Unterschiede sind ja bekanntlich geradezu die Existenzberechtigung und der Sinn der Audiophilen. So sehr, daß es ihnen geradezu als Sakrileg erscheinen muß wenn man versucht, die Unterschiede einzuebnen oder zu eliminieren.
Kein Wunder daß man damit in Konflikt mit dem Ingenieurwesen kommt. Dort geht ein gehöriger Teil des Aufwandes in das Vermeiden und das Kompensieren von Unterschieden. Man will schließlich ein wohldefiniertes Ergebnis haben und nicht ein Chaos von mehr oder minder zufälligen Variationen.
Wer ein technisches Gerät in Massenstückzahlen herstellen will (und das fängt schon bei einigen Dutzend an) der muß dafür einen Herstellungsprozeß und ein Gerätedesign wählen, das Variationen in den Bauteilen und den Betriebsbedingungen ausgleicht und unabhängig davon funktioniert. Es ist keine besonders große Leistung, etwas einmal unter handverlesenen Bedingungen zum Funktionieren zu bringen. Die eigentliche Ingenieursleistung besteht darin, es zuverlässig und reproduzierbar und wirtschaftlich herstellbar zu machen. Es geht um die Nützlichkeit, und nicht bloß um die Möglichkeit.
In elektronischen Schaltungen sind die Röhren, Transistoren, und diverse weitere Bauteile in ihren Eigenschaften variabel. Das heißt sie ändern ihre Eigenschaften mit der Temperatur, dem Alter, zwischen einem Exemplar und dem nächsten, und trotzdem muß die Gesamtschaltung unbeeindruckt funktionieren.
Ein Ingenieur betrachtet es daher als einen Erfolg, wenn sein Gerät unbeeindruckt von den Umgebungsbedingungen, von Bauteilvariationen und von Alterungserscheinungen seinen Job immer gleich verrichtet. Der Audiophile denkt genau andersrum. Ihm gilt ein Gerät umso besser je mehr Zicken es in dieser Hinsicht hat. Wenn jedes Gerät aus einer Serie verschieden ist, wenn es wetterfühlig (bzw. stromfühlig) ist und regelmäßig neu justiert werden muß. Eine automatische Ruhestromregelung hat nicht annähernd den Charme, den eine regelmäßige manuelle Prozedur hat, wenn das Gerät quasi vor Betrieb erst neu gestimmt werden will, wie ein launischer Flügel der jedes Prozent Luftfeuchtigkeit zu spüren scheint.
Überhaupt: Die Analogie zwischen Musikinstrument und Hifi-Gerät ist für den Audiophilen eine Inspiration, und für den Ingenieur eine Geistesverirrung.
Es ist dabei nur auf den ersten Blick paradox daß der Ingenieur Unterschiede liebt -- denn er mach sie sich zu Nutze, um sein Ziel zu erreichen. Dafür gibt's viele Beispiele:
Einer der am weitesten verbreiteten und nützlichsten Arten von Verstärkern ist der Differenzverstärker. Fast jeder Audio-Verstärker, ob Endstufe oder Vorverstärker, basiert auf diesem Prinzip. Es ist eine genial einfache Idee: Man verstärkt nicht das Signal selbst, sondern man verstärkt die Differenz zwischen dem zu verstärkenden Signal und einer abgeschwächten Version des schon verstärkten Signals. Es ist eine Rückkopplung, eine Regelschleife. Der Verstärker wird so zum Korrektor, jeder Unterschied zwischen Ist und Soll wird verstärkt und bringt das Resultat wieder auf Linie. Die Konsequenzen sind durchschlagend: Plötzlich spielen Bauteilunterschiede, Temperaturschwankungen, Alterserscheinungen fast keine Rolle mehr. Alles durch die Regelwirkung kompensiert.
Oder die symmetrische Signalübertragung. Hier spielt auch wieder die Differenzbildung eine entscheidende Rolle. Dadurch werden die erwünschten von den unerwünschten Signalanteilen unterschieden. Das Telefon hätte nie funktioniert wenn das nicht so gut klappen würde, und auch hochwertiges Audio hängt davon ab.
Der CD-Spieler ist ebenfalls ein Beispiel für das angewandte Differenzprinzip: Der Laser wird in der Spur gehalten indem man die Differenz zwischen Photodioden auswertet. Auch die Information wird ausgelesen indem man die Differenz zwischen zwei verschiedenen Reflexionshelligkeiten auswertet.
Auch bei Hörtests geht's um Differenzen. Kein Wunder daß die Einen hier möglichst große, die anderen möglichst kleine Differenzen haben wollen. Für den Ingenieur kommt man der Perfektion umso näher je weniger Unterschiede feststellbar sind. Entgegen audiophilem Zynismus geht es dabei allerdings nicht darum, durch möglichst ungeeignete Vergleichsmethoden scheinbare Gleichheit zu erschleichen, sondern darum, durch möglichst sensible Vergleichsmethoden noch den kleinsten Unterschied dingfest zu machen -- damit man ihn eliminieren kann.
