Dem entspricht die Binsenweisheit daß man auch durch gezieltes Weglassen von Teilen der Wahrheit einen völlig falschen Eindruck erwecken kann. Man kann also Leute in die Irre führen ohne daß man im strengeren Sinne lügen würde. Und wenn man zwischen wahren Aussagen die eine oder andere Lüge einstreut, dann wird sie eher für wahr gehalten. So kann es passieren daß man aus einer Darstellung die völlig falschen Eindrücke und Schlußfolgerungen mitnimmt, obwohl dort nur sehr wenig Unwahres gesagt wurde.
Daran mußte ich Anfang des Monats denken als ich (dieses Jahr zum ersten Mal) die Münchner High-End besucht habe und in einem Vortrag von HMS-Chef Strassner saß. Was er da über eine ganze Stunde dargestellt hat stimmt in weiten Teilen, und doch kommt der unbedarfte Zuhörer fast zwangsläufig zu völlig falschen Schlüssen über die tatsächlichen Verhältnisse. Der Vortrag ist als Tonaufzeichnung mittlerweile online, aber man hätte sich gewünscht daß man dazu auch seine Flipchart-Zeichnungen sehen kann, das hätte das Verständnis wesentlich erleichtert.
Nun ist klar daß Strassner die Interessen seiner Firma vertritt, und die verdient ihr Geld mit dem Verkauf von überteuertem und unnötigem Zubehör, wie Netzkabel, Steckdosenleisten und dergleichen. Daß er die Sache zu seinen Gunsten darstellen würde war also zu erwarten. Die Gratwanderung bei einem solchen Vortrag liegt darin, die Werbung in eine Form zu verpacken, die so aussieht als hätte man es hier mit sachlich einwandfrei begründeten Tatsachen und Zusammenhängen zu tun. Als gehe es nicht darum, einem Kunden mit unlauteren Mitteln die Kröten aus der Tasche zu ziehen, sondern darum, ihm technische Zusammenhänge zu vermitteln, die ihn in die Lage versetzen sollen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Strassner beherrscht das perfekt. Man merkt daß er das schon eine ganze Weile praktiziert. Seine Art mit der Wahrheit zu lügen fand ich interessant genug für einen Artikel hier im Blog. Strassner's Webseite gibt leider nichts dazu her. Nachdem Strassner im Anschluß an den Vortrag ein Papier ausgeteilt hat in dem das Thema recht ausführlich dargestellt wird, sehe ich nicht so recht warum er das nicht einfach auf der Webseite verfügbar macht. Der Link zum Papier geht zu einer ganz anderen Webseite, keine Ahnung wie die dazu gekommen sind. Ich habe irgendwie den Eindruck als stünde Strassner mit dem Internet auf Kriegsfuß. Nun ja, mein Artikel hier wird ihn davon sicher nicht abbringen...
Das Papier ist zehn Seiten lang und der Vortrag dauerte eine Stunde. Ich kann und will hier nicht auf jede Einzelheit daraus eingehen. Es geht mir mehr darum, die Methode darzustellen mit der er seine Zuhörer bzw. Leser um den Finger wickelt. Ich werde also seinen Aussagen das hinzufügen was er - ganz bestimmt absichtlich, schließlich ist er Physiker - wegläßt, zu seinem Nutzen und zum Schaden derer die darauf hereinfallen.
Er greift zu Beginn die durchaus vernünftige Frage auf, die einem angesichts überteuerter Spezial-Netzkabel für Hifi-Geräte eigentlich unmittelbar auf der Zunge liegen müßte: "Wie kann es sein, dass das letzte 1,5m Netzkabelstück den Klang meiner Anlage verbessern soll, wenn doch x-lange Meter einer Standard-1,5qmm Netzleitung in der Wand vorgeschaltet bleiben?" Seine Erklärung fußt darauf, daß die Leitung in der Wand ja für alle Hifi-Komponenten gemeinsam ist, daß es aber auf die Differenzspannung zwischen den Geräten ankomme, und für diese Differenz spielt nur eine Rolle was nach der Steckerleiste kommt, an der sich die Leitungen für die Komponenten aufteilen.
Einiges von dem was er dazu darstellt stimmt tatsächlich:
- Wenn es wirklich Differenzspannungen zwischen den Geräten geben sollte, dann hätten die wegen der unsymmetrischen Cinch-Verbindungen auch eine Auswirkung auf das Audiosignal, das zwischen den Geräten übertragen wird.
- Spannungsschwankungen als solche sind normal und harmlos, sie werden von den Geräten ausgeregelt.
- Netzstörungen, besondern die niederfrequenten, dazu gehören auch Verzerrungen des Netzsinus, sind ebenfalls meist harmlos.
Wenn die von Strassner betrachtete Differenzspannung ∆U auf die Cinch-Verbindung wirken sollte, dann handelt es sich um eine Differenzspannung zwischen den Signalmassen beider Geräte. In keinem Fall ist diese Masse mit denjenigen Leitungen im Netzkabel verbunden, durch die der Betriebsstrom fließt (also dem Außenleiter oder dem Neutralleiter). Nur im Falle einer über Schutzleiter geerdeten Komponente besteht eine Verbindung über den Schutzleiter, aber durch den fließt kein Betriebsstrom (andernfalls liegt ein Fehler vor).
