Montag, 20. Juli 2009

Nötig vs. Möglich

Mit schöner Regelmäßigkeit bricht die Audioindustrie eine neue Formatdiskussion vom Zaun. Das ist seit Jahrzehnten der Brauch. Es scheint dabei nicht so als würde man in irgend einer Form dazulernen.

Es gibt nur wenige Fälle die man hier uneingeschränkt als Erfolgsstory anführen kann. So wie ich das sehe kommen für den Titel eigentlich nur 4 Formate in den letzten 60 Jahren in Frage: Die Single (45 U/min), die LP, die Compact-Cassette und die CD. Die Liste der mehr oder weniger gescheiterten Formate ist um ein Vielfaches länger und ich versuche gar nicht erst sie aufzuschreiben. Mit der Blu-Ray Audio Disc ist man gerade dabei die Liste um einen weiteren Eintrag zu erweitern.

Das Problem ist daß man mit der Blu-Ray-Technologie einen Datenträger zur Verfügung hat, den man in möglicht viele Märkte drücken will, damit sich mit der Verbreitung auch die Stückzahlen steigern. Investitionen in Fertigungsanlagen und Entwicklungskosten wollen sich rentieren, aber da kann dann schon mal die Sicht des Konsumenten aus dem Blickfeld geraten der sich fragt was er von all dem hat. Und bei Licht betrachtet hat er davon bestürzend wenig.

Der Konsument will, platt ausgedrückt, seine Mucke abspielen können, und zwar mit möglichst wenig Komplikationen. Seit der Compact-Cassette ist er es auch gewohnt, Musik zu überspielen, und das wird man ihm kaum so einfach abgewöhnen können, aller Drohkulisse und technischen Trickserei zum Trotz. Nicht umsonst sind alle Versuche der Industrie, das zu verhindern - und es gibt nicht wenige davon - übel nach hinten losgegangen. Der Blu-Ray-Versuch ist nur der nächste in der Reihe, mit dem mal wieder ein Kopierschutzsystem etabliert werden soll, und der Konsument wittert ohnehin mittlerweile in jeder derartigen Neuerung einen Kopierschutz-Trick. Ich meine zurecht.

Um dem Konsumenten-Fisch das Zubeißen zu erleichtern muß man natürlich einen Wurm an den Haken hängen. Das war schon bei der SACD und der DVD-A so. In beiden Fällen bestand der in der möglich höheren Audioqualität und der Möglichkeit von Surround-Audio. Bei der Blu-Ray-Disc ist das im Grunde immer noch das Gleiche. Aber die Frage ist was das bringt.

Zu Surround:

Die Verfügbarkeit von Surround-fähigen Anlagen hat zwar im Zusammenhang mit Heimkino stark zugenommen, aber die adäquate Wiedergabe einer Film-Geräuschkulisse ist wohl doch nicht das Gleiche wie gescheite Musik-Wiedergabe, selbst wenn die so produziert sein sollte daß sie vom Surround-System profitiert, was gar nicht so häufig der Fall ist. Blöderweise muß der Konsument nämlich hier seine verfügbare Kohle auf 5 oder 6 oder gar mehr Lautsprecher aufteilen statt auf zwei, und angesichts der Tatsache daß guter Klang hauptsächlich an den Lautsprechern hängt bedeutet das nicht selten daß die dann gekauften Lautsprecher eben die schlechtern sind, und der resultierende Klang summa summarum ebenfalls schlechter. Dazu kommt noch daß bei Surround die besten Hörpositionen im Raum noch weiter eingeschränkt sind als bei Stereo, und daß man beim Aufstellen und Einmessen noch mehr falsch machen kann. Und das wo 80% oder mehr der Mucke immer noch in Stereo daher kommt. Für viele stellt daher der Schritt zu Surround eher einen klanglichen Rückschritt dar, und es gibt etliche Leute die ihre Heimkino-Anlage strikt getrennt von der Stereo-Anlage halten. Das sollte die Industrie eigentlich alarmieren, denn das heißt daß in den Augen der Konsumenten mit Surround etwas grundsätzlich faul ist.

Zudem, wenn man Surround flächendeckend in den Markt drücken will, dann muß man dafür sorgen daß auch die Radios damit arbeiten. Sonst muß man de facto erst wieder zwei Varianten produzieren, und man kann dem Kunden mit der Surround-Version den Mund nicht wäßrig machen bevor er das Produkt kauft. Gerade das Auto als ein Ort wo viel Radio gehört wird (und auch zukünftig werden wird) wäre dafür der ideale Ort, und da ist der Kopf des Hörers noch dazu in einer sehr vorhersehbaren Position. Aber wir wissen alle daß das nicht passiert ist. Und gerade wo DAB endlich in der Hinsicht erweitert wurde daß auch Surround möglich wird (wieder so ein Format-Desaster) muß man in Deutschland und vielen anderen Ländern sein Scheitern eingestehen. Ein Armuts-Zeugnis ersten Ranges.

