen in die Quere kommt.
Und das soll repräsentativ sein für das deutsche Volk? Welche Anmaßung, sich dafür auch noch als Avantgarde in Szene zu setzen!
Ich verstehe auch nicht wie man sich als Politiker in Deutschland so lahmarschig dagegen stellen kann. In den Medien ist von "scharfer Kritik" die Rede, aber selten schafft es einmal jemand, eine klare Alternativ-Vision dagegen zu stellen. Im Grunde wird damit Höcke sogar recht gegeben, der das Fehlen einer Vision beklagt. Wir brauchen tatsächlich eine Vision, wohin wir mit unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserer Welt wollen. Empörung ist noch keine Vision, selbst wenn sie berechtigt ist. So werden wir nicht gegen die Neonazis ankommen.
Der zentrale Punkt einer Vision, wie sie mir vorschweben würde, ist die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen. Es ist die Idee allgemeiner Menschenrechte. Diese Idee ist diametral entgegengesetzt einer völkischen Vorstellung. Es geht darum, ob man eine Ideologie der Verbindung und Versöhnung, oder eine Ideologie der Abgrenzung und Abwertung vertritt. Ich bin der Meinung, daß diese Frage so grundsätzlich ist wie sie nur sein kann. Bin ich der natürliche Freund, oder der natürliche Feind der anderen Menschen? Geht es im Leben um Kooperation oder um Kampf? Treiben wir Handel oder betreiben wir Krieg?
In vorigen Artikeln hier habe ich mich um die Religionen gekümmert, und unter Anderem gezeigt wie sie ganz explizit die Abgrenzung und auch die Abwertung der Anderen betreiben. Hier geht es mir um völkische Vorstellungen und Ideologien, wie sie Höcke vertritt. Auch wenn diese üblicherweise nicht unter religiösem Vorzeichen gesehen werden, sehe ich da ganz ähnliche Vorstellungen am Werk. Mir ist es ziemlich egal ob sich eine Gruppe abgrenzt und andere abwertet aus religiösen Motiven oder aus völkischen Motiven. Ich denke die unterbewußte Triebfeder ist oft dieselbe, und die beiden Motive können sich mühelos miteinander verbinden.
Hier wie dort steht die Treue bzw. der Verrat als Denkschema ganz oben. In beiden Fällen wird auf Abweichler ähnlich rigoros reagiert. Es geht nicht um "wahr oder falsch", sondern um "mit uns oder gegen uns". Irgendwelche Wahrheitsphantasien und -sprüche, wie sie auch von Höcke kommen, sollten darüber nicht hinweg täuschen. Wahrheit ist das allerletzte worum es hier geht.
Was ist denn das Volk? Das "liebe Volk" wie es Höcke fast zärtlich nennt, ganz ähnlich wie Christen gerne vom "lieben Gott" reden. Was bewirkt, daß ich zu diesem Volk dazu gehöre? Je mehr Gedanken ich mir dazu mache, desto unklarer wird es. Genauso geht es mir mit dem Vaterland. Was ist mein Vaterland? Welche Grenzen hat es? Was liebe ich eigentlich, wenn ich mein Vaterland liebe? Was liebt Höcke?
Ich bin in einem Dorf in Württemberg geboren, sogar im Hause meiner Eltern. Ich kann also sagen, daß das kleine Stück Land, auf dem ich geboren bin, meinem Vater tatsächlich gehört hat. Eingetragen im Grundbuch. Ist das mein Vaterland? So hätte das durchaus Sinn und wäre auch klar abgrenzbar, aber das meint Höcke ganz bestimmt nicht. Das "Bundesland" heißt damals wie heute "Baden-Württemberg", also könnte das mein Vaterland sein, aber da wird es schon problematischer, weil zu der Zeit, als mein Vater geboren wurde, das Bundesland in dieser Form noch nicht existiert hat. Zu Zeit seiner Geburt wurde das Land Württemberg gerade von den Nazis gleichgeschaltet, es ist dann schließlich im Dritten Reich aufgegangen. Mein Vaterland (im Sinne von "Geburtsland meines Vaters") könnte also entweder das alte Württemberg, oder das Dritte Reich sein. Oder ist mein Vaterland die Bundesrepublik Deutschland? Wenn ja, in welchen Grenzen? Als ich geboren wurde gehörten die "neuen Bundesländer" noch nicht dazu. Das Saarland war aber immerhin schon beigetreten.
