"Kaum zu fassen! Wie kann das sein? ... Den Effekt möchte ich als sehr
groß zum Positiven beschreiben. In ALLEN Teildisziplinen, auf die ich
achte, ist der Klang nun deutlich wahrnehmbar besser geworden. Schlicht
unglaublich, ich war total baff! Besser sind Druck, Dynamik,
Hintergrundschwärze, Detailreichtum, Bass, Staffelung, Plastizität,
Klangfarben in den Mitten."
Was hier so enthusiastisch beschrieben wird ist das Ergebnis einer "Tuning"-maßnahme. Nämlich eines
Sicherungstausches bei einem Pärchen Aktivlautsprecher.
Nun will ich nicht nochmal über den hier zum x-ten Mal aufgewärmten Sicherungsblödsinn referieren. Das habe ich hoffentlich
hier ausreichend getan, ergänzt vielleicht noch durch den
Verriß eines einschlägigen "Testberichtes" in der "Fachpresse".
Mir geht es auch nicht um die Pikanterie, daß hier unausgesprochen der
Hersteller der Aktivlautsprecher für unfähig erklärt wird, was die geneigten Forendiskutanten noch gar nicht bemerkt zu haben scheinen. Schließlich müßte man bei derart frappierenden Klangverbesserungen ja automatisch auf den Gedanken kommen, daß das auch dem Hersteller selbst hätte auffallen können. Und der Hersteller ist in diesem Fall einer der Mitforisten (Gert Volk aka "fortepianus"). Wenn man durch bloßen Sicherungstausch ein Produkt dermaßen verbessern kann, das für einen Preis verkauft wird, bei dem die Kosten einer Sicherung sicherlich keine Rolle spielen, dann hat der Hersteller doch versagt, oder etwa nicht?
Aber das soll er bei Gelegenheit selber erklären, ich freue mich schon darauf wie er sich herauswindet. Mir geht's einstweilen eher um das was der Themenersteller so ausdrückte:
"Wie kann das nun sein, habe ich mich gefragt."
Und es folgt eine Litanei von technischen Spekulationen, die die faktische Wahrheit und Wirklichkeit der gehörten Verbesserung nicht mal im Ansatz in Frage stellt, die jegliche Möglichkeit von Wahrnehmungsirrtümer völlig ignoriert, die stattdessen aber auch die unwahrscheinlichste technische Pseudoerklärung eines technisch halbgebildeten für bare Münze nimmt, selbst wenn die den eigentlich (in diesem Forum) auf Händen getragenen Hersteller des Lautsprechers dumm aussehen läßt.
Ich frage mich stattdessen, wie kann es sein, daß dem Typen nicht auffällt, daß da irgend etwas ganz grundsätzlich faul sein muß bei seiner Herangehensweise? Wirklich ehrlich und ergebnisoffen kann er sich wohl kaum gefragt haben!
Interessanterweise kommt da ein Beitrag sehr gelegen, den der Deutschlandfunk letzten Donnerstag ausgestrahlt hat. Das Manuskript dafür findet man
online, und nachhören kann man den Beitrag ebenfalls (siehe den Link am Ende des Manuskripts). Es geht da um Forschungsergebnisse, speziell aus der Berliner Charité, zum Thema des Verhältnisses zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit.
Für den Audiophilen ist der Fall klar:
Meine Wahrnehmung ist die Wirklichkeit. Zweifel daran verbieten sich von selbst, denn das würde ja bedeuten ich hätte mir was eingebildet, und wenn's um Klänge geht, dann bildet sich ein wahrer Audiophiler nichts ein, basta. Erst recht nicht wenn's so deutlich, so frappierend war!
Daß diese Sichtweise der Dinge in diesem speziellen Forum privilegiert behandelt wird, dafür sorgen schon die "Funktionäre", insofern kommen wir unbeteiligten Beobachter in den Genuß solch unverblümter Demonstrationen audiophiler "Philosophie", die sie sich anderswo vielleicht wenigstens ansatzweise verkniffen hätten.