Zur Audioqualität:

Die wird bei den Digitalmedien schon seit Jahr und Tag in Bits und Kilohertz gemessen, und man tut so als sei mehr auch automatisch besser. Bloß, wer mag das inzwischen noch glauben? Die Masche ist dermaßen abgegriffen daß das keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Und unabhängig davon was die Audiophilen alles hören gibt's bei Beidem einen Punkt an dem einfach genug ist. Mehr bringt keinen merkbaren Mehrwert. Das was hier nötig ist wurde mit der CD vor über 25 Jahren erreicht. Seither ist zwar viel mehr möglich geworden, die Fälle in denen es auch einen Unterschied macht sind aber so dünn gesät daß man getrost darauf pfeifen kann.

Es klingt provokativ, aber ja ich behaupte hier daß 44,1 kHz Abtastrate bei 16 bit genug ist. Genug für ein Distributionsmedium wie der CD oder auch der Verteilung über Internet. Ketzerei? Vorgestrigkeit? Ich behaupte nein, und hier kommt meine Begründung:

Wieviele Audioproduktionen kennt Ihr die von mehr Wortlänge als 16 bit oder von einer höheren Abtastrate als 44,1kHz tatsächlich profitieren würden? Welche Produktionen z.B. arbeiten wirklich mit Frequenzen jenseits von 16-20 kHz, die sowieso nur ein Teil der Kunden überhaupt wahrnimmt, und die in irgend einer Form relevant für das Hörerlebnis sind? Meine Schätzung ist Null. Wie viele Produktionen gibt es bei denen ein Rauschteppich bei -95 dBFS tatsächlich stört? Ich würde sagen ebenfalls Null.

Bei der Abtastrate kann ohnehin nur jemand anderer Meinung sein der glaubt daß man irgendwie auch Frequenzen hören kann die nach konventioneller Weisheit im Ultraschall-Bereich liegen. Solche Meinungen gibt's, aber der überzeugende Nachweis dafür fehlt bisher. Und selbst dann würde das noch nicht bedeuten daß es auch relevant für den Musikgenuß ist. Bei der LP ist es das schließlich auch nicht.

Und bei der Wortlänge muß man sich klar machen daß selbst wenn die Anlage so eingestellt ist daß der Rauschteppich an der menschlichen Hörschwelle liegt, das heißt gerade nicht mehr heraushörbar ist wenn es absolut kein Hintergrundgeräusch gibt, daß dann die meisten Scheiben immer noch lauter spielen als man es normalerweise im Wohnzimmer einstellen würde. Und Hintergrundgeräusch gibt's in der Praxis immer, und zwar mehr als man meist meint.

Eine typische "vernünftige" Abhörlautstärke beträgt vielleicht 83 dB-SPL, und das bedeutet daß man noch 12 dB Headroom für Pegelspitzen hätte. So ungefähr war die CD ursprünglich mal eingepegelt, bevor der Lautheitswahn zugeschlagen hat. Das heißt schon damals, ohne die heutige "harte" und superkomprimierte Aussteuerung hatte das Medium CD einen Rauschabstand, der besser als jede praktische Abhörsituation ist. Der Lautheitswahn hat uns Scheiben beschert, die weniger Headroom und damit mehr Rauschabstand haben, und da man kaum noch Dynamik hat kriegt man zudem vom Rauschabstand gar nichts mit, außer theoretisch in den Pausen zwischen zwei Titeln. Man hat also dazugewonnen wo man eh schon mehr als genug hatte, und weggeschmissen wovon die Musik lebt.

Mehr als 16 bit würde nur völlig überflüssigerweise noch mehr Rauschabstand bringen, aber am Dynamikproblem nicht die Bohne ändern. Die Produktionen würden genauso an die Wand gefahren wie heute, denn das Problem ist nicht das Format. Käme es nur auf den besten Klang an, dann könnte man CDs herstellen die nicht merklich anders oder gar schlechter klingen als eine SACD oder DVD-A oder meinetwegen Blu-Ray-Audio-Disc. Weil eben die CD reicht. Aber auf den besten Klang kommt es offensichtlich gar nicht an, wie man sieht.

