Freitag, 29. April 2011

Bullshit-Multiplikatoren

Mein Blog ist unwichtig, vernachlässigbar, nicht ernstzunehmen. Man brüstet sich, ihn entweder gar nicht erst zu lesen, oder spätestens nach drei Absätzen gelangweilt aufzuhören. Und zur Bekräftigung kürzt man sogar mein Pseudonym auf den ersten Buchstaben ab, was aber immer noch als zu viel betrachtet wird.

In der Folge meines letzten Artikels im Blog hier bemühen sich ein paar Teilnehmer nun schon auf der vierten Seite eines Threads im AHF, mein Blog nicht zu diskutieren. Was sich aber offenbar als schwierig erweist. Wer eigentlich lieber Tiefschläge austeilen würde, der kann sich offenbar nur schwer an seinen eigenen Rat halten, zu schweigen.

Da werden die übelsten psychologischen "Expertisen" zu meiner Person vorgestellt, und es wird über die kommunikative Metaebene geschwafelt, auf der man, wenn man das ganze aus einer nüchternen Distanz betrachten würde zu der dort kaum einer fähig zu sein scheint, deutlich sehen würde daß dort Projektionen und grobschlächtigste Immunisierungsversuche fröhliche Urständ feiern. Die Hauptsache scheint zu sein: Sich ja nicht mit dem Inhalt des Blogs beschäftigen! So tun als gäbe es gar keinen Inhalt, oder wenigstens keinen von irgendeiner Relevanz! Am Besten man beschuldigt mich genau der Niederträchtigkeiten die man selbst im Begriff ist zu begehen.

Eine bessere Bestätigung daß ich mit meiner Kritik auf einen wunden Punkt getroffen habe hätte ich kaum bekommen können. Das Pfeifen im Walde ist nicht zu überhören.

Ich könnte zufrieden sein, daß die Sachlage dadurch so deutlich geworden ist, aber ich möchte noch den Blick darauf lenken wie viele Meinungs-Multiplikatoren an dieser Komödie beteiligt sind. Von den Leuten die da meinen Charakter so unvorteilhaft portraitieren sind mindestens drei als Redakteur oder Chefredakteur an der Zeitschrift Hifi-Stars beteiligt. Und obwohl unberechtigterweise mir der Vorwurf gemacht wird, ich würde die Foren abgrasen, sind es die dortigen Teilnehmer denen man regelmäßig in den verschiedensten Foren begegnet. Auch hier wirft man mir vor was man in Wirklichkeit selbst betreibt.

Nun will ich die Bedeutung und den Einfluß von Hifi-Stars nicht überbewerten, es ist ein Nischenblättchen, aber dennoch handelt es sich um Multiplikatoren, und wenn man sich ansieht was für eine Argumentation diese Leute gerade im aktuellen Fall abliefern, dann ist schon die Frage ob man so einen Bullshit auch noch multipliziert haben will.

Nehmen wir mal Winfried Dunkel, den Chefredakteur, und lassen wir mal die Auslassungen zu meiner Person gnädigerweise beiseite. Was übrig bleibt ist immer noch verantwortungloser Mist, der einem Chefredakteur eigentlich zur Unehre gereichen sollte:
"Wer Jitter nicht bemerkt, dürfte noch nie Musik live erlebt, niemals ein Instrument real gesehen und gehört haben. "Toll, wie die auf den Geigen blasen" - das scheint mir der musikalische Background der P-Blogger zu sein... Sollen sie doch weiter ihre erkenntnisfreien geistigen Abwässer runtertippen - uns muß das nicht berühren."
Abgesehen davon daß er zeigt daß Ihn das eben doch berührt, ist das ein derart lächerlich unlogischer Stuß daß man sich fragt ob der Mann noch bei Trost ist.

