Samstag, 20. Juni 2009

Vertrauen schaffen

Ayatollah Chamenei weiß wie man Vertrauen schafft. Man fordert es einfach ein. In seinem Freitagsgebet diese Woche sagte er über die iranischen Präsidentschaftswahlen folgendes:
"Würden sie keine Freiheit fühlen, dann würden sie nicht wählen gehen. Die massive Beteiligung hat das Vertrauen in das System gezeigt. Wenn unsere Jugend keine Hoffnung hätte würde sie nicht an der Wahl teilnehmen. Die Feinde greifen den Glauben und das Vertrauen in das System an. Dieses Vertrauen ist die größte Investition der islamischen Republik, und sie wollen es uns nehmen. Sie wollen das Vertrauen in dieses System erschüttern [...] Der Feind will den Leuten glauben machen daß sie betrogen wurden."
Von dieser Logik könnten sich unsere Juristen hierzulande eine Scheibe abschneiden. Im März hat ja bekanntlich das Verfassungsgericht in Deutschland Wahlcomputer für verfassungswidrig erklärt, und betont:
"Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können."
Damit unterstellt sogar das Verfassungsgericht indirekt, daß unser System eine solche Überprüfung durch den Bürger überhaupt nötig hat! Damit schürt es noch den Zweifel, wo doch eigentlich blindes Vertrauen angebracht wäre! Die iranische Republik ist da schon weiter, und so kann Chamenei auch in besagtem Gebet sagen:
"Die Wahlen vom 12. Juni waren eine Erfüllung der nationalen Verantwortung, ein Beweis der Mitwirkung des Volkes und eine Demonstration der Liebe für ihr System. Es ist ähnlich aber besser als die Demokratien in anderen Ländern, diese jedoch haben keine Demokratie die so gut ist wie unsere."
Er hat es nicht gesagt, aber ich bin sicher er hat es so gemeint: "Diese Demokratien bauen auf Kontrolle, während unser System auf Vertrauen basiert". Hand auf's Herz: Ist so ein System nicht viel schöner? Wo Vertrauen nicht nur möglich, sondern sogar nötig ist, weil man keine Kontrolle hat, und wo die Handelnden nicht von den Unwägbarkeiten eines scheinbaren Volkswillens, sondern von der Weisheit geleitet werden, die aus rechter Gesinnung und festem Glauben entspringt!

Die iranische Demokratie ist daher tatsächlich einen entscheidenden Schritt weiter als die deutsche: Das Ergebnis der Wahl reflektiert nicht den momentanen Volkswillen, sondern den Willen, den das Volk (bzw. der rechtschaffene und rechtgläubige Teil davon) haben würde wenn es nicht von den Feinden irregeleitet wäre. Dem iranischen Wahlsystem ist also mehr zu vertrauen als dem deutschen, denn dort sorgen, vor den feindlichen Augen verborgen, verantwortungsvolle Patrioten dafür daß das Wahlergebnis auch dem wahren Volkswillen entspricht, selbst wenn es dem Volk noch nicht bewußt sein sollte daß das sein Wille ist.

Auch wenn in Deutschland das politische System noch nicht ganz so weit ist, gibt es doch schon seit längerem viele Nischen auch außerhalb der Politik, in denen der Vorteil für das Vertrauen erkannt ist, den ein undurchschaubares Vorgehen im Verborgenen bietet. Ein vergleichsweise unbedeutendes, aber dennoch hell leuchtendes Beispiel findet sich bei den Tests, die von Hifi-Zeitschriften veranstaltet werden. Hier vermeidet man konsequent jede Transparenz der Testmodalitäten, die die Leserschaft zu Mißtrauen veranlassen könnte. Unbedeutende Details erfährt man in Hülle und Fülle, wie z.B. welche Stücke zum Vergleichshören verwendet wurden, oder welches Fabrikat irgendein Bauteil in einem Gerät hat. So beschäftigt man den Leser und verhindert das er auf dumme Gedanken kommt.

Wenn trotzdem einmal öffentlich Zweifel an einem solchen Test geäußert werden, ist man schnell dabei, zu betonen wie viel Vertrauen man bei rechtschaffenen Lesern zurecht genießt, daß es zu irgendwelchen Verdächtigungen nicht den geringsten Anlaß gibt und der Kritiker damit lediglich seine niederen Beweggründe zeigt.

Und das Wichtigste: Die Kritiker wissen ja nicht wie das Geschäft der Zeitschriften läuft, denn sie haben ja keinen Einblick in die Redaktionen. Die Auswahl der Testgeräte, die Testmodalitäten, die finanziellen Rahmenbedingungen, die Testkriterien und ihre Gewichtung, oder auch die angeblichen Interessenkonflikte, alles das ist ja höchstens in groben Umrissen öffentlich bekannt. Für Kritik gibt es folglich gar keine Grundlage. Das ist eine höchst vertrauensbildende Situation, so daß die Redaktion bei jeder Kritik zurecht darauf hinweisen kann daß sie Vertrauen verdient, zumal es sich bei den Mitarbeitern ausnahmslos um rechtschaffene, lediglich der audiophilen Wahrheit verpflichtete Leute handelt, die jeder unzulässigen Beeinflussung schon instinktiv völlig unzugänglich sind.