Jetzt könnte man sagen, ok die CD ist für die Massen, während die SACD (oder DVD...) für die Audiophilen ist. Auch wenn es technisch nicht nötig wäre schafft man so die Zielgruppen-Unterscheidung über eine unterschiedliche Mastering-Philosophie für die verschiedenen Medien. Bei der CD die totkomprimierte Thrash-Produktion, die einen aus dem Lautsprecher anspringt, aber spätestens beim dritten Mal nervt, und bei der SACD die gemäßigte Version für das kritische Publikum. Partiell wurde das bei der SACD auch probiert, aber nicht konsequent durchgezogen, und es wäre auch dann noch zweifelhaft gewesen ob es funktioniert hätte. Der Wurm ist einfach zu verschrumpelt als daß er den Haken "Kopierschutz" hätte verstecken können. Der blöde Konsument hat sich als nicht blöd genug erwiesen. Und in einer halsabschneiderischen Branche kann man nicht wirklich den Produktions-Mehraufwand für eine zweischichtige SACD durchsetzen und durchhalten wenn der Aufwand eigentlich gar nicht nötig wäre. Zudem war man natürlich auch nicht bereit dem Kunden reinen Wein einzuschenken. Das Dilemma ist ja das man mit der Existenz einer SACD implizit zugibt daß die entsprechende CD dann die Schrottproduktion ist. Stattdessen log man was zusammen daß die CD eben nicht mehr Klang hergibt und es die SACD (wegen mehr Bit und mehr Frequenz) brauche um guten Klang zu ermöglichen. Bullshit.

Und kaum ist man mit dem Wundenlecken von letzten Desaster fertig bereitet man das nächste vor. Auf eine Blu-Ray-Scheibe passt mehr Audio als die allermeisten Bands in ihrer ganzen Existenz an Stücken zusammen bekommen. In absolut einwandfreier Qualität, die auch durch Datenverschwendung nicht merklich besser wird. Womit füllt man also den Platz? Mit Müll?

Und wie überzeugt man den Konsumenten das er einen Blu-Ray-Player zum Musikhören anschaffen soll, der zum Einlesen der Scheibe so lange braucht daß ein CD-Spieler schon das erste Lied abgespielt hätte?

6 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Das Problemchen der unheiligen Allianz Musikindustrie/Gerätehersteller ist, dass die Abspielgeräte nicht alle Jahr verrecken und die Kunden findig, findig das DRM ablehnen oder aushebeln. Also alle Weil eine neue Sau durchs dorf getrieben und von den Fanboypostillen hochgejazzt. Dabei sind die Polycarbonatscheiben jedweder Spezifikation ohnehin bald auch als Carrier obsolet.

Anonym hat gesagt…

Wenn ich dir auch nur selten recht geben kann, aber hier hast du recht.
Mir reicht die Qualität einer gut gemachten CD längst.

Grüße vom Charly

Anonym hat gesagt…

bodenlose Frechheit....

Ein Konsens-Blog vom Bürger P ;)

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass CD`s mit ca. 50 dB(C) Dynamik (min/max) meist super klingen.

Schluss mit Lustisch ist bei ca. 30 dB(C)

Grüße Alex8529

Anonym hat gesagt…

Und so lassen wir die musiek industrie weiter geld verpulvern. Am ende sind die schuldigen eh klar, wir die bösen kunden die ja alles downloaden und übelst bestraft werden müssen.

Unknown hat gesagt…

Die von den Herren Moran und Meyer in einem Journal of audio society(JAES) veröffentlichte Studie zum Thema "Flaschenhals" 44.1 kHz/16Bit Wiedergabe wird wohl manchem Audiophilen die Nächte versaut haben.
Der Studie zu folge ist das CD-Format als Wiedergabeformat völlig ausreichend.
Überrascht zwar nicht unbedingt jeden und wird auch die Industrie nicht gerade zufriedenstellen.
Im übrigen haben ja schon an der Hochschule für Musik in Detmold die Herren Dominik Blech und Min-Chi Yang in einer Diplomarbeit (DSD versus PCM) die Entweihung des DSD-Mythos vorangetrieben.
Es gibt auch Plattenlabel wie z.B das schwedische BIS welche verkündet haben, dass sie "nur" noch 44.1/24Bit aufnehmen, und der Rennerei nach dem Möglichen entsagen.

Unknown hat gesagt…

@Martin:

Nur mit 44.1 kHz aufnehmen ist aber tatsächlich limitierend, weil man digital bessere steile Tiefpassfilter (mit Flanke zwischen Hörschwelle und Nyquist) bauen kann als analog und deshalb am besten mit 96 kHz aufnimmt und verarbeitet und danach runterskaliert und dabei einen digitalen 20 kHz Roll-off anwendet anstatt einen analogen vor dem DA-Wandler zu verwenden. Vor der Wandlung kann man bei 30-40 kHz oder so abrollen, das gibt keine Artefakte mehr im 18-20 kHz-Bereich, der ja noch an der Hörschwelle liegt.

Andererseits kann das der 40-jährige Musikenthusiast eh nicht mehr hören.