Es scheint ihm nicht aufzugehen daß Jitter bei Livemusik überhaupt nicht auftritt. Wie sollte man da dann Jitter bemerken? Oder will er damit sagen daß ein Unterschied zwischen dem Klang von Livemusik und dem von Konservenmusik immer auf Jitter zurückzuführen ist? Das wäre genauso unsinnig. Was Dunkel da zusammentippt ist ein derart verständnisloser und ressentimentgeschwängerter Kopfsalat, daß zu wünschen wäre daß die Hifi-interessierte Öffentlichkeit davon verschont bleibt, und das sogar auch in seinem eigenen Interesse, wenngleich er das vielleicht nicht so wahrnimmt.

Dunkel ist eines der Beispiele des Phänomens aus meinem letzten Artikel, wo Leute davon überzeugt sind daß sie wüßten wie Jitter klingt. Dabei würde ich jederzeit wetten daß Dunkel noch kein einziges Mal tatsächlich Jitter gehört hat, also etwas gehört hat wo die Klangverfälschung die er gehört haben will tatsächlich den Jitter als Ursache hat. Ich behaupte daher: Er hat in Wirklichkeit keine Ahnung wie Jitter klingt. Er hat keine Ahnung ob das was er gehört hat tatsächlich etwas mit Jitter zu tun hat. Er hat noch keine Anstrengungen unternommen, diesen Zusammenhang auch wirklich nachzuweisen, und andere Ursachen auszuschließen. Er hat wahrscheinlich auch keinen Jitter gemessen. Er hat allenfalls Geräte vergleichsgehört, von denen er geglaubt hat daß ihr Jitter unterschiedlich ist (weil z.B. der Hersteller das so angibt), und weil diese Hörtests wohl kaum glaubwürdig verblindet waren, kann er noch nicht einmal sicher sein ob die Klangunterschiede überhaupt vorhanden waren. Und sollten sie wirklich vorhanden gewesen sein weiß er nicht sicher ob es dafür nicht eine andere Ursache gegeben hat als den Jitter. Seine Überzeugung beruht offenbar auf Glaube und audiophiler Hybris, und er hat anscheinend sogar Probleme das Phänomen Jitter in eine halbwegs schlüssige Argumentation zu integrieren, jedenfalls wenn man seine oben zitierten Aussagen als Maßstab nehmen will.

Wäre er ein einfacher Privatmann, der seine Ansichten in Foren, Blogs, Leserbriefen oder dergleichen unter's Volk bringt, dann wäre das ein vergleichsweise kleines Problem. Er ist aber ein Multiplikator in der Branche und hätte seiner größeren Wirkung entsprechend auch eine größere Verantwortung. Davon ist aber nichts zu merken.

In so einem Zusammenhang wird dann auch die im letzten Artikel angesprochene Verantwortung des Technikers größer. Seine Fehlleistungen werden unter solchen Umständen ziemlich schnell auch noch über seinen unmittelbaren Einflußbereich hinaus multipliziert. Der Redakteur der Hifi-Postille legitimiert seinen eigenen Stuß mit dem Stuß des Fachmannes. Im Grunde ist das ähnlich wie die Sache damals mit den Verstärkermessungen von Stereoplay, wo man auch mit allen Mitteln versucht hat eine schon im Ansatz unsinnige Messung seriös aussehen zu lassen, indem man sich auf die Fachleute im Meßlabor abgestützt hat.

Zwei Parteien ergänzen sich so auf eine ziemlich unselige Weise, nämlich die der "audiophilen Techniker", und die der "audiophilen Multiplikatoren". Dem Laien gegenüber versucht man damit mit einigem Erfolg eine Seriosität vorzugaukeln, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Der so produzierte Bullshit wird dann gleich noch multipliziert. Von den Redakteuren bin ich das gewohnt, das gehört inzwischen anscheinend zu ihrem Selbstverständnis, aber ich habe immer noch Probleme damit wenn "Techniker" als Zulieferer für diese Farce auftreten, die es eigentlich besser wissen könnten und müßten


