Es ist aber leider nur eine neue Variante des hinreichend bekannten Jitter-Bullshit. Natürlich ist auch die Reaktion der audiophilen Gemeinde so wie bei jeder solchen Sau, die durch's Dorf getrieben wird, das heißt es werden selbstverständlich Unterschiede gehört, und die unsinnigsten Erklärungen dazu werden für plausibel gehalten. In dieser Hinsicht also nichts Neues.
Ich kann mich natürlich nicht mit irgendwelchen Hörberichten auseinandersetzen, die mit großer Wahrscheinlichkeit unter "audiophilen Bedingungen" zustande gekommen sind, also völlig nichtblind und für jede Einbildung höchst anfällig. Alles Andere wäre überraschend. Sie werden also schon irgendwas gehört haben.
Was ich aber schon kann, ist mich mit den technischen Erklärungen auseinander zu setzen, die allen voran vom "Erfinder" selbst stammen. Dafür brauche ich zum Glück auch keine Hörversuche am konkreten Objekt zu machen, das genügen ein paar Denkversuche vollkommen. Das hat den Vorteil daß Ihr als Leser unmittelbar was davon habt, ohne Euch vom Bildschirm zu entfernen. Und Denken macht eben auch Spaß, nicht bloß Unterschiedhören. ;-)
Ich versuche mal zusammenzufassen, was hinter der Brüggemann'schen Entwicklung steckt, insofern ich es aus seinen Erklärungen entnehmen kann:
Hinter der ganzen Entwicklung steckt die Grundannahme, daß in einem Stereosignal Jitter, der unabhängig (also unkorreliert) auf den linken und rechten Kanal wirkt, eine Auswirkung auf das Richtungshören hat, weil sich durch den Zeitfehler des Jitters die relative Phase beider Signale verschiebt. Also wenn das linke Signal unabhängig vom rechten Signal jittert, dann jittern eben nicht beide zusammen, folglich passiert es im Extremfall daß der linke Kanal vorwärts jittert, während zugleich der rechte zurück jittert. Resultat: Eine relative Phasenverschiebung zwischen links und rechts, und damit eine Änderung der Richtungswahrnehmung.
Ausgehend von dieser Annahme (die weder in Frage gestellt wird, noch quantifiziert wird), präsentiert Brüggemann eine "Lösung", die das Audiosignal auf der Digitalseite in ein M/S-Signal umrechnet, und das nach dem D/A-Wandler auf der Analogseite wieder rückgängig macht. Ein M/S-Signal ist eine andere Repräsentation des Stereosignals, wo es ein Signal für die Mitte und eines für die Richtung gibt. Eine alte Technik, die z.B. bei UKW dazu benutzt wird, um einen Stereo-Sender monokompatibel zu machen. Das Mittensignal ist nämlich das Monosignal, und wenn man das S-Signal einfach wegläßt, dann verliert man den Stereoeffekt, und behält das Monosignal.
Laut Brüggemann soll das für das postulierte Jitterproblem nun dadurch vorteilhaft sein, daß Jitter im M/S-Signal keine Änderung der Richtung mehr verursachen soll, was für das M-Signal auch unmittelbar einleuchtet, für das S-Signal aber nicht.
In dieser Argumentation ist aber eine derartige Anzahl an Denk- und Argumentationsfehlern drin, daß eigentlich jeder ernstzunehmende Entwickler vor Scham im Boden versinken müßte.
- Eigentlich überflüssig zu erwähnen: Brüggemann macht sich keine Mühe, zu zeigen daß die Grundannahme, die dem Ganzen zugrunde liegt, überhaupt zutrifft. Das Prinzip scheint zu sein: Ich halte es für denkbar, also muß es real sein. Das paßt gut zu einem anderen Motto, das ich von einem seiner Anhänger in besagten Foren lese: Wahrnehmung ist Realität. Wer das ernst meint, dem ist nicht mehr zu helfen.