Um darzustellen, zu welchen Leistungen diese Leute imstande sind, lohnt es sich die Situation noch einmal etwas detaillierter darzustellen als es den meisten Lesern bewußt sein dürfte.

Angesichts eines engen Budgets kann es sich kaum eine Zeitschrift leisten, die Testgeräte über den normalen Handel einzukaufen, besonders wenn es um die ganz edlen und teuren Geräte geht. Neben den dabei anfallenden Kosten würde sich daraus auch das Problem ergeben, was man mit den ganzen getesteten Geräten anfängt, denn man kann ja nur wenige als Referenzgeräte in den eigenen Räumen behalten. Man müßte die Geräte gebraucht verhökern -- bei entsprechendem Verlust, oder man müßte so fies sein und dem Händler die Geräte in der Rückgabefrist wieder zurückgeben, was man wohl ein paar mal machen kann bis der dann die Lust verliert einem noch was zu verkaufen. Da ist die bessere Lösung, sich die Testgeräte von den Herstellern leihweise kostenlos zur Verfügung stellen zu lassen, schließlich haben die am Test ebenfalls ein Interesse, und sie können gleich noch dafür sorgen daß die Testgeräte einwandfrei in Schuß sind, damit die Testzeitschrift sich nicht mit Montagsgeräten herumärgern muß. Zudem hat man so auch gelegentlich die Möglichkeit, ein Vorseriengerät zum Test zu bekommen, was für die Kaufentscheidungen des Lesers besonders nützlich ist.

Das Budget weiter aufbessern kann man als Zeitschrift z.B. dadurch, daß man einem solchen Hersteller oder Händler nach erfolgtem Abdruck des Artikels im Heft einen Sonderdruck verkauft, den er zu seinen Werbezwecken einsetzen kann, oder daß man ihm den Sonderdruck als Datei für die Webseite gegen Gebühr überläßt. Die größten Chancen für ein solches Geschäft ergeben sich naturgemäß bei demjenigen Hersteller, dessen Gerät den Test gewonnen hat. Nachdem die Details dieser Geschäfte dem Leser verborgen bleiben ergibt sich hier wieder ein großes Vertrauenspotenzial.

Wenn zum Beispiel ein Hersteller im Vorfeld des Test, während der telefonischen Verhandlungen bzgl. der Bereitstellung des Testgerätes, durchblicken lassen sollte daß er im Falle des Testgewinns ein paar Kartons Sonderdrucke für einen noch auszuhandelnden attraktiven Preis abzunehmen gewillt wäre, und bei Erringung des Referenzstatus das Gerät der Redaktion unbefristet kostenlos überlassen würde, so heißt das natürlich nicht daß sich die Redakteure in ihrem Testverhalten irgendwie davon beeinflussen lassen würden. Vielmehr kann man absolut darauf vertrauen daß sie sich als professionelle Tester davon völlig frei machen und ohne Rücksicht auf die Finanzen ihr Urteil unbestechlich fällen.

Es versteht sich außerdem von selbst daß die Redaktion ein Gerät, das im Test Referenzstatus erreicht hat, und das man deswegen zu Vergleichszwecken behalten will, notfalls gekauft wird wenn der Hersteller nicht zu einer kostenlosen Überlassung bereit sein sollte.

Um die Bedeutung des Vertrauens noch weiter zu unterstreichen sorgen die Zeitschriften durch die Gestaltung der Testmodalitäten für weitere Anlässe zu blindem Vertrauen. So wird die Gewichtung der Testergebnisse so gestaltet, daß der Höreindruck das weitaus größte Gewicht einnimmt. Das ist aus audiophiler Sicht nur recht und billig, hat aber den zusätzlichen Vorteil daß es dafür keinen eindeutigen und nachvollziehbaren Maßstab gibt, angesichts der allseits hervorgehobenen Individualität des Hörens. Eine Kritik daran geht folglich schon im Ansatz ins Leere, und der Höreindruck der Redaktion wird unanfechtbar.

Wenn das noch nicht reicht, dann kann man noch darauf verweisen daß auch die meßtechnische Seite das Vertrauen fördert, denn man erfährt auch nicht genug, um die Messungen nachvollziehen oder durchschauen zu können. Schon was die Meßbedingungen angeht läßt man höchstens so viel Information an die Öffentlichkeit um die Messungen einem Laien seriös vorkommen zu lassen. Im Extremfall kann man auch neue Meßmethoden erfinden, die so unzureichend erklärt werden daß Vertrauen die einzige Möglichkeit bleibt. Vereinfacht gesagt präsentiert man dem Leser irgendeine Messkurve, und schreibt dazu: "Das ist der Beweis!"

Im Idealfall bleibt dem nichts anderes übrig als verständnislos zu nicken: "Aha! Hm, ok, wenn ihr meint! Ihr werdet schon wissen was Ihr da tut." Das ist die richtige Haltung! Das ist es auch was Chamenei seinem Volk empfiehlt, wenn es schon nicht zu rückhaltloser Begeisterung sich imstande fühlt. Und diese Form des Vertrauens ist es auch, was wir in unserer Demokratie hierzulande brauchen. Gut, daß man das schon im Kleinen trainieren kann!