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Freitag, 22. April 2011

Techniker im audiophilen Soziotop

Daß man als "Techniker" von audiophiler Seite "vereinnahmt" wird ist sogar mir selbst schon passiert, trotz meiner eher konfrontativen Art. Charly versuchte z.B. mal eine Weile lang, mich quasi als Kabelklang-Kronzeugen heranzuziehen, weil ich mal einen Artikel schrieb in dem ich für Kabelklang die Störströme verantwortlich machte, die durch Masseschleifen zustande kommen können. Tenor von Charly: Kabelklang gibt's doch, seht her, selbst pelmazo bestätigt das!

Daß ich mit diesem Artikel damals zeigen wollte daß es sich eben nicht um Kabelklang handelt, sondern daß die Ursache ganz woanders liegt, fiel dabei unter den Tisch. Ich weiß seither wie dringend manche Audiophilen bestrebt sind, ihre eigenen Hirngespinste dadurch zu "rechtfertigen" daß sie nach Technikern suchen, die sie "adoptieren" können. "Gute" Techniker also, die die eigenen Ansichten zumindest scheinbar bestätigen, im Gegensatz zu "schlechten" Technikern, die sie widerlegen.

Nicht allen ist eine solche Adoption allerdings so zuwider wie mir. Manche sind dafür vielleicht einfach zu harmoniebedürftig, und lassen den Audiophilen lieber ihr Pläsir anstatt gegen die verzerrten Darstellungen einzuschreiten. Manchen ist es anscheinend wichtiger, von einer kleinen Schar audiophiler Anhänger gebauchpinselt zu werden, als ihre eigene Seriösität aufrechtzuerhalten. Manchen geht's wohl auch einfach darum, ein Geschäft zu machen.

Anschauungsmaterial dazu gab's in jüngerer Zeit wieder mal reichlich, am Beispiel von "fortepianus" und seiner Tuningmaßnahme an einem Streaming-Player, mit der die leidige Jitter-Diskussion wieder neue Nahrung bekommen hat. Zum Jitter-Thema habe ich technischerseits hoffentlich schon genug geschrieben, z.B. hier und hier, und im Grunde ist das beschriebene Tuning auch nichts Anderes als das was so gut wie jeder Tuner tut, nämlich eine Mücke zum Elefanten aufzublasen und dann zu behaupten daß das Ergebnis per Gehör erfaßt werden müsse und sich der Meßbarkeit entzieht. Eine kleine Schar von Anhängern findet sich eigentlich immer, die das dann auch tatsächlich deutlich gehört haben wollen.

Ich will das nicht nochmal durchkauen, stattdessen soll hier interessieren, worin wohl die Motivation eines "Technikers" besteht, sich auf so etwas einzulassen. Schließlich kann man sich damit auch höchst lächerlich machen.

Man kann fortepianus ein recht gutes Verständnis der Jitterthematik kaum absprechen, was ihn aber nicht daran hindert ziemlichen Unsinn von sich zu geben. Die für mich spannende Frage ist bei so etwas immer wieder, wie weit dem Betreffenden das bewußt ist, also ob er sich damit selbst täuscht oder die Anderen.

