Dreimal hat sich die Stereoplay im vergangenen Jahr ja bereits mit ihrer Verstärker-Meßtechnik-Sensation in die Nesseln gesetzt. Neben einer Debatte in ihrem eigenen Forum habe ich bekanntlich auch hier in meinem Blog schon dazu Stellung genommen, und dann nochmal hier. Als danach eine Zeitlang Ruhe eingekehrt war dachte ich schon man wollte bei der Stereoplay Gras über die Sache wachsen lassen, was immerhin der gnädigste Umgang mit diesem Schwachsinn gewesen wäre, wenn auch nicht der ehrlichste.
Da habe ich mich aber offenbar geirrt. Man wollte wohl das Jahr nicht enden lassen, ohne die Scharte auszuwetzen, und so folgte in der aktuellen Ausgabe 01/2010, die noch vor den Feiertagen erschien, die nunmehr vierte Folge dieser Realsatire. Ich bin bloß ein bißchen spät drauf gekommen, nachdem ich gestern im Supermarkt zufällig besagtes Heft in den Händen hielt. Immerhin habe ich durch den Erwerb des Heftes jetzt auch das moralische Recht zum Kommentar, auch wenn ich eigentlich nicht dafür bin daß die Redaktion daran etwas verdient. Ich schätze aber daß es wohl einige Leute geben wird die aufgrund meiner Beiträge hier schon aus Solidarität (man könnte auch "Lagerdenken" dazu sagen) zum Umsatz der Zeitschrift beitragen. Wohlan: Was da drin steht habt Ihr Euch redlich verdient!
Nachdem ich erst so spät drauf kam mußte auch der neue Thread im dortigen Forum ohne meine Beteiligung auskommen, ob zu seinem Vor- oder Nachteil möge jeder selbst beurteilen. Hubert Reith hat dort die Show fast allein geschmissen, und da er im Gegensatz zu mir kein Kotzbrocken™ ist hat es auch keine unfreundlichen Worte gegeben. Es hat aber vorhersehbarerweise dazu geführt, daß Johannes Maier sich für Verbesserungsvorschläge bedanken konnte, die genau genommen besagen daß die Messungen komplett für die Mülltonne sind. Und das sind sie auch. Hubert kann kaum anders verstanden werden, auch wenn er es vermeidet, streitgefährliche Formulierungen zu verwenden.
Aber dafür gibt's ja mich.
Wobei ich allerdings sagen würde daß diese Messungen genau den Zweck erfüllen, für den sie gedacht sind. Das ist nicht etwa der Versuch, Verstärkerklang zu beweisen, nein, dafür wären die Messungen genauso ungeeignet wie in den drei Folgen zuvor. Worum's in Wirklichkeit dabei geht habe ich schon in meinen letzten Beiträgen hier im Blog andiskutiert, aber mit der neuesten Meßtechnik-Entwicklung der Stereoplay stellt sich das noch wesentlich deutlicher dar, und die Methode ist für das verfolgte Ziel auch besser geeignet. Die paar Monate wurden also nicht verplempert.
Es stellt sich jetzt sonnenklar dar daß Motivation und Zielsetzung der Redaktion darin liegen, für die willkürliche Einstufung von Testgeräten auch im meßtechnischen Bereich die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Bisher fehlte noch eine Meßtechnik, die für die Leserschaft praktisch undurchschaubar ist, aber zugleich glaubwürdig aussehende Diagramme liefern kann die man praktisch nach Belieben an die schon feststehende Einstufung der Geräte anpassen kann, und so aussehen als würden sie diese unterstützen. Die ersten Versuche in dieser Richtung waren viel zu plump als daß sie Akzeptanz hätten finden können, daher war es nötig, die Methoden weiter zu verfeinern, in der Hoffnung daß mangels Verständnis auch die Kritik daran erstirbt.
Die Einstufung der Testgeräte ist auch jetzt schon zu 70% vom subjektiven und völlig willkürlichen Höreindruck der Redaktion bestimmt, was der Redaktion den nötigen Spielraum zur Optimierung ihres wirtschaftlichen Ergebnisses verschafft. Man könnte der irrigen Meinung sein daß das eigentlich reichen müßte um ein gewünschtes Gerät gewinnen zu lassen, auch ohne Hand an die Meßtechnik zu legen. Das Problem ist, daß darin immer auch die Gefahr der Unglaubwürdigkeit schlummert, wenn die meßtechnischen Ergebnisse zu offensichtlich mit dieser Einstufung im Widerspruch sind. Die hardcore-audiophile Leserschaft wird sich davon noch am wenigsten beunruhigen lassen, aber es scheint doch immer noch zu viele Leser zu geben die es als einen Makel wahrnehmen, wenn ein viele Tausender kostender Verstärker "nur" einen guten Klang und nicht auch noch gute Meßwerte hat, auch wenn die an der Endeinstufung nur noch ein paar Prozent ausmachen.
