Freitag, 10. April 2009

Wie die Faust auf's Auge

Kaum ist die virtuelle Tinte meines vorigen Blog-Artikels trocken, werde ich auf den neuesten Verstärker-Test der Stereoplay 05/2009 aufmerksam gemacht. Und was für einen kapitalen Bock wir da doch haben, der blöde auf der Lichtung herum steht und auf seinen Abschuß wartet!

Wenn's bloß einer der diversen normalen Verstärkertests gewesen wäre hätte sich das Finger krumm machen wohl kaum gelohnt, und auch die Sensationen gibt's bei der Stereoplay seit Jahrzehnten im Dutzend billiger. Aber diesmal behaupten sie den meßtechnischen Nachweis für Verstärkerklang zu haben! Der meßtechnische Nachweis, der ultimative Maulkorb für skeptische Technokraten, das Nirvana für den Audiophilen!

Meßtechnischer Nachweis für Verstärkerklang? Kein Problem, hätte ein halbwegs informierter Praktiker bisher gesagt: Man nehme auf der einen Seite einen vernünftig konstruierten Verstärker, und auf der anderen Seite einen der diversen Verstärker, die nach einer bescheuerten High-End-"Philosophie" konstruiert sind, der man die Verantwortungs- oder Ahnungslosigkeit des Konstrukteurs anmerkt, und es müßte schon mit dem Teufel zugehen wenn letzterer nicht eine meßtechnische Auffälligkeit zeigen würde, die für einen hörbaren klanglichen Effekt locker ausreicht.

Möglichkeiten gäbe es dafür ja viele: So schlampiges (sorry: spartanisches) Design, daß sich Störungen in Form von Brummen oder Hochfrequenz-Einflüssen bemerkbar machen (muß ja nicht so schlimm sein daß es direkt auffällt). Oder reichlich Verzerrungen, was besonders bei den Gegenkopplungs-Hassern gern genommen wird. Oder ein so "sensibles" Design daß sich der Frequenzgang durch die Impedanzkurve des angeschlossenen Lautsprechers verbiegen läßt.

Aber nein, nichts von alledem, man hat eine andere Entdeckung gemacht:

Lautsprecher verhalten sich "reaktiv", das heißt sie speichern Energie und schieben sie in Form von Strom gelegentlich zurück zum Verstärker. Und nicht alle Verstärker reagieren darauf gleich.

So haben sie es nicht ausgedrückt, aber darauf läuft es hinaus. Herausgefunden haben sie dieses Phänomen indem sie den Strom gemessen haben, der in der Lautsprecherleitung fließt, und zwar indem sie einen 0,1 Ohm Widerstand in die Leitung eingefügt haben und die daran abfallende Spannung gemessen haben. Sehr clever. Das Ohmsche Gesetz haben sie also schon mal verstanden.

Der Praktiker schließt daraus daß das Stereoplay-Labor die sehr nützliche Anschaffung einer guten Stromzange bisher noch nicht getätigt hat, die diese Messung noch erheblich vereinfacht hätte. Ich habe mehrere. Für einen Moment empfand ich Mitleid. Aber dann fiel mir auf dem Foto das Audio Precision System 2 Dual Domain ins Auge...

Wie dem auch sei, die Stereoplay hat damit ein Phänomen entdeckt, das einem Praktiker von vorn herein klar war und seit Jahrzehnten bekannt. Die Ironie des Ganzen ist daß sie das sogar mit einer Lautsprecher-Simulation (also einer "stummen" Nachbildung der elektrischen Eigenschaften eines Lautsprechers, gebaut aus Kondensatoren, Widerständen und Spulen) gemessen haben. Wenn man schon so weit geht, dann gesteht man zu daß man lediglich das idealisierte Verhalten so einer Nachbildung zugrunde legt, und den realen Lautsprecher nicht braucht, und von da aus könnte man leicht auch den Schritt zur kompletten Simulation im Rechner machen.

Die kleinen Unterschiede zwischen den Stromkurven zwischen den verschiedenen Verstärkern werden nun dafür verantwortlich gemacht daß sie unterschiedlich klingen. Da fliegt der Mist dann vollends in den Propeller. Einem Praktiker wäre sofort klar daß die gezeigten Unterschiede auf eine unterschiedliche Quellimpedanz (= Ausgangswiderstand) des Verstärkers zurückgehen müssen. Das erwähnt die Stereoplay noch nicht einmal. Stattdessen wird wie selbstverständlich behauptet daß dadurch Verzerrungen entstehen würden. Und zwar umso mehr je höher die Ströme werden.

