Donnerstag, 10. Juli 2014

Augenhöhe

Ich wollte eigentlich meine Kommentare zu Nicht-Audio-Themen stark eingeschränkt halten, aber die neuere Entwicklung in der NSA-Spähaffäre juckt mir dann doch in den Fingern. Das wäre dann schon der dritte Beitrag zu diesem Thema, nach diesem und diesem.

Nach dem Abhören des Kanzlerinnen-Handies ist nun mit der Entdeckung zweier "Doppelagenten" im BND und beim Militär zum zweiten Mal der Punkt erreicht, an dem unsere eigene Regierung den Eindruck ernsthafter Verstimmtheit zu erwecken versucht. Es geht sogar so weit, daß Minister Schäuble den USA Dummheit vorgeworfen hat. Und man hat dem obersten Geheimdienstler der USA in Deutschland die Heimreise nahegelegt.

Dabei war ich geradezu erleichtert zu erfahren, daß die USA offensichtlich noch nicht auf die Anwendung konventioneller, ja geradezu traditioneller Spionagemethoden verzichten können. Man hört die gesamte Kommunikation der Welt ab, aber braucht offenbar doch noch immer menschliche Zuträger, die einem für Geld Dokumente liefern. Wer hätte das gedacht!

Und wie billig das im Vergleich ist! Für mehrere Hundert Dokumente sollen gerade mal 25000 Euro nötig gewesen sein! Man stelle sich vor, ein großer Teil der enormen Budgets der amerikanischen Geheimdienste würde für Agentenlohn und Bestechungsgeld ausgegeben statt für Massenabhörtechnik, welche Berge von Dokumenten man dafür kriegen könnte! Die Perspektiven, die sich dadurch für die Terrorbekämpfung ergeben, sollte man sich klar machen: Man gibt ein paar gut platzierten Leuten einen Fuffi, und sie sagen einem was sie wissen. Die ganze teure Massenüberwachung wäre unnötig.

Warum nimmt unsere eigene Regierung gerade das so ernst?

Als Erklärung pflegt man darauf hinzuweisen, daß sich das unter Freunden nicht gehört, und daß die Bundesrepublik die USA natürlich nicht in dieser Form bespitzelt. Man redet von Vertrauensbruch und Belastung der transatlantischen Freundschaft. Und in neuester Zeit eben von Dummheit auf Seiten der USA.

Ich bin anderer Meinung. Ich sehe das als Zeichen von Dummheit auf Seiten der Bundesrepublik. Und wo es nicht Dummheit ist, da ist es Heuchelei, und der Versuch, vom eigentlichen Problem abzulenken.

Es ist ja schon einmal deutlich, daß sich die Bundesregierung nur dann öffentlichkeitswirksam aufregt, wenn sie selbst ausgespäht wird, nicht aber wenn das deutsche Volk oder die deutsche Wirtschaft ausgespäht wird. Daran hat sich im letzten Jahr nichts geändert. Die massenhafte Ausspähung der ganzen Gesellschaft ist für die deutsche Regierung kein Anlaß zu "ernsthaften" Reaktionen, und die Aufklärung dieser Ausspähung wird behindert so gut es geht. Die konventionellen Spionageaktionen gegen die Bundesregierung werden auch deswegen so ernst genommen, weil dadurch der Blick der Öffentlichkeit abgelenkt werden kann.

Man muß sich auch klar machen daß die beiden jüngsten Spionagefälle nicht an die Öffentlichkeit gedrungen wären, wenn die Bundesregierung das nicht gewollt hätte. Jede Überraschung ist da gespielt, denn kein Staatsanwalt hätte es gewagt, einen politisch so brisanten Ermittlungsfall ohne Abstimmung mit den zuständigen Ministerien an die Öffentlichkeit zu geben. Staatsanwälte sind hierzulande ja Untergebene des Justizministers. Noch vor einem Jahr wäre so etwas hinter den Kulissen geräuschlos geregelt worden. Und die USA konnten auch erwarten, daß das - wie immer - geräuschlos geregelt würde. Warum also hätten sie sich zurückhalten sollen? Zumal ja auch völlig unglaubwürdig ist, daß die Bundesregierung erst jetzt gemerkt haben will, daß die Amis in Deutschland spionieren. Den meisten Leuten dürfte klar sein, daß die Dienste der USA schon seit vielen Jahren in Deutschland spionieren, mit Wissen und unter Duldung und Deckung der Bundesregierung.

Was also will die Bundesregierung erreichen, wenn sie von der langjährigen Praxis abweicht, und jetzt versucht, in der Öffentlichkeit Kapital daraus zu schlagen?