Weil da die gehörmäßige Differenzmethode zu unempfindlich ist, ist man unter Ingenieuren frühzeitig dazu gekommen, meßtechnische Differenzmethoden einzusetzen. So gibt es z.B. die Methode, einen Lautsprecher mit der Differenz aus dem Ausgangssignal zweier Verstärker zu betreiben, die mit dem gleichen Eingangssignals versorgt werden. Im Idealfall müßte der Lautsprecher still bleiben, denn gute Verstärker sollten keinen Unterschied produzieren. Auf diese Weise kann man beim Untersuchen von Verstärkern sehr viel empfindlicher sein als wenn man einfach einen Verstärker für sich untersucht. Man kann sogar der Differenz zuhören, und ist nicht auf das reine Messen angewiesen.
Bei solchen Vorgehensweisen muß man allerdings sehr vorsichtig sein. Es ist sehr leicht, das Ergebnis falsch zu interpretieren. Aus dem Differenzsignal kann man nicht ohne Weiteres darauf schließen ob der Unterschied im Normalbetrieb auch hörbar wäre. Es reicht wenn die Amplitude geringfügig unterschiedlich ist, oder die Zeitverzögerung, und das Ergebnis ist ein übertrieben starkes Differenzsignal, das nicht repräsentativ ist für irgendwelche Klangunterschiede. Trotzdem kann man was damit anfangen wenn man weiß was man tut, und die "prinzipbedingten" Probleme im Auge behält.
Bob Carver hat in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts das Differenzprinzip zu einer beeindruckenden Demonstration benutzt, die letztlich seine Ingenieurskunst vorführt. Ich spreche von der "Carver Challenge", in der es darum ging daß Bob Carver anbot, binnen 48 Stunden einen beliebigen Modellverstärker klanglich zu kopieren, so daß seine Kopie in seriösen Blindtests nicht vom Original zu unterscheiden wäre. Er brauchte dazu nur den originalen Verstärker, den er nicht einmal öffnen geschweige denn modifizieren durfte. Die Stereophile unter dem damaligen Chef Gordon Holt schlug ein und stellte einen Conrad-Johnson Premier Five zur Verfügung, den Carver in 48 Stunden nachahmen sollte. Das war ein Röhrenverstärker, der Mitte der 80er über 10000 Dollar kostete, und Carver wollte ihn mit einem Transistorverstärker nachbilden, den er in 48 Stunden unter Verwendung der Differenzmethode passend modifizierte.
Wie man hier nachlesen kann, ist das im Wesentlichen gelungen. Man kann sich fragen ob das Holt's Nachfolger noch so mitgemacht und vor allem zugegeben hätten, aber 1985 war offenbar noch früh genug daß die Ehrlichkeit noch nicht dem audiophilen Dünkel zum Opfer gefallen war.
Carver modifizierte den Transistorverstärker einfach so, daß die Differenz im Ausgangssignal zwischen dem Vorbild und der Nachahmung minimal wurde. Und siehe da, die hörbaren Unterschiede verschwanden ebenso, egal ob der Verstärker nun von Röhren oder Transistoren angetrieben war.
Heutzutage wäre das noch wesentlich schneller mit Hilfe von Computertechnik möglich. Was Carver noch mit dem Lötkolben und einem Sortiment von Bauteilen in 48 Stunden gelöst hat wäre heute die Anwendung einer mathematischen Transformation, von einem digitalen Signalprozessor in Echtzeit ausgeführt.
Hi!
AntwortenLöschenDas wird ja wieder Ärger geben! Schliesslich weiss der Audiophilist ja, dass der Verstärker ein Musikinstrument IST und deshalb mit Geigenlack angepinselt werden muss. Merkwürdig, dass es unter aktiven Musikern wenige "Audiophile" zu geben scheint. Ist das ganze Getue nur dazu da um zu sublimieren, dass kein Instrument beherrscht wird?
Gruss
FB
Morschend
AntwortenLöschenWitzigerweise findet man diese Geschichte über Carver auch in der STEREO. Der Artikel beschreibt zwar die C-4000 Vorstufe, im Text wirds aber erwähnt:
STEREO Carver-C4000
Zitat:
"Eine 1985 erschienene und rund weitere vier Jahre angebotene Carver C-4000t war im Detail nur geringfügig modifiziert. Das „t“ allerdings stand für „transfer function“ und bedeutete, dass Carver hier versucht hatte, den Klang eines renommierten, weitaus teureren Vorverstärkers nachzuahmen.
Er forderte seinerzeit sogar die Zeitschrift Stereophile mit einer entsprechenden Wette heraus, die er zu allem Überfluss gewann. Diese Transferfunktionen finden sich vor allem in Carver-Endstufen,wobei die M1.5t etwa klingen sollten wie große Mark Levinson ML-2, andere wie Conrad Johnsonoder die Carver-eigenen Silver Seven- und Silver Nine-High End-Boliden. "
Per Computersimulation (VST, Convolver usw.) gibt es mW zumindest diverse "Röhren-PlugIns". Fürs Feeling sicher auch die passenden Glühkolben auf den 40" Plasma ;)
Gruss
Stefan
"Per Computersimulation (VST, Convolver usw.) gibt es mW zumindest diverse "Röhren-PlugIns"."