Wir Anderen ahnen zumindest, daß sich die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit nicht ganz so einfach darstellt, und daß da der eine oder andere "Wahrnehmungsunfall" passieren kann. Darauf wirft der Radiobeitrag ein Licht, und weil ich das in unserem audiophilen Kontext interessant finde, will ich mich hier ein wenig darüber ausbreiten. Ersetzen wir also mal spaßeshalber den als Beispiel verwendeten Tintenfisch im Radiobeitrag durch eine audiophile Sicherung, und sehen was sich dann argumentativ draus ergibt.
Hat "Salvador" die Sicherung gehört, so wie im Beitrag der Taucher den Tintenfisch gesehen hat?
Gehört hat Salvador nur ein verzerrtes Schattenbild der Sicherung. Die wahre Sicherung, das Sicherungsideal existiert im
Reich der reinen Ideen, sagt Platon.
Aber halt! Stimmt ja gar nicht! Der Tintenfisch wurde gesehen, aber die Sicherung wurde nicht gehört! Gehört wurde Musik, die über eine Anlage wiedergegeben wurde, in der sich die Sicherung befand. Wenn für die Musik der Tintenfisch steht, was steht dann für die Anlage, und was für die Sicherung? Ist die Anlage das Wasser, in dem der Tintenfisch schwamm? Dann wäre die Sicherung vielleicht der Filter der Kläranlage, durch die das Wasser zuletzt floß. In den Farben des Tintenfisches würde man den Filter der Kläranlage sehen. "Verzerrtes Schattenbild", in der Tat!
Aber das war ja erst Platon, es folgt Hume:
Nein, nein, entgegnet David Hume. Er hat Schallwellen wahrgenommen, in
einem räumlichen und zeitlichen Muster. Die Schallwellen waren
assortiert, erst sein Geist hat daraus den Sicherungsklang gemacht.
Stimmt natürlich. Man hört noch nicht einmal Musik, man hört Schallwellen. Musik entsteht dann im Gehirn. Bevor daraus eine Sicherung wird, ist der Weg noch viel weiter.
Falsch, verspricht Gottfried Wilhelm Leibnitz. Der Klang der Sicherung
in seinem Geist hat zwar keine direkte Beziehung zu der Sicherung im Gerät. Aber Gott hat Geist und Welt in Harmonie geschaffen.
Deshalb kann er seinen Ohren trauen.
Mit Verlaub, ist das nicht etwas zu viel Gottvertrauen?
Die Sicherung an sich, sie kann er nicht erkennen, widerspricht
Immanuel Kant energisch. Der Geist formt die Sinneseindrücke nach seinen
eigenen Gesetzen, ordnet sie in Raum und Zeit, schließt auf Ursache und
Wirkung. Wie die Welt, wie die Sicherung wirklich ist, darüber könne
man nur spekulieren und solle besser schweigen.
Solche Spekulationen machen dem Audiophilen zu viel Freude als daß er darüber schweigen könnte, also wird diese Empfehlung von Kant wohl ins Leere laufen. Was er nicht begreift ist dies:
Georg Northoff: "Weil in jeder Erfahrung der Welt immer schon der eigene
Beitrag des Gehirns, ich sage mal, mitkommt oder mitmischt, ist es für
uns wirklich schwierig, zu trennen, was ist unser eigenes Gehirn und was
ist wirklich die Welt selber, unabhängig vom Gehirn."
Um das nochmal einzureiben: Die Schwierigkeit liegt darin, zweierlei voneinander zu trennen:
- Die Wirklichkeit
- Den Beitrag des Gehirns
Ich könnte die Audiophilen ansatzweise ernst nehmen, wenn ich erkennen könnte daß sie sich um diese Trennung ernsthaft bemühen. Stattdessen finde ich immer wieder Audiophile, die mir weis zu machen versuchen, diese Trennung sei gar nicht nötig oder sinnvoll. Es gehe schließlich beim Musikhören um die Wahrnehmung, und eben nicht um die Wirklichkeit.
Wenn das so ist, dann geht es auch nicht um Sicherungen. Dann sind die Audiophilen selbst höchst inkonsequent. Man kann nicht auf der einen Seite die Wahrnehmung (einschließlich des Beitrags, der vom Gehirn geleistet wird) über die Wirklichkeit stellen, und zugleich auf der anderen Seite für alle wahrgenommenen Effekte irgendwelche (äußeren, wirklichen) Dinge verantwortlich machen. Das Gehirn kann nicht zugleich wichtig und unbeteiligt sein.