Meinem eigenen Gefühl würde es eher entsprechen, von Europa als meinem "Vaterland" zu reden, besonders wenn ich als Kriterium dafür nehme was ich "liebe". Ich fühle mich den Schweizern emotional näher als den Sachsen (was ja auch geografisch passt), und ich spüre eine gewisse Affinität sowohl zu den Briten als auch zu den Spaniern. Generell finde ich es grandios, wie sehr wir in der Welt zusammen gewachsen sind, und wie einfach es geworden ist, Freunde auch auf anderen Kontinenten zu finden. Schon die Idee, über einen diffusen Volksbegriff irgendwelche Grenzen hochzuziehen geht mir gewaltig gegen den Strich, besonders wenn dem auch (grenzbildende) Taten folgen.
Woran macht Höcke seinen Vaterlandsbegriff fest? Was lieben denn die Pegida-Leute wenn sie von "Vaterlandsliebe" reden? Es bleibt ziemlich im Ungefähren. Muß es ja auch, denn es gibt schlicht keine sinnvolle Definition von "Volk" oder von "Vaterland", die nicht von vorn herein willkürlich wäre. Für Höcke scheint klar zu sein daß Dresden zum Vaterland dazu gehört, daß die Leute zu denen er redet zum "Volk" dazu gehören, das behaupten sie schließlich zu jeder unpassenden Gelegenheit selber. Für mich ist das nicht klar. Im Gegenteil, wenn ich mir das ansehe will ich gerade nicht dazugehören. Von Liebe ist da keine Spur.
Dabei würde ich wohl alle formalen Kriterien erfüllen, von denen ich vermute daß Höcke sie im Sinn hat. Neben der oben schon erwähnten Stelle an der ich geboren wurde kommt dazu daß ich deutsch spreche (was ich als Schwabe erst in der Schule lernen mußte), daß mein Stammbaum bis recht weit zurück ebenfalls aus Deutschen irgendwelcher Definition besteht (was man heute anscheinend "biodeutsch" nennt, was immer das genau bedeuten möge), und daß ich die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Ich habe auch keine Erkenntnisse daß unter meinen Vorfahren jemand Jude war, was eventuell für Höcke ein wichtiges Kriterium wäre, so genau weiß ich das nicht.
Das bringt mich im Vorbeigehen auf die Frage, ob jüdische Vorfahren mit der Eigenschaft im Konflikt stehen, biodeutsch zu sein. Ab wann genau ist man biodeutsch? Ich bin Informatiker, kann mir also jemand einen Algorithmus nennen, in den man den Stammbaum (und wenn's sein muß weitere Informationen) hinein füttert, und heraus kommt ob man Biodeutscher ist? Reicht es wenn ich ein halbes Leben lang deutsches Sauerkraut esse, weil dann die meisten meiner Körpermoleküle deutsch sind? Oder gibt's einen Gentest dafür? Wenn sich dabei heraus stellt, daß ein paar Römergene von vor 2000 Jahren dabei sind, ist dann mein Biodeutschtum in Gefahr? Könnte durchaus sein, denn ich bin nicht blond.
Vielleicht ist inzwischen hinreichend klar geworden, daß ich die Begriffe "Volk" und "Vaterland" für willkürlich, sinnlos und bescheuert halte. Diese Begriffe sind mit Vorstellungen verbunden, die keine Basis in der Realität haben. Auch wir Deutschen, so wie alle anderen "Völker", sind nie ein einheitliches und klar abgrenzbares Volk gewesen, noch haben wir ein klar abgrenzbares Vaterland gehabt. Diese Begriffe sind eine Erfindung, deren einziger Zweck es ist, eine künstliche Trennlinie zu schaffen für die es keine sinnvolle Rechtfertigung gibt.