- Wieviel Phasenverschiebung (oder Zeitverschiebung) zwischen linkem und rechtem Kanal man haben muß, um einen Effekt zu hören, wäre eine ganz interessante Debatte in diesem Zusammenhang, zumal das gerade von audiophiler Seite schon öfter (und fälschlicherweise) als Argument in der Debatte um die richtige Abtastfrequenz gebraucht wurde. Da wurde immer wieder ins Feld geführt, daß das Gehör eine zeitliche Auflösung von um die 5 µs habe. Wenn das so sein sollte, würde das nicht heißen daß der Jitter eine Amplitude von 5 µs erreichen muß, damit die dadurch bewirkte Phasenverschiebung in den hörbaren Bereich kommt? Das wären 5000 ns! Kaum plausibel, daß Brüggemann es mit derart schlimmem Jitter zu tun hatte, zumal er von dateninduziertem Jitter redet, und der spielt sich prinzipbedingt in einem Bereich ab, der weniger als eine halbe Bitlänge im SPDIF-Signal ausmachen muß, andernfalls würde die Datenverbindung nicht mehr funktionieren. Das wären also weniger als 200 ns. In der Praxis weit weniger. Wie kann man dann aber auf die Idee kommen, das reiche für hörbare Auswirkungen auf die Richtungswahrnehmung? Das erfordert doch, daß man einen zuvor im audiophilen Bereich kursierenden Wert kurz mal um zwei oder drei Zehnerpotenzen "korrigiert", und wie selbstverständlich so tut als sei das immer noch hörbar.
- Die Annahme, daß der Jitter in einem D/A-Wandler auf beide Kanäle unabhängig voneinander wirkt, ist ebenfalls falsch. In den meisten Fällen spielt sich das innerhalb ein- und desselben Chips ab, der die Wandlung für beide Kanäle auf der Basis desselben Taktes erledigt. Es ist nur ein Takt, die Daten kommen auf der gleichen Leitung daher, und die Abtastung findet im Allgemeinen auch gleichzeitig statt. Da ist der Jittereffekt zwischen den Kanälen eben nicht unabhängig, sondern müßte eigentlich zum gleichen Phaseneffekt auf beiden Seiten führen. Selbst wenn es (wie in machen High-End-Wandlern) zwei getrennte Chips sein sollten, dann werden es zwei gleiche Chips sein, und auch die kriegen wieder den gleichen Takt. Wie es unter solchen Umständen zu unabhängigen und unkorrelierten Jittereffekten zwischen den Kanälen kommen soll, bleibt unverständlich. Wenn aber der Phaseneffekt auf beide Kanäle der Gleiche ist, dann ist auch der Richtungseffekt weg, und die Voraussetzung für Brüggemann's "Lösung" verschwunden. Es scheint also, als biege sich Brüggemann seine eigene Wahrheit zurecht.
- Die Annahme, daß mit einem M/S-Verfahren die Sache besser aussieht ist ebenfalls falsch. Zwar kann prinzipbedingt Jitter im M-Signal keinen Richtungseffekt haben, aber für das S-Signal gilt das Gegenteil. In dem ist ja gerade die Seiteninformation drin, also die Richtung, folglich müßte jeder Jitter im S-Signal direkt in die Richtungswahrnehmung eingehen, und zwar diesmal sogar besonders auch dann, wenn die Jittereffekte in beiden Kanälen korreliert sind. Das bedeutet: Wenn Jitter für die Richtungswahrnehmung ein Problem wäre (und ich habe schon oft genug argumentiert wie weit wir davon im Normalfall entfernt sind), dann müßte es in einem M/S-System eher größere Auswirkungen haben als in einem L/R-System. Brüggemann würde es mit seiner Lösung nicht etwa besser, sondern schlechter machen.
Es ist auch ein schönes Beispiel wie Leute eine Argumentation für plausibel halten, die sie nicht verstehen. Das audiophile Geschäft lebt von solchen "pseudoplausiblen" Erklärungen, sonst würden sie nicht dauernd vorgebracht. Jede Menge Leute beteiligen sich an den technischen Diskussionen, die sich an solchen "Theorien" entzünden, indem sie betonen, daß sie das nicht verstehen, und es ihnen reicht daß sie es hören. Warum sie dann an solchen Diskussionen überhaupt teilnehmen, sagen sie nicht, und warum sie diese angeblich so unnötigen technischen Erklärungen überhaupt zur Kenntnis nehmen auch nicht.
Es ist offensichtlich: Sie wollen glauben, daß die ihnen angebotenen Geräte auch auf der technischen Seite einwandfrei sind, und eine unverständliche aber plausibel klingende Erklärung hilft ihnen dabei. Allerdings bloß wenn sie nicht ernsthaft in Frage gestellt wird. Drum werden die Kritiker angepisst, und den schärfer werdenden Tonfall, für den man selbst sorgt, legt man ihnen dann gleich auch noch zur Last. Den "Erfinder" der unsinnigen "Lösung" für seinen Bullshit zur Rechenschaft zu ziehen kommt dagegen gar nicht in Frage. Selbst wenn er am Ende widerlegt ist, findet man es immer noch lobenswert daß er es probiert hat.