Welch manifester Unsinn das ist läßt sich verdeutlichen wenn man sich klar macht das Lautsprecher ganz bewußt so entwickelt werden daß sie im Verstärker eine möglichst ideale Spannungsquelle voraussetzen. Der Ausgangswiderstand des idealen Verstärkers ist Null Ohm, der Dämpfungsfaktor damit unendlich. Die automatische Folge davon ist daß die Ströme, die aufgrund der reaktiven Natur des Lautsprechers entstehen, maximal werden. Der Effekt dieser Ströme ist eine Dämpfung der Lautsprecher-Chassis, das heißt sie dürfen nicht ihrer Massenträgheit nachgeben und rumwabbeln bzw. nachschwingen, sondern sie folgen den Vorgaben des Verstärkers. Die Ströme sind der Nebeneffekt dieser "Kontrolle". Der Begriff des Dämpfungsfaktors soll daran erinnern, und nicht umsonst hat man (auch die Stereoplay) uns in der Vergangenheit immer erklärt, der Dämpfungsfaktor müsse möglichst hoch sein.

Was man jetzt behauptet läuft auf das Gegenteil hinaus: Zu große Kontrolle würde angeblich Verzerrungen produzieren, ein klangverfälschendes Nachschwingen, eine Gefahr für einen "natürlichen Klirrverlauf". Erhoffen Sie keine Erklärung dafür, das wird einfach so behauptet, und man erwartet daß Sie das glauben! Es ist auch schwer zu erklären, denn ein hoher Dämpfungsfaktor verhindert ja gerade ein Nachschwingen, das sich andernfalls aus Massenträgheit ergeben würde! Was ein "natürlicher Klirrverlauf" bedeuten soll bleibt selbstredend ebenfalls im Dunkeln. Für mich wäre kein Klirr der natürlichste Klirr, aber ich fürchte so war's nicht gemeint.

Dementsprechend wird auch behauptet die leicht unterschiedlichen Stromkurven verrieten Verzerrungen. Mir verraten sie das jedenfalls nicht. Am Stromverlauf kann man die Verzerrungen, die ein Lautsprecher produziert, nicht erkennen, jedenfalls nicht auf die gezeigte Art. Auch dafür fehlt selbstverständlich jede weitere Erklärung im Artikel. Die Art der Unterschiede in den gezeigten Kurven deuten dagegen sehr direkt auf einen leichten Unterschied der Quellimpedanz hin, und zwar ist sie umso höher je niedriger die Kurve zu liegen kommt. Wenn man von der Stereoplay erfahren würde wie das Ersatzschaltbild der verwendeten Lautsprechersimulation aussieht, dann wäre es ein Leichtes gewesen, den Effekt (also die Kurven) in der Simulation nachzuvollziehen. 10 Minuten Beschäftigung mit LTspice hätten genügt. Nebenbei wäre dabei abgefallen welche Ausgangsimpedanzen die verwendeten Verstärker gehabt haben - auch das ist dem Stereoplay-Artikel nicht zu entnehmen.

Wenn man schon von der Ausgangsimpedanz redet kommt man fast automatisch zur Gegenkopplung. Wie schon der Erfinder der Gegenkopplung, Harold Black, vor 75 Jahren wußte, reduziert die Gegenkopplung die Ausgangsimpedanz. Das ist eine von diversen nützlichen Eigenschaften der Gegenkopplung, und wenn man alle nützlichen Eigenschaften zusammen nimmt kommt man unweigerlich zum Ergebnis daß die Gegenkopplung vermutlich eine der besten Erfindungen der gesamten Menschheitsgeschichte ist. Besser sollte man wohl sagen: Entdeckungen, denn die Natur benutzt haufenweise Gegenkopplungen schon seit Anfang der Zeit, ohne daß es dazu den Menschen gebraucht hätte.

Eine so mächtige Technik birgt ihre Risiken, und das kann auch mal ins Auge gehen, aber dadurch wird der Wert der Technik nicht geschmälert. Es ist daher eigentlich unverständlich warum der Ruf der Gegenkopplung in der High-End-Szene so schlecht ist, und auch die Stereoplay einstimmt in den Chor derjenigen, die sie ablehnen. Aber nach meiner bisherigen Erfahrung liegt das einfach daran daß sie über den Horizont der meisten Audiophilen geht. Was sie nicht kapieren kann in ihren Augen nichts taugen, so scheint die einfache Logik zu sein. Schon der wahrhaft beschränkte Einwand, die durch die Gegenkopplungs-Schleife bewirkte Korrektur käme immer zu spät, legt vom Unverständnis ein beredtes Zeugnis ab.

Wie weit dieses Unverständnis geht zeigt sich deutlich am Stereoplay-Artikel. Der beste Verstärker dort wird deswegen gelobt weil die Ausgangstransistoren nicht in die Gegenkopplungs-Schleife mit aufgenommen sind. Die unweigerliche Folge davon ist nicht nur ein höherer Ausgangswiderstand, wie sich in der Messung dann ja auch bestätigt, sondern auch ein erschreckend hoher Klirrpegel.

Die Reduktion des Klirrs ist ein anderer wichtiger Nutzen der Gegenkopplung, von daher überrascht dieses Ergebnis keineswegs. Was aber die flache Hand auf der Stirn aufschlagen läßt (oder die Stirn auf der Tastatur) ist die Tatsache daß dieser Klirrpegel anscheinend von der Stereoplay mit dem Klang des Verstärkers nicht in Zusammenhang gebracht wird!