Also sucht man nach Wegen wie man den Siegern auch standesgemäße Meßwerte verschaffen kann, die das Gesamtergebnis harmonischer ausfallen lassen, ohne daß der Schmu zu sehr auffällt. Meßergebnisse, die für den Laien, der nicht versteht daß sie nichts aussagen, den richtigen Eindruck erwecken. Kurven also, die dahingehend gewählt und optimiert sind, daß sie bei den Siegern gerade und bei den Verlierern krumm ausfallen.
In dieser Suche hat die Stereoplay nunmehr, man muß es anerkennen, den Durchbruch erzielt. Die Messungen sind völlig unsinnig, ergeben aber eine Kurve, die in der Tendenz bei denjenigen Verstärkern gerade wird, die bei der Stereoplay traditionell gewinnen müssen: Nämlich denen ohne oder mit wenig Gegenkopplung.
Mit tatsächlich hörbaren Effekten hat das nichts zu tun, und die Stereoplay hat auch keinerlei Zusammenhang bewiesen, auch wenn sie es natürlich anders behauptet. Sie hat lediglich eine Meßmethode gefunden bei der ein niedriger Dämpfungsfaktor besser aussieht.
Da der Artikel der Stereoplay nicht online verfügbar ist muß ich hier kurz erklären was sie da tun:
Um den Dämpfungsfaktor bzw. die Ausgangsimpedanz eines Verstärkers zu messen macht man oft Folgendes: Man speist über einen Längswiderstand ein Signal in den Ausgang des Verstärkers ein und mißt wieviel davon nach dem Widerstand, also direkt am Ausgang, noch übrig ist. Der Verstärker selbst wird an seinem Eingang nicht mit einem Signal versorgt, er bleibt stumm. Im Idealfall würde er dem Signal widerstehen, das man ihm "hinten" gegen die Natur reinschiebt, und seinen eigenen Ausgang auf Null halten. Das wäre dann eine Ausgangsimpedanz von Null Ohm, oder ein unendlicher Dämpfungsfaktor. Der Ausgang wirkt wie ein Kurzschluß nach Masse, und das eingespeiste Signal würde komplett am Widerstand abfallen.
So ideal ist es nicht in der Praxis, und die Ausgangsimpedanz des Verstärkers bildet mit dem externen Widerstand einen Spannungsteiler. Vom eingespeisten Signal läßt sich also ein Rest am Ausgang des Verstärkers nachweisen, und aus der Stärke des Rests läßt sich auf Ausgangsimpedanz und Dämpfungsfaktor schließen. So weit ist alles Standard. Die Stereoplay mißt nun auf diese Weise die Ausgangsimpedanz des Verstärkers in Abhängigkeit von der Frequenz, wobei 8 Ohm als Längswiderstand verwendet werden. Der Wert bei 100 Hz wird als Maß genommen, die Ausgangsimpedanz bei dieser Frequenz wird also notiert, und man wählt einen handelsüblichen Widerstand als Bauteil mit der gleichen Impedanz (= Widerstandswert). Dieser dient jetzt als Bezugspunkt bzw. Referenz für einen Vergleich.
Im Beispiel eines Sony-AV-Receivers finden sie laut abgebildetem Meßschrieb eine Dämpfung von ca. 38dB bei 100 Hz, was ungefähr einem Dämpfungsfaktor von 80 entspricht, und somit einer Ausgangsimpedanz von etwa 100 Milliohm. Recht normal für gängige, gegengekoppelte Transistorverstärker. Sie müssen also als Vergleichs-Bauteil einen Widerstand mit ca. 100 Milliohm hergenommen haben (das erschließt sich aus dem Zusammenhang, explizit angegeben ist es nicht).
Jetzt wird es interessanter, und der Blödsinn nimmt seinen Lauf. Man meint ja nun bei der Stereoplay daß der Schlüssel zum Problem darin zu finden wäre daß Rückwirkungen von echten Lautsprechern auf den Lautsprecherausgang schuld sein müßten. Um dem näher zu kommen als sie mit dem rückeingespeisten Sinussignal zu sein glauben machen sie zweierlei: Zum Einen ersetzen die den 8 Ohm-Längswiderstand durch einen Lautsprecher, zum Anderen verwenden sie statt des Sinus ein MLS-Signal. Das MLS-Signal ist eine spezielle Form von Rauschen, das im Grunde alle Frequenzen zugleich enthält, und das daher als einem Musiksignal näher angenommen wird.
Mit dieser geänderten Anordnung speist man wiederum das Signal in den Verstärkerausgang, und zum Vergleich abwechselnd in den oben gefundenen Referenzwiderstand. Wenn sich der Verstärkerausgang nun verhalten würde wie ein ohmscher Widerstand dann müßte der Effekt beidesmal der gleiche sein. Ein Unterschied zwischen den beiden Messungen, so die Idee, deutet darauf hin das sich das Verhalten des Verstärkerausganges von dem eines Widerstandes unterscheidet. Und je mehr es sich unterscheidet, so denkt man bei Stereoplay, desto schlechter für den Klang. Wenn man nur den Unterschied in einem Diagramm aufträgt, dann würde es eine waagrechte Linie ergeben wenn der Verstärkerausgang so reagiert wie ein Widerstand, aber eine mehr oder weniger interessante Kurve wenn er anders reagiert.