Ebenso ist es mit der Bezugnahme auf die deutschen Geistesgrößen, die Höcke der nachwachsenden Generation als Vorbilder anempfiehlt. Er nennt hier keine Namen, ich bin also auf Vermutungen angewiesen, wen er gemeint haben könnte. Es könnte natürlich im Extremfall bei ihm auch Hitler dazu gehören, es ist nicht ganz abwegig, das zu vermuten, siehe weiter unten. Er redete von "den großen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen, den
Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern [...],
von denen wir ja so viele haben" und verweist auf seinen Vorredner Markus Mohr aus Aachen, der seit voriges Jahr von der AfD ausgeschlossen werden soll (ist auf obigem Link ebenfalls zu hören, einfach zurückspulen), der ein paar Namen genannt hatte, im Kontext einer bemerkenswerten Begründung seines Volksbegriffes, die auf das 19. Jahrhundert zurückgreift, in dem sich seiner Darstellung nach die weiße Überlegenheit manifestierte. Guckt Euch das an (etwa ab Minute 28:50), ich finde das eher noch widerlicher als was Höcke da zum Besten gibt. Achtet speziell darauf wie selektiv er da argumentiert, es ist fast wichtiger was er nicht erwähnt als das was er erwähnt. (Er bringt es zum Beispiel fertig, den deutschen Sozialstaat Bismarck'scher Zeiten zu loben, ohne ein einziges Mal die Sozialdemokratie zu erwähnen, und er tut so als wäre heutiger "Faustrecht"-Kapitalismus eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts).
Mohr nennt folgende Namen als Beispiele deutscher Vorbilder: Röntgen, Koch, Hoffmann, Planck, Daimler, Diesel, Siemens und Bosch. Das sind nur Entdecker und Industrielle, keine Musiker oder Philosophen, aber schon hier erkennt man wo der Hase lang läuft. Für mich besonders hervorstechend ist die Auslassung von Albert Einstein. Der ist zwar einer der bedeutendsten Physiker aller Zeiten, aber für völkische Propaganda denkbar ungeeignet. Für mich ist er Vorbild par Excellence, weit mehr als die Wissenschaftler in Mohr's Aufzählung. Für Mohr anscheinend eher nicht. Ich denke ich weiß warum:
Einstein war zwar gebürtiger Deutscher, aber seine Eltern waren deutsche Juden. Im Verlauf seines Lebens war Einstein Staatsbürger von insgesamt 4 Staaten, neben Deutschland war das die Schweiz, Österreich und die USA. Ein paar Jahre lang war er sogar staatenlos. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er wegen der Nazis ausdrücklich abgegeben. Für Volksideologen ist er damit ein Problem. Am einfachsten haben es noch die Judenhasser unter ihnen, denn die können unabhängig von Geburt und Staatsbürgerschaft immer auf seine Abstammung verweisen, aber selbst wenn das bei Mohr nicht der entscheidende Faktor sein sollte (ich bin da mal vorsichtig), stellt sich immer noch die Frage was für ihn das Ausschlußkriterium war. Es muß ein Ausschlußkriterium für Mohr geben, denn sonst wird Einstein ja auch für alles Mögliche als Galionsfigur hergenommen, und Mohr hätte nicht auf vergleichsweise unbekanntere Namen zurückgreifen müssen. Wenn es nicht die jüdische Herkunft war, dann wird es wohl die Zurückweisung der deutschen Staatsbürgerschaft gewesen sein, die für einen Volksideologen einem Verrat gleichkommen muß. Aber an dieser Stelle müßte man anfangen, sich mit dem Erbe des Nationalsozialismus auseinander zu setzen, und das fürchten offensichtlich sowohl Mohr wie auch Höcke wie der Teufel das Weihwasser (so weit ich das als Atheist so sagen darf).
Es zeigt sich wie widersinnig und widerwärtig diese Volksideologie sich unweigerlich darstellt sobald man das Gehirn einschaltet. Was hat eine wie auch immer definierte Volkszugehörigkeit mit wissenschaftlichen, künstlerischen, technischen oder geistigen Leistungen zu tun? Es zeigt sich doch gerade im Gegenteil, daß diese Kulturleistungen jede Volksgrenze und jede Vaterlandsgrenze überspannen und ignorieren. Schon im 19. Jahrhundert war Wissenschaft eine internationale Angelegenheit, wo man über alle Grenzen hinweg miteinander korrespondiert hat, kooperiert hat, gegeneinander konkurriert hat, und auch Personal ausgetauscht hat. Umso mehr noch ist das heute der Fall. Nehmt das CERN bei Genf als Beispiel. Jede völkische Ideologie ist ein Schlag ins Gesicht jedes Einzelnen der Mitarbeiter dort. Es ist eine Verhöhnung von allem was die Wissenschaft heutzutage ausmacht.