In den USA glaubt man, daß das damit zu tun hat, daß Deutschland sich gegenüber der "Five Eyes" zurückgesetzt fühlt. Diese Gruppe von 5 englischsprachigen Ländern (USA, die Briten, Kanada, Australien und Neuseeland) arbeitet geheimdienstlich besonders eng zusammen, und die deutsche Regierung möchte gerne dazu gehören. Das Streben nach einem "No-Spy-Abkommen" fußt auf dem gleichen Gefühl der Zurückweisung, und in den USA scheint man die jüngsten Ereignisse als einen Versuch der Bundesregierung zu sehen, Druck auf die USA in Richtung Aufnahme in den erlesenen Club auszuüben, oder wenigstens als ein Zeichen der Frustration der Bundesregierung, daß man da nicht weiter kommt.

Es geht, mit anderen Worten, nicht etwa darum daß die Bundesregierung die ganze Spioniererei schlecht finden würde. Im Gegenteil, sie möchte in den Club aufgenommen werden, der am allerintensivsten spioniert. Was die alles können! Was die alles dürfen! Was die sich alles erlauben, ob sie's dürfen oder nicht! Da möchte man dabei sein! Da muß man dabei sein! Es muß weh tun, immer wieder abzublitzen, kein Wunder daß man irgendwann aus Frust den Amis an's Schienbein tritt.

Dabei haben im letzten Jahr die USA und auch die Briten keinerlei Gelegenheit ausgelassen, uns Deutschen klar zu machen, daß da nichts draus werden wird, daß wir nicht den Vertrauensstatus genießen, der dazu nötig wäre. Die ganzen Beschwörungen der transatlantischen Freundschaft, die Vertrauensrhetorik, stammt von unseren deutschen Politikern, nicht aus den USA. Daß wir befreundete Staaten seien, deren gegenseitiges Vertrauen Spionage unnötig und unangebracht macht, ist reines Wunschdenken der deutschen Seite, keine gemeinsam getragene Ansicht zwischen Berlin und Washington. Die USA versucht seit Monaten, uns das klar zu machen, sowohl auf der politischen Ebene als auch auf der Ebene der Medien.

Für die USA sind wir keine befreundete Nation in irgendeinem konkreten, handfesten Sinn. Man mag das in Sonntagsreden beschwören, in der politischen Praxis sieht man uns eher als unsicheren Kantonisten, auf den im Ernstfall kein Verlaß ist. Wir haben diese Haltung schließlich auch mehrfach genährt, indem wir uns aus mehreren militärischen Aktionen herausgehalten haben, bei denen uns Washington gerne dabei gehabt hätte. Zudem haben wir versucht, spezielle Kontakte zu Russland zu unterhalten, bis hin zum Fall des Ex-Bundeskanzlers Schröder, der für ein deutsch-russisches Unternehmen den Aufsichtsrat leitet. Kurz gesagt sind wir dem USA für eine echte Freundschaft nicht loyal genug.

Nun gehöre ich bestimmt nicht zu denen, die angesichts dieses Umstandes dafür wären, den Amis noch tiefer in den Hintern zu kriechen. Eher schon sollte man das überholte Wunschdenken ablegen, nach dem wir die wichtigsten und wertvollsten Freunde der USA wären. Wir sehen für die USA zunehmend wie ein alternder Zögling aus, der sich weigert erwachsen zu werden. Wie ein 50-jähriger Sohn, der immer noch bei der Mutter wohnt und sich von ihr die Unterhosen waschen läßt, aber nicht möchte daß die Mutter guckt mit welchen Frauenbekanntschaften er sich trifft. Mir scheint, die Amis versuchen uns zunehmend deutlich zu machen, daß wir verdammt nochmal endlich die Arschbacken zusammenkneifen, und auf eigenen Füßen stehen sollen.

Es täte uns Deutschen, und gerade auch der Bundesregierung, gut wenn wir so schnell wie möglich die Kränkung hinunterschlucken, daß wir nicht mehr Mama's Liebling sind. Und dazu empfehle ich, in der öffentlichen Diskussion die Verwendung der politischen Hohlworte "Vertrauen" und "Freundschaft" peinlichst zu vermeiden. Was hier zählt sind Interessen, und ein möglichst nüchterner Blick darauf, wo diese Interessen übereinstimmen und wo nicht.

Dann merkt man auch schnell, daß die deutschen Interessen nicht mit denen der "Five Eyes" übereinstimmen, und daß wir deshalb da auch ganz berechtigterweise nicht dazu gehören. Daß es unsere Dummheit ist, dazugehören zu wollen, und nicht die Dummheit der USA, uns nicht reinzulassen.

Im Hintern ist man nicht auf Augenhöhe. Wer also den Anspruch hat, den USA auf Augenhöhe entgegen zu treten, muß zuerst aus ihrem Hintern heraus kommen. Berlin scheint das noch nicht kapiert zu haben. Wenn wir das konsequent täten, dann hätten wir auch eine Chance daß uns die USA als Partner (nicht Freund) akzeptieren und respektieren, gerade auch dann wenn sich unsere Interessen unterscheiden.