So schreibt er in einer Liste von Thesen zu Jitter nach 3 im Wesentlichen korrekten Punkten im vierten Punkt dies:
"4. Wackelt dieser Takt z. B. mit einer Frequenz von 50Hz, wird jeder Ton, der vom DAC analog rausgeschrieben wird, ein Seitenband bei seiner Frequenz plus 50Hz und minus 50Hz haben. Zu deutsch: Einem reinen Sinus mit 1kHz wird zusätzlich ein Sinus von 1,05kHz und einer mit 0,95kHz zur Seite gestellt. Was nicht gerade harmonisch klingt. Die Größe der Nebentönchen hängt direkt von der Amplitude des Jitters ab. Je mehr Jitter, desto mehr Nebendreck. Da der Jitter in der Regel keine feste Frequenz hat, sondern ein ganzes Spektrum, gesellt sich zu einem ins Analoge gewandelten Ton eine Art Hof drum rum - das ist der typische verpönte Digitalklang, unsauber, scharf, verzischte Sibilanten, flach."
Das mit den Seitenbändern stimmt, aber was den klanglichen Effekt angeht ist er völlig im Wilden. Zwar gibt er keine Größenordnungen an, aber eine Modulation mit 50 Hz in einem Taktgeber wie man ihn in normalen Digitalgeräten findet ist zwangsläufig sehr gering. Dagegen müßte aufgrund der gehörmäßigen Maskierungseffekte die Amplitude der Modulation in diesem Fall sogar recht groß sein um bemerkbar zu sein. Gerade bei "Nebentönchen", die derart nahe am Grundton liegen, ist also die Hörbarkeit besonders gering. Das bedeutet daß das Gehör für niederfrequenten Jitter weitaus unempfindlicher ist als für höherfrequenten Jitter. Das ergibt sich sowohl aus theoretischen Überlegungen als auch aus praktischen Versuchen.

Zudem weiß man ebenfalls aus theoretischen Überlegungen wie aus praktischen Versuchen, daß man Jitter noch am ehesten bemerkt, wenn man speziell dafür optimierte Testsignale benutzt, und eben nicht wenn man einfach Musik nimmt. Benjamin/Gannon fanden in ihrer Untersuchung beispielsweise heraus, daß nur wenige Musikbeispiele dafür überhaupt brauchbar waren, allesamt von Soloinstrumenten, und daß selbst da der Jitter zehn mal stärker sein mußte um hörbar zu werden als bei speziellen Sinus- und Jittersignalen.

Dagegen will fortepianus von irgendwoher wissen daß gerade daraus der angeblich typische Digitalklang resultieren soll. Ich glaube er hat nicht die geringste Vorstellung davon wieviel Jitter es braucht bis er selbst hört daß ein Musikstück dadurch unsauber, flach und scharf wird. Ich wette er hat das genausowenig seriös ausprobiert wie die vielen anderen seiner Diskussionspartner, die auch genau zu wissen vorgeben wie Jitter klingt. Fujak ist z.B. so ein Kandidat, der hier sogar mit Zahlen aufwartet, ohne daß erkenntlich wäre woher sie kommen, realistisch sind sie jedenfalls nicht.

Der nächste Punkt ist auch nicht besser:
"5. Der Jitter muss also vor dem DAC weg. Dazu gibt's allerlei Verfahren der Neutaktung. Wie auch immer diese durchgeführt wird (wenn überhaupt), hat sich das Problem herauskristallisiert, dass man den Jitter mit diesen Methoden (Neutaktung durch z. B. Big Ben, asynchrone Sampleratenkonverter etc.) leider nie ganz weg kriegt. Der Grund ist, dass der Takt eine recht hohe Frequenz im MHz-Bereich hat - jedes Stückchen Draht, jede Leiterbahn und jedes Bauteil wirkt als eine kleine Antenne, die sowohl senden wie auch empfangen kann. Das nennt man Übersprechen. Auch wenn man neu taktet, wird also der alte Wackeltakt auf den neuen etwas übersprechen. Was den neuen Takt wieder etwas wackeln lässt, wenn auch weniger, als den alten - gesetzt den Fall, dass der neue Takt besser ist als der alte."
Das ist ein roter Hering. Es gibt ohnehin keinen jitterfreien Takt, der Versuch einen jitterfreien Takt zu erzeugen oder wiederzugewinnen ist also von vorn herein vergeblich. Es ist aber auch gar nicht nötig. Wichtig ist, ob der Jitter niedrig genug ist für die gegebenen Anforderungen. Und das kriegt man auf die verschiedensten Arten hin, einschließlich der Neutaktung, auch im Beisein von Übersprechen. Was zählt ist was hinten rauskommt.