Es ist nicht besser bei anderen Kulturleistungen. Nehmen wir z.B. die Literatur. Schon seit Jahrhunderten lesen wir die Werke ausländischer Autoren genauso wie der deutschen Autoren, und lassen uns von ihnen inspirieren. Ist etwa an Goethe irgend etwas besser als an Shakespeare? Weswegen sollte ich stolzer auf den einen als auf den anderen sein? Und wenn es aktuelle Autoren sein sollen: Ich bin glücklich daß wir Autoren wie z.B. Navid Kermani haben. Der ist ein in Deutschland geborenes Kind iranischer Einwanderer, ein Moslem, verheiratet mit einer halbiranischen Islamwissenschaftlerin, und er ist ein herausragender Autor, der der deutschen Sprache mächtiger ist als die allermeisten AfDler, vom geistigen Horizont ganz zu schweigen. Wenn ich schon auf Goethe stolz sein soll, dann möchte ich auch auf Kermani stolz sein dürfen. Wenn ich 10 Kermanis haben könnte würde ich dafür 1000 AfDler zum Mond schießen, und den Saldo als Gewinn verbuchen. Und das sage ich als überzeugter Atheist.
Überhaupt der Stolz. Warum ist man auf Dinge oder Leute stolz, für die man rein gar nichts kann, bzw. zu denen man keinerlei Beitrag geleistet hat? Kommt mir seltsam vor. Was bedeutet es, wenn ich auf Goethe stolz bin? Ist das nicht sinnlos? Ich bin froh, daß es ihn gab, aber es ist mir ziemlich egal ob er Deutscher war oder nicht. Bei Einstein spielt das ja auch keine Rolle, seine Leistung ist so oder so immer die gleiche. Warum kann ich mich nicht genauso wie mit Goethe auch mit Tolstoi, Shakespeare, de Montaigne, Dante oder gerne auch Lao Tse identifizieren? Man hat von allen denen einen Gewinn, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. Manchmal kommt es mir so vor als wären gerade diejenigen am interessantesten, die sich nicht einfach in ein völkisches Schema pressen lassen.
Bei der Musik ist es beinahe noch eindeutiger zu sehen, vielleicht weil die Musik eine ganz eigene Sprache ist, die die gesprochene Sprache transzendiert. Ich brauche gar nichts dazu auszuführen, überlegt Euch einfach selber was eine völkische Einteilung und Abgrenzung gerade der heutigen Musik antun würde. Es wäre schlicht absurd, eine Gewalttat an der Kunst.
Wann immer die völkischen Ideologen die Kulturleistungen in ihr eigenes Raster einspannen wollten, war das Ergebnis ein Gemetzel, und eine geistige Verödung. Für ignorante AfDler: Ja, das war ein versteckter Hinweis auf die Nazizeit. Ich finde wirklich nicht daß es zur Zierde gereicht wenn man dieses Thema ausblendet. Ich könnte das weitaus drastischer ausdrücken, aber das muß ich wohl gar nicht.
Das hat alles nichts mit der Vision zu tun, die heute not täte. Unsere Kultur ist global, und es führt kein sinnvoller Weg zurück. Die Probleme unserer heutigen Welt sind beträchtlich, aber der Weg zu einer Lösung kann nur vorwärts führen. Wir brauchen Leute, die Zusammenhänge und Verbindungen sehen und schaffen, und nicht solche, die Grenzen und Überlegenheitsillusionen konstruieren. Es gibt nur ein Volk: Die Menschheit.
Ich bin gleichermaßen Schwabe, Deutscher, Europäer und Weltbürger. Alle diese Zugehörigkeiten bestehen nebeneinander und gleichberechtigt. Ich sehe nicht ein warum eine davon wichtiger sein sollte als eine andere. Meine Loyalitäten gelten nicht einer Landkarte, sondern sie gelten ein paar Grundsätzen, die ich für wichtig halte. Das "Volk", das ich "liebe", ist das Volk der aufgeklärten Humanisten, der freiheitsliebenden, wahrheitsliebenden Toleranten. Manche würden sagen der linksgrün-versifften Halligalli-Multikulti-Gutmenschen, aber das können sie sich in den Arsch schieben. Mein "Volk" basiert auf Überzeugungen und Werten, nicht auf Haarfarben, Stammbäumen und Überlegenheitsphantasien.