Beim Sony-Beispielverstärker ist es wie bei vielen solchen Verstärkern so daß die Ausgangsimpedanz zu höheren Frequenzen hin ansteigt. Das sieht man dann auch in der auf diese Weise gemessenen "Differenzkurve". Der Unterschied zum Referenzwiderstand steigt zu höheren Frequenzen hin an, denn der Referenzwiderstand hat durchweg die gleiche Impedanz. Gut aussehen würde ein Verstärker dann, wenn er eine über die Frequenz unveränderte Ausgangsimpedanz hätte, denn das wäre genau das Verhalten eines Widerstandes, womit der Unterschied minimal würde und die resultierende Linie im Diagramm horizontal.
Für Leute mit den üblichen gegengekoppelten Transistorverstärkern, die der Johannes Maier von der Stereoplay so haßt, ergibt sich daraus eine einfache Möglichkeit zum "Tuning", die das Gerät bei dieser Messung makellos dastehen läßt: Man braucht einfach nur einen Längswiderstand ins Lautsprecherkabel einzuschleifen. Durch diesen wird die Ausgangsimpedanz des Verstärkers erhöht und zugleich "linearisiert".
Machen wir das am Beispiel des besagten Sony einmal konkret: Wir könnten z.B. einen Widerstand von 1 Ohm dem Verstärkerausgang in Serie schalten. Dadurch würde bei 100Hz die Ausgangsimpedanz von 100 Milliohm auf 1,1 Ohm ansteigen, was der neue Wert des nach der obigen Methode gefundenen Referenzwiderstandes wäre. Auch bei 40 kHz wäre die Ausgangsimpedanz des Verstärkers dann nur unwesentlich größer. Der Dämpfungsfaktor ginge natürlich entsprechend in den Keller, aber das macht laut Stereoplay offenbar nichts. Die Differenzkurve wäre nun sehr ähnlich derjenigen, die von der Stereoplay für einen Verstärker von Ayre gezeigt wird, und da "perfekt" genannt wird.
Entsprechende Widerstände kann der "creative Tuner" schon für unter einem Euro mit der nötigen Belastbarkeit erwerben, und sich je nach Geschmack mit zusätzlichen Schrumpfschläuchen oder Edelholzkistchen eine ansprechende Lösung für normale Transistorverstärker basteln, mit der er meßtechnisch mit "perfekten" Geräten gleichziehen kann, die mehr als das Zehnfache kosten würden. Wenn sich die Meßmethode von Stereoplay durchsetzen sollte, dann werden wir wahrscheinlich Hersteller finden, die solche Widerstände schon in den Verstärker einbauen, das wäre jedenfalls einfacher als sich mit den Instabilitäten herumzuschlagen die einen bei einem Verzicht auf Gegenkopplung beschäftigen würden.
Wir sehen wie einfach es ist einem Verstärker einen großen Dämpfungsfaktor wieder abzugewöhnen wenn das aus welchem Grund auch immer opportun erscheint. Dazu braucht man noch nicht einmal das Gehäuse zu öffnen. Kann es einen einfacheren Weg zum klanglichen Nirvana geben? Warum ist da bloß noch niemand darauf gekommen?
Wie wir sehen ist diese Meßmethode also kein Anlaß, sich nun definitiv teure, komplizierte Verstärker ohne Gegenkopplung zu kaufen, wie das die Stereoplay wohl gerne hätte. Die haben zwar oft von sich aus schon eine relativ hohe Ausgangsimpedanz, weil das ohne Gegenkopplung relativ schwer zu vermeiden ist, aber die fehlende Gegenkopplung macht eben eine Menge anderer Probleme die das Gerät komplizierter und teurer machen. Es kommt noch dazu daß man einen externen Serienwiderstand leicht wieder entfernen kann wenn man von dem Unfug geheilt ist, und begriffen hat wozu eine niedrige Ausgangsimpedanz gut ist, auch wenn sie nicht konstant über die Frequenz sein sollte.
Daß die von den Stereoplay-Redakteuren angebotenen Behauptungen und Schlußfolgerungen mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun haben sollte inzwischen zur Genüge klar geworden sein. Beinahe jeder zweite Satz in dem zweiseitigen Artikel enthält irgendeine grundlose Behauptung für die ich hier wieder mehrere Absätze brauchen würde um sie gebührend zu shreddern.
Aber technische Sinnhaftigkeit ist ja auch nicht der Maßstab an dem man diese "Erfindung" messen sollte. Als Hilfsmittel zur Verblödung ihrer Leserschaft ist ihre neueste Methode jedenfalls erheblich geeigneter als das was man uns vor ein paar Monaten noch präsentiert hat. Diesen Fortschritt gilt es anzuerkennen.