Charakteristisch bei solchen Argumentationsweisen ist die Vermeidung jeder quantitativen Diskussion, und damit die Beförderung der Suggestion beim unbedarften Leser, die erwähnten Effekte müßten bedeutend sein und schwierig zu beherrschen. So ist das aber nicht. Klar gibt es alle diese Effekte, wie Übersprechen und datenabhängiger Jitter. Die Existenz streitet niemand ernsthaft ab. Es geht immer um die Größenordnungen, ab denen die Effekte relevant werden, denn einen irrelevanten Wert noch weiter zu verbessern ist aus klanglicher Sicht unnütz, wenngleich er den technischem Ehrgeiz noch immer herausfordern kann.

Diesen technischen Ehrgeiz kann ich gut nachvollziehen, und ich habe insofern auch mit fortepianus eine gewisse Sympathie. Mein eigener Ansatz geht aber eher dahin, wie weit man solche Faktoren wie Jitter in einem gegebenen System verbessern kann, auch über das nötige Maß hinaus, ohne daß man es dadurch merklich teurer macht. Das ist in meinen Augen die eigentliche Ingenieurskunst. Klotzen kann jeder, und wenn man sinnlos klotzt wird's peinlich.

Was ich dagegen nicht nachvollziehen kann, und worauf ich allergisch reagiere, ist diese zur Schau getragene Sicherheit was die klanglichen Auswirkungen angeht. Keiner prüft auch nur ansatzweise nach inwiefern die Effekte tatsächlich auf den Jitter zurückzuführen sind, noch nicht einmal die bloße Einbildung wird glaubwürdig ausgeschlossen, und das allen über Jahre hinweg bis zum Erbrechen durchdiskutierten Einflußfaktoren zum Trotz. Diese systematische Verdrängung und Verweigerung ist vielleicht das eindeutigste Indiz dafür wenn jemand, ob ansonsten "Techniker" oder nicht, die professionelle Vorsicht ad acta legt und sich den audiophilen Hirngespinsten hingibt.

Aber vielleicht ist das auch nur so weil es sich lohnt. Im Falle der Tuningmaßnahmen von fortepianus scheint der Hype inzwischen groß genug zu sein um diesen Faktor nicht ganz unbedeutend erscheinen zu lassen, besonders wenn stimmt was schon im Januar geschrieben wurde, nämlich daß bereits über 50 solcher Tunings durchgeführt worden sein sollen. Bei Einzelkosten von mehreren Hundert Euro macht das einen Gesamtumsatz der nicht mehr so recht als reines Hobby durchgeht.

Ob sich das genug lohnt um seine Seriösität dafür auf's Spiel zu setzen ist eine andere Frage.


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Sonntag, 3. April 2011

Strahlen und Reflexe

Es ist viel passiert seit meinem letzten Beitrag hier im Blog. Die Bilder der Naturkatastrophe in Japan haben mich ziemlich erschüttert, aber nach einer Weile geht der Verstand dann doch wieder in den Normalbetrieb über, und die emotionale Überwältigung macht Platz für nüchternere Gedanken darüber was da eigentlich passiert ist und noch passiert, was das für uns und für die Welt bedeutet, und welche Schlüsse man daraus ziehen soll.

Für's Erste aber scheint mir daß anstatt der nüchternen Überlegung eher die Reflexe Hochkonjunktur haben. Schon ehe die Erde in Japan bebte war mir das auf den Senkel gegangen, denn ich hatte es mit Leuten zu tun, die bei der Lektüre meines letzten Blog-Beitrags nicht über den ersten Satz hinaus gekommen waren, und offenbar meinten das reiche schon für eine Beurteilung.