Wenn es gelänge, ein funktionierendes Europa als ein Art von föderal organisiertem Staatswesen zu schaffen, in dem glaubwürdig demokratische Verhältnisse herrschen, dann hätte ich nicht das geringste Problem damit, Deutschland darin aufgehen zu lassen. Deutschland hätte dann seinen Zweck erfüllt, und könnte sich in Ehren zur Ruhe setzen, bzw. in die Geschichte eingehen. Den deutschen Teil seiner Identität bräuchte deswegen niemand aufzugeben, und es wäre auch nicht das was Höcke "Selbstauflösung" nennt. Ich finde es lohnt sich immer noch, darauf hinzuwirken, denn ich glaube nicht daß Europa ein prinzipielles Problem hat. Ich glaube eher es ist ein Problem politischer und gesellschaftlicher Kleinkariertheit.
Wenn ein völkisch verstandenes Deutschland, so wie es Höcke offenbar im Kopf herum geistert, wirklich so einfach aufzulösen wäre wie ein Stück Seife, dann würde ich mich glücklich schätzen, meinen lauwarmen Wasserstrahl dafür zur Verfügung stellen zu dürfen.
Nur, leider, so einfach wird es nicht sein. Erst einmal werden wir Europa reparieren müssen. Die Grundidee ist gut, aber wir brauchen weniger nationale Egoismen und Kleinkariertheit. Jedes Land sollte nicht bloß daran interessiert sein, was für es selbst dabei heraus springt, sondern daran, was für Europa im Ganzen gut ist. Und das sollte auch nicht so verstanden werden, daß es gegen andere, außereuropäische Staaten und Regionen gerichtet ist, sondern daß es der Zusammenarbeit und dem Interessenausgleich verpflichtet ist. Dafür muß man die Länder tiefer hängen, und Europa höher. Das bedeutet mehr direkte Demokratie in Europa, und weniger Kungel-Gipfel zwischen den Regierungschefs. Mehr Parlament und weniger Rat.
Ich verstehe nicht recht warum ausgerechnet Höcke's Satz über das Holocaust-Denkmal so eine große Empörung ausgelöst hat. An dem was er sagte gibt's vieles, worüber man sich mindestens ebenso aufregen kann. Natürlich ist das ein Denkmal der Schande. Es wurde errichtet, um eine der schwärzesten, unmenschlichsten Seiten der deutschen Geschichte (und der Geschichte überhaupt) in Erinnerung zu rufen. Es zeugt von Größe, und gereicht Deutschland zur Ehre, daß es ein solches Denkmal errichtet hat. Wir haben erst vor Kurzem anläßlich der Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern in der Türkei gesehen, wie schwer sich andere Länder mit so etwas tun, und wie dadurch die Bewältigung so eines Traumas in die Länge gezogen wird, gerade auch für die Betroffenen und ihre Nachfahren.
Höcke scheint es eher so halten zu wollen wie die türkische Regierung es in diesem Fall vormacht. Ich halte das für ein jämmerliches und kleingeistiges Verleugnen historischer Tatsachen, für etwas das nicht nur die Opfer beleidigt, sondern die Wahrheit selbst verhöhnt, und alle Bürger, denen die Wahrheit etwas bedeutet. Zur Geschichte eines Landes gehören auch seine dunklen Seiten, und sich diese immer wieder ins Gedächtnis zu rufen ist keine hinderliche Selbstkasteiung, sondern eine notwendige Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Rolle in der Welt.
Ich verstehe auch nicht wie man auf die Idee kommen kann, diese Art der Vergangenheitsbewältigung lähme ein Volk. Wenn ich auf die Zeit zurück blicke, die ich selber bewußt mitgekriegt habe, dann kann ich keine solche Lähmung erkennen, obwohl das Thema Drittes Reich und Holocaust regelmäßig in der Diskussion war. Im Gegenteil, ich bin der Überzeugung daß die Beschäftigung mit diesem Thema Deutschland erheblich weiter gebracht hat. Diese Auseinandersetzung hat Deutschland aus meiner Sicht in praktisch jeder Hinsicht genutzt. Deutschland ist in dieser Zeit im internationalen Ansehen erheblich gestiegen, und zwar in einem staunenswerten Ausmaß angesichts des verheerenden zweiten Weltkrieges und des Holocaust.