AntwortenLöschenEs werden inzwischen auch recht erfolgreich Gitarrenverstärker per Computer emuliert (z.B. AmpliTube). Das ist deswegen bemerkenswert weil da ein ausgeprägter Eigenklang und kompliziertes nichtlineares Verhalten ausdrücklich erwünscht sind. Die Dinger werden ja regelmäßig im krassen Übersteuerungsbereich betrieben, und da sind die Verhältnisse nicht bloß durch Clipping und andere Effekte komplexer, sondern es gibt auch Zeiteffekte durch in die Knie gehende Spannungsversorgungen, und durch thermische Effekte in den Röhren. Da braucht man ziemlich komplexe Modelle um das ausreichend genau zu simulieren. Und doch gelingt es ganz passabel, einschließlich einer Simulation des damit verbundenen Lautsprechers und der Mikrofonplatzierung vor dem Gerät.
Die Situation bei Hifi-Verstärkern ist in aller Regel ungleich einfacher, weil da Verzerrungen (wenigstens bei den meisten Leuten) unerwünscht sind und nicht im Grenzbereich gearbeitet wird.
". Man kann sogar der Differenz zuhören, und ist nicht auf das reine Messen angewiesen.
AntwortenLöschenBei solchen Vorgehensweisen muß man allerdings sehr vorsichtig sein."
Das würde ich aber auch sagen. Man kann sich z.B. die Differenz eines MP3s zum Original anhören, oder das R-L-Differenzsignal eines (Joint-)Stereo-MP3s. In beiden Fällen wird man gar schauriges zu hören bekommen, was aber gar nichts dazu aussagt, ob das MP3 vom Original per Gehör unterscheidbar ist.
Gruß
Thomas
unterm Strich ist dieses ganze Unterschieds-Palaver doch nur ein Pimmelvergleich mitteilungsbedürftiger Hai-Enten.
AntwortenLöschen1. Ich habe was, was Du nicht hast
So werden vorzugsweise Exoten gekauft, um sich zu unterscheiden, etc.
PLUS
2. Ich höre was, was Du nicht hörst
So werden die Teile dann auch noch gepimpt, weil man ja alles besser machen kann
Und wer es nicht hört, hat keine Ahnung......
Alex8529
ich versteh das alles nicht - diese diskussionen. scheint so zu sein, dass unterschiede hochgejubelt werden - wie in den div. testzeitschriften - irgendwas brauchen die ja zum schreiben. und ist auch so, dass unterschiede zu hören sind - sonst wär diese wette ja auch sinnlos gewesen.
AntwortenLöschendoch wenn ingenieurskunst soweit ist, dass ein klanglich EINWANDFREIES ergebnis rauskommt, müssten ja alle glücklich sein.
gehn dann die diskussionen wieder los, was ein klanglich einwandfreies ergebnis ist? und wer legt fest, wie man das festmacht? erlaubt ist, was gefällt - und die, denen ein vernünftiges preis-leistungsverhältnis wichtig ist, werden wohl wissen, was sie wollen.
aber, pelmazo, kannst du das wirklich beurteilen und deine hand dafür ins feuer legen, dass das dann der "wahre" im sinn von wahrhaftige klang ist?
Bei solchen Dingen wie einem Verstärker sehe ich keine Probleme warum man da nicht von so etwas wie dem "wahren" Klang reden soll.
AntwortenLöschenWenn der Verstärker in Bezug auf Frequenzgang, Verzerrungen, Störabstand und Ausgangsimpedanz gewisse Kriterien einhält, und wenn er daraufhin in seriösen Blindtests nicht von einem zweiten Verstärker unterscheidbar ist, der diese Kriterien auch einhält, dann geben die beiden Verstärker den wahren Klang wieder. Da würde ich auch meine Hand dafür ins Feuer legen.
Geschmacksfragen spielen dabei keine Rolle, wenn jemandem also ein anderer Klang besser gefällt, dann ist der eben nicht "wahrhaftig". Was ja kein Problem sein muß.
das ist doch wirklich unglaublich ;-))
AntwortenLöschenCarver hat in Wahrheit bewiesen, dass jeder übertriebene High-End Anspruch bei Amps jeglicher Grundlage entbehrt. Übertrieben deswegen, weil sein Ausgangsprodukt um gut 500 Euro wohl ein solide konstruierter HiFi-Verstärker ist, der ganz offensichtlich dem teureren Referenzgerät bei "normaler" Hörlautstärke an reiner Verstärkungsleistung/Dynamik um nichts nachsteht. Entgegen gängiger Erwartungshaltung wurde die Angleichung durch zusätzliche Bauteile und Verzerrungen erzielt.