Das wurde dann schnell von größeren Fragen überschattet, als die Katastrophe über Japan hereinbrach. Wie im Kleinen so im Großen, zumal in der Politik. Wieder Reflexe wo man hinschaut. Wobei ich die aus dem Volk diesmal für gar nicht so besorgniserregend halte wie die aus der Politik. Es hat zwar eine ziemlich heftige Gewichtsverschiebung bei den kürzlichen Landtagswahlen gegeben, aber wenn man sich die Ergebnisse genauer anschaut, dann scheint das Ausschlaggebende gewesen zu sein daß eine größere Zahl von Leuten zur Wahl gegangen sind, die letztes Mal nicht hin gegangen waren. Die Wähler, die von einer Partei zur anderen gewechselt haben waren viel weniger.

Das paßt zur Tatsache daß in Deutschland auch schon vor dem Erdbeben in Japan eine mehrheitliche Ablehnung der Kernkraft da war, und daß wohl viele Leute einfach an der Politik verzweifelt sind, die nicht dazu zu kriegen war die Energiewende auch konsequent anzupacken. Kaum hatte man mal (nach Jahrzehnten der Diskussion!) einen konkreten Ausstiegsplan, und der Ersatz durch alternative Energiequellen ging sogar besser voran als gedacht, da dreht eine neue Regierung das Rad wieder zurück und gewährt Laufzeitverlängerungen. Daß sich da Leute von der Politik und von Wahlen abwenden wundert mich nicht. Fukushima hat daher womöglich im Volk gar kein so großes Umdenken bewirkt, aber es hat Leute mobilisiert, ihrem auch vorher schon vorhandenen, frustrierten Willen mehr Geltung zu verschaffen. Man sollte nicht vergessen daß das Thema in Deutschland seit über 30 Jahren köchelt.

Ich denke das ist der Hintergrund für die Reflexe, die man besonders bei den Regierungsparteien in Stuttgart und Berlin in den letzten Wochen beobachten konnte. Aber sie haben sich damit eben auch keinen Gefallen getan, denn sie haben damit demonstriert wie zynisch sie mit dem Wählerwillen umgehen. Daß sie in Sachen Kernkraft viele Jahre lang gegen den expliziten Willen des Volkes agiert und entschieden haben, und der Wille des Volkes in diesem Themengebiet bloß in Sonntagsreden vorkam. Und daß ihnen das klar war zeigt die hektische 180°-Wende auch. Sie wußten daß das Thema zu weit nach vorn gerückt war um von anderen Themen überschattet zu werden, und daß sie mit der bisherigen Strategie nicht mehr würden reussieren können.

Ich meine sie wären besser beraten gewesen sie hätten dem Reflex widerstanden und hätten den bisherigen Kurs erst einmal beibehalten. Sie hätten die Wahlen vielleicht noch ein wenig krasser verloren, aber hätten sich wenigstens einen Rest Glaubwürdigkeit bewahrt oder auf längere Frist gar zurückerobert.

Jetzt müssen sie auf Teufel komm raus eine neue Faktenlage postulieren, die es im Grunde überhaupt nicht gibt. Jedenfalls keine neue sicherheitstechnische Faktenlage, und genau damit wurde ja das dreimonatige Moratorium begründet. Die Kernkraftwerke sind so sicher oder unsicher wie vorher auch. Und man kann nicht so tun als wäre es einem erst jetzt eingefallen nach Szenarien zu suchen in denen die bisher vorgesehenen Sicherheitsmechanismen versagen. Gerade in Deutschland diskutiert man darüber schon seit Beginn der Auseinandersetzungen um die Atomkraftwerke. Wir wissen schon lange daß es Szenarien gibt, bei denen unsere eigenen Kraftwerke versagen würden. Die interessante Frage ist eher, welche dieser Szenarien gesellschaftlich toleriert werden können und welche nicht.