Diese Erinnerungskultur, die Höcke am liebsten um 180 Grad wenden würde, ist ein absolutes Erfolgsmodell, und ich kann anderen Ländern nur empfehlen, sich ebenfalls Denkmale ihrer eigenen Schande zu errichten. Zum Beispiel Türkei: Ein Denkmal der Schande der Armenierverfolgung mitten in Ankara, damit würde die Türkei nicht erniedrigt, sondern erhöht.
Das einzige was solche Diskussionen und solche Denkmäler behindern ist das, was sie auch behindern sollen, nämlich das Vergessen. Die Geschichte eines jeden Landes besteht aus guten und schlechten Teilen, aus Wohltaten und aus Verbrechen. Nur wer beides im Blick hat, kann auch eine realistische Sebsteinschätzung gewinnen. Das Ausblenden des unangenehmen Teils der eigenen Geschichte ist immer eine Fälschung.
Diese Fälschung ist bei Höcke klar zu erkennen. Seine Darstellung der Geschichte konstruiert ein reines Opferszenario, ohne jeden Hinweis auf eine deutsche Verantwortung für das was da geschah. Er pickt sich die Bombardierung Dresdens heraus als Beispiel, um diese Opferlegende zu konstruieren. Auch wenn man mit ihm der Meinung sein sollte, daß es sich dabei um ein alliiertes Kriegsverbrechen gehandelt hat, fällt doch auf daß der einzige Satz, mit dem er versucht, das in einen größeren Zusammenhang zu stellen, der Vergleich mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ist. Spätestens an dieser Stelle ist die demagogische Absicht nicht mehr zu übersehen. Hätte er eine etwas verantwortungsvollere Einordnung angestrebt, dann hätte er z.B. das deutsche Kriegsverbrechen der Belagerung von Leningrad dagegen stellen können. Ich überlasse es Euch, sich ein Bild zu verschaffen wie dieser Vergleich ausgesehen hätte.
Krasser noch wird Höcke, wenn er die Bombardierung von Dresden als Versuch wertet, den Deutschen ihre Identität und ihre Wurzeln zu rauben. Davon kann keine Rede sein, und abgesehen davon daß es eine ungeheuerliche Verleumdung der Alliierten ist, die in vielen Fällen deutsches Kulturgut im Krieg bewußt geschont haben, und nach dem Krieg Deutschland großzügig wieder auf die Beine gebracht haben, ist es der Versuch, das was die Nazis, also die Deutschen, betrieben haben, was ein Hauptmotiv des Krieges war, nämlich die Vernichtung anderer Völker, den Alliierten zu unterstellen. Für mich ist dieser Teil die empörendste von allen Lügen, die Höcke an diesem Tag verbreitet hat. Es ist auch der Teil an dem am klarsten wird, daß er die Nazis rehabilitieren will.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was genau er meint wenn er von den "großartigen Leistungen der Altvorderen" redet, an die wir uns lebendig erinnern sollen. Es werden wohl kaum nur Goethe und Schiller sein. So wie er redet meint er wahrscheinlich die Nazis.
Solche Leute wie Höcke oder Mohr werden die deutsche oder europäische Kultur nicht retten, sie werden sie vernichten. Am Ende wird wieder ein rauchender Trümmerhaufen stehen, wenn wir dem nicht vorher Einhalt gebieten.
Wir sitzen alle im gleichen Boot mit Namen "Erde", und wir werden alle miteinander untergehen, wenn wir das nicht begreifen. Das ist keine "One-World-Ideologie", das ist ganz einfach die Realität.
In diesem Video läßt er sich über "1000 Jahre Deutschland" aus:
AntwortenLöschenhttps://www.youtube.com/watch?v=8h6qyfSxhMA
seh ich auch so wie du schreibst.
AntwortenLöschenaber was solls - wer das sagen hat sieht man ja auch am umgang mit den NSU-morden u.v.a.
wenn ein gehlen so lange im amt war, ein de maiziere ohne zur rechenschaft gezogen zu werden agieren kann - siehe sachsensumpf - usw.usf.....
die liste ließe sich endlos fortsetzen.
gefährlicher als der mob auf der straße sind diejenigen, die diese leute bezahlen, organisieren etc.
ob naziputsch in der ukraine, syrien, afrika....
wie du schreibst - eine welt, eine menschheit.
wie sagen kriminalisten? folge dem geld.
gruß reinhard