Das ziehe man sich mal rein: Die Stereoplay testet einen Verstärker, von dem schon klar ist daß wegen seines Verzichts auf Gegenkopplung "über alles" damit zu rechnen ist daß höherer Klirr und höherer Ausgangswiderstand zu erwarten sind (siehe der alte Harold Black). Die Messungen bestätigen das eindrücklich. Der Klirr ist sogar so hoch daß man mit einer Hörbarkeit desselben rechnen muß, was für einen Audio-Verstärker wahrlich ein Armutszeugnis ist, sogar für einen der nur einen Bruchteil kostet. Trotzdem begibt man sich auf die Suche nach einer anderen Erklärung für den gehörten Unterschied, und wird fündig bei einem Effekt, der sich von selbst versteht, der genau entgegen der bisherigen "Weisheit" interpretiert wird, dessen Zusammenhang zum Gehörten einfach postuliert und keineswegs nachgewiesen wird, und dessen Auswirkungen völlig unerklärt und widersinnig bleiben. Chapeau!

Wenn das die Fähigkeiten der "Meßtechniker" bei der Stereoplay repräsentativ demonstrieren sollte, dann machen sie sich überflüssig. Besonders der gute Audio Precision läßt eine Krokodilsträne aus meinem Auge rinnen. So viel hochwertige Meßtechnik in den Händen von solchen Dilettanten! Perlen vor die Säue! Wenn ich nächstes Mal einen Vertreter von Audio Precision treffe werde ich ihm empfehlen, daß sie ihre Geräte nur an Leute verkaufen sollten die vorher einen Eignungstest bestanden haben. Das AP-Logo ist einfach keine gute Werbung in unmittelbarer Nachbarschaft von so einem Blödsinn.

Der Stereoplay empfehle ich die Abschaffung eines unter diesen Vorzeichen nutzlosen Meßlabors. Das Geld kann man einsparen, denn etwas Sinnvolles scheint nicht heraus zu kommen nachdem es kein Personal zu geben scheint, das in der Lage wäre die Messungen vernünftig zu interpretieren. Die angesprochene Zielgruppe der Audiophilen kann mit der Meßtechnik sowieso nichts anfangen und glaubt den gleichen Stuß auch ohne daß man ihn umständlich mit solchen Pseudomessungen hinterlegt. Den verständigeren Leuten schließlich erspart man so die Aufregung, in dem man signalisiert daß man da hin will wo die Stereo schon ist, und sich die Beschäftigung mit dem Inhalt nicht lohnt.

9 Kommentare:

  1. 12.Fürchte dich nie davor, einem anderen in einer gerechten Sache weh zu tun.

    5.Habe niemals Lob, Zustimmung oder Mitleid nötig.

    Beschreibt sehr schön deine Aussenwirkung.

    Das ist doch sicher nur Zufall, dass das ein Psycho das einst mal als Maxime ausgegegeben hat.

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  2. Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Humpelstilzchen heiß.

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  3. Das sinnentleerte Heulen von High-End-Psycho-Postern zeigt: Pelmazo ist auf dem richtigen Weg.

    Martin Gelte

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  4. Hallo lieber Pelmazo,

    Toller Blog. Vielen Dank für deine Mühe und die hilfreichen Informationen. Hierfür ein aufrichtiges Dankeschön.

    Gruss
    Said

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  5. Pelmazo,

    guter Beitrag..es zeugt von einer guten Beschäftigung mit der Materie Elektrotechnik. Ich bin begeistert :-)

    Grüsse, mentox76

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  6. Weiss / SCR ?
    Was hält Pelmazo davon?

    Der Unbekannte

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  7. Ich erkläre mir die Wirkungsweise von z.B. CD-Sprays auf diese Weise: Wenn jemand HiFi als Hobby hat het es ihm ja nicht (nur) um die Musik, die er mit seiner Anlage hören kann, sondern auch um die "Kette" als solche. Er ist also ein Suchender, der immen wieder Ändern und Verbessern möchte. Wenn er nicht zu den Happy Few gehört, die sich alle paar Monate mit technisch immer besseren Komponenten eindecken kann, deren Preis dann exponentiell steigen wird hat er doch nur die Möglichkeiten:

    1. Seine "Energie" in DIY-Projekten abzuregieren, so er kann und will

    2. Vintage Hifi zu sammeln

    3. Für abolut kleine Münze relativ überteuerten Klimbim zu erstehen. Da nicht sein kann, was nicht sei darf wird dieses Voodoo natürlich auch wundersame Wirkung zeigen und die "Kette" über sich hinaus aufspielen lassen. Wer mit Sprays anfängt wird dann bei Matten, Rack-Entmagnetisierern, Twister-Stopps und CD-Anmalereien nicht aufhören und diese parasitäre Branche am Leben erhalten. MEsch kauft doch lieber Sofware...

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  8. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  9. Ich habe oben einen Kommentar gelöscht, der offensichtlich bloß der Werbung dienen soll.

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