So wie Strassner die Zeichnung gestaltet suggeriert sie daß die Stromaufnahme des Gerätes wie selbstverständlich eine solche Differenzspannung hervorrufen muß, deren Höhe mit der Impedanz der Netzleitung zusammenhängt. Und genau diesen Eindruck will er auch erzeugen. Würde die Zeichnung mit den einzelnen Leitungen aus dem Netzkabel gezeichnet, dann würde sichtbar daß es diesen Zusammenhang in dieser Form nicht gibt, denn es handelt sich nicht um denselben Stromkreis.
Strassner lügt, nicht indem er offen die Unwahrheit sagt, sondern indem er einen entscheidenden Aspekt der Wahrheit verschleiert. Einen Aspekt, der ihm wohlbekannt sein muß, schließlich stellt er im weiteren Verlauf der Darstellung die Situation innerhalb der Geräte wiederum weitgehend korrekt dar. Im Grunde müßte man nur 1 und 1 zusammen zählen und die unverbunden nebeneinander stehenden Fakten passend zusammen führen, und man würde sehen daß da etwas nicht stimmen kann.
In Abbildung 3 ist nämlich die Situation eines Netzteils in einem Hifi-Gerät dargestellt. Das könnte man mit Abbildung 2 kombinieren, und bei jedem der Geräte in Abbildung 2 diese Innereien mitsamt der im Detail dargestellten Netzleitung zeigen. Im Ergebnis würde man deutlich sehen können daß der Stromkreis über den die Geräte mit Strom versorgt werden, und der Stromkreis in dem ggf. die fragliche Differenzspannung entsteht, nicht die gleichen sind.
Die Kopplung zwischen diesen Stromkreisen führt - wenn überhaupt - über parasitäre Schaltungselemente, wie z.B. die Windungskapazitäten im Netztrafo. Wenn man deren Einfluß betrachtet kommt man zum Schluß daß die Einflüsse der Leitungswiderstände im Netzkabel geradezu absurd gering sind. Die ganze Sache ist ein "roter Hering". Das eigentliche Problem hat wieder (mein altes Thema) mit der Masse zu tun, und nicht mit dem Netzkabel. Wenn das Netzkabel daran überhaupt beteiligt ist, dann über den Schutzleiter, und dazu muß das beteiligte Gerät geerdet sein, was direkte Brummschleifen-Gefahr birgt. Die Leitungswiderstände der Netzleitung sind in so einem Fall nebensächlich.
Es ist auch kein Problem, das auszuprobieren. Wenn etwas einen subtilen Effekt haben soll, dann müßte man den Effekt deutlicher machen können wenn man die Ursache verstärkt. Wer also meint, der Widerstand seiner Netzleitung hätte einen negativen Einfluß, der kann den Widerstand künstlich erhöhen und müßte dadurch das Problem verstärken. Ein Widerstand von einem Ohm ist weitaus größer als der Widerstand von jedem realen Netzkabel, und wer genug von der Sache versteht um sich der Gefahren bei einem solchen Versuch bewußt zu sein (gefährliche Netzspannung!), der kann so einen Widerstand leicht in den Stromkreis einschleifen und den Effekt beobachten. Die Chancen stehen sehr gut daß sich dadurch gar nichts verändert, und dann sollte klar sein daß sich durch ein paar Milliohm Unterschied zwischen verschiedenen Netzkabeln erst recht nichts tun wird.
Strassner berichtet von nichts dergleichen, und er untermauert seine Darstellung auch nicht mit konkreten Meßwerten aus einem praktischen Beispiel. Er hätte ja durchaus sein Beispiel mit den lediglich zwei Geräten ja einmal hinstellen können und die Differenzspannung messen können. Wenn das für den Vortrag zu kompliziert ist, dann kann man es als Video vorführen, und zwar so daß klar wird was er da eigentlich mißt. Es bleibt aber bei der suggestiven Darstellung.
Wo er tatsächlich Meßwerte anführt, bleibt es bei einem Vergleich von Widerständen und Induktivitäten, aber ohne Bezug zu den daraus resultierenden angeblichen Differenzspannungen und erst recht ohne Bezug zum angeblichen Einfluß auf das Audiosignal. Diese Schlüsse werden dem Leser überlassen, nachdem man ihn dazu gebracht hat das alles für wichtig zu halten. Unter den Zuhörern beim Vortrag in München habe ich Leute beobachtet, deren süffisantes Nicken auf mich so gewirkt hat als wollten sie sagen: Da könnten sich die ewigen Abstreiter mal eine Scheibe abschneiden! Alles Physik, und keineswegs Voodoo!
Die ganze Wahrheit ist das nicht, was Strassner da verbreitet. Es ist genau der Teil der Wahrheit aus dem er ein Kaufargument für seine Produkte machen kann. Alles andere, auch das absolut Essentielle, wird unterschlagen. Es ist durchaus alles Physik, aber man muß schon auch alle wichtigen Aspekte berücksichtigen, und nicht bloß die, die einem in den Kram passen.