Wenn mir gegenüber also ein Audiophiler den Vorrang der (seiner!) Wahrnehmung postuliert, dann führt er sich im nächsten Moment ad absurdum, in dem er sich wieder irgendwelcher "Teile" widmet.
Für den, der die oben erwähnte Trennung ernst nimmt, zeigt sich wie stark dominant der Beitrag des Gehirns in dieser Sache ist. Es ist mittlerweile klar, daß die Wahrnehmung eine "Konstruktion" einer Wirklichkeits-Simulation darstellt, und damit eine aktive Leistung des Gehirns ist. Das geht weit hinaus über eine bloße "Abbildung", so unvollständig sie auch sein mag. Manche haben mir deswegen weis zu machen versucht, es gebe gar keine Wirklichkeit, es gebe nur die Wahrnehmung davon. Das ist in meinen Augen bloß wieder der Versuch, die Wahrnehmung für das eigentlich Wichtige zu erklären.
Natürlich gibt es die Wirklichkeit. Das ist (fast) eine
Tautologie. Auch wenn es prinzipiell unmöglich sein sollte, sie vollständig zu erkennen. Also ist es sinnvoll, möglichst viel über sie herauszufinden, und das bedeutet eben, den Beitrag des Gehirns an der Wahrnehmung auszuklammern.
Sterzer: "Die grundsätzliche Idee, wie Wahrnehmung funktioniert, ist
eigentlich die, dass Wahrnehmung letztlich ein Produkt aus unseren
Erwartungen, unseren Vorannahmen und den sensorischen Eingangssignalen
ist. Unsere Erwartungen prägen in ganz bedeutsamer Weise unsere
Wahrnehmung."
Das kann man noch steigern: In vielen Fällen kommt es auch zu Wahrnehmung, ohne daß es dazu sensorische Eingangssignale bräuchte. Unsere Erwartungen und Vorannahmen allein reichen auch schon, um Wahrnehmungen zu erzeugen. Kurz gesagt: Wir bilden uns so manche Wahrnehmung ein. Besonders wenn die Erwartungen und Vorannahmen entsprechend ausfallen.
Wir erleben nicht die Welt, sondern eine virtuelle Realität, ein Modell.
Das Verblüffende: sich selbst kann das Gehirn nicht beobachten. Der
eigene Beitrag zur Wahrnehmung ist sozusagen sein blinder Fleck.
Man könnte wohl auch sagen: Wer es schafft, jemandem ein Modell der Wirklichkeit vorzugeben, der formt auch sein Erleben. Und dieses Erleben
wirkt völlig real.
Was ich besonders interessant fand, weil es mir neu war (wenn ich auch schon den entsprechenden Verdacht hatte), ist dies:
Mit geschickten Manipulationen konnte Philipp Sterzer belegen, wie
vorgefasste Meinungen auch den Sehsinn in die Irre leiten. Seine
Probanden erlebte eine eigentlich zweideutige optische Illusion danach
als stabiles Bild. Besonders interessant: Wer zu leicht wahnhaften
Gedanken neigte, war anfälliger für diesen optischen Placeboeffekt.
"Also Menschen, die eher geneigt sind an zum Beispiel
Übernatürliches zu glauben, an Verschwörung zu glauben, Zusammenhänge zu
sehen zwischen Dingen die sie beobachten, die sind auch eher bereit,
Dinge entsprechend ihren Erwartungen und ihren Überzeugungen
wahrzunehmen. Was dann, so ist die Theorie, letztlich wiederum auch das
wahnhafte Denken verstärken kann. Wenn ich die Welt so sehe, wie ich
denke, dann denke ich auch wiederum so, wie ich sehe."
Es ist nicht schwer, das auf die Audiophilen zu übertragen, und auf das Hören. Wenn bei einem Hörvergleich kein Unterschied vorhanden ist, dann ist das eine "zweideutige akustische Illusion". Eine vorgefasste Meinung kann daraus leicht einen "stabilen Klang" ergeben. Wissen wir, daher braucht man Blindtests. Daß die Neigung allerdings mit der Anfälligkeit für Übernatürliches korelliert ist, habe ich bisher nur vermutet. Jetzt scheint das wissenschaftlich erwiesen zu sein.
Im AH-Forum scheinen solche Leute gehäuft aufzutreten.