Eine neue Faktenlage liegt höchstens beim Thema dieser Toleranz vor. Man könnte behaupten daß mit dem Unglück in Japan eine Verschiebung der gesellschaftlichen Toleranz eingetreten ist. Aber selbst das würde ich in Frage stellen. Ich glaube die Gesellschaft hat auch schon vor dem Fukushima-Unglück keine Toleranz für solche Risiken gehabt. Fukushima hat bloß vorgeführt, daß die Risiken real sind, und nicht bloß eine abstrakte Zahl auf dem Papier irgend einer Studie.

Es kann daher gut sein daß der Moratoriums-Reflex außer der Glaubwürdigkeit der Politiker auch noch einen Haufen Geld kosten wird, denn wenn ein Gericht entscheidet daß es keine ausreichende Änderung der Faktenlage gegeben hat, dann steht den Kraftwerksbetreibern Schadenersatz zu, und den muß letztlich die Allgemeinheit zahlen.

Mehr noch als das macht mir jedoch Sorgen, daß mit der Moratoriums-Argumentation im Grunde der Versuch verbunden ist, das Thema Reaktorsicherheit - wie schon so oft - zu einem technischen Problem zu erklären. An dieser Stelle trifft sich die Sache mit einem anderen Reflex in der Gesellschaft, der das Versagen einer technischen Anlage gleich zum Versagen der Technik (oder gar der Wissenschaft) erklären will. Ich halte das für fatal, und geradezu für eine Ursache solcher Probleme. Und zwar nicht deswegen weil ich Technik und Wissenschaft für fehlerfrei halten würde, das sind sie bestimmt nicht, sondern weil man dadurch dazu neigt, die Augen vor noch viel wichtigeren Problemen zu verschließen. Und bei der Kernkraft sind diese anderen Probleme in meinen Augen viel wichtiger.

Reaktorsicherheit ist zwar durchaus auch ein technisches Problem. Aber bei der ganzen Diskussion muß man sich im Klaren sein daß selbst simple technische Systeme nicht völlig sicher sein können. Es gibt bei Allem ein "Restrisiko", von dem man oft noch nicht einmal genau sagen kann wie groß es ist. Z.B. leben wir in Deutschland wohl fast alle in Häusern, die ein Beben wie das in Japan nicht überstehen würden. Würde so etwas bei uns passieren, dann hätten wir es mit Sicherheit mit zahlreichen Todesopfern zu tun. Wir glauben aber dieses "Restrisiko" eingehen zu können, weil wir in einer seismisch weniger problematischen Region leben. Vorher wissen kann man's aber nicht, wie man immer wieder sieht.

Man könnte natürlich erbebensicherer bauen, das wäre eine technische Lösung für das Problem. Man muß dazu bloß festlegen, für welchen Fall man die Häuser auslegen will, und kann dann für diesen Fall das Haus ausreichend stabil machen, so daß es stehen bliebt und die Leute darin nicht umbringt. Im Grunde bedeutet das, daß man das Haus für ein "Größtes Anzunehmendes Beben", ein GAB, sicher macht.

Daran machen sich zwei sehr wichtige Dinge fest, die man bei jeder Diskussion um technische Sicherheit im Auge behalten muß, die aber offenbar in der öffentlichen Diskussion nicht zur Geltung kommen - ich habe sogar oftmals den Eindruck daß damit sogar die Journalisten überfordert sind:
  • Die Entscheidung darüber, was man als die maximale "Belastung" annimmt für die man die technische Konstruktion auslegen will, ist willkürlich. Es gibt keine natürliche Grenze die sich automatisch anbieten würde. Irgendwo muß man bewußt die Grenze ziehen, und das heißt auch daß sie irgendwer ziehen muß. Dieser Irgendwer hat Interessen, und diese Interessen werden zwangsläufig in die Entscheidung einfließen.
  • Technische Sicherheitsmaßnahmen kosten Geld. Womöglich sogar sehr viel Geld. Da Geld nicht beliebig vermehrbar ist, stellt sich immer die Frage der möglichst sinnvollen Verwendung der vorhandenen Mittel. Das Geld was man an einer Stelle investiert, hat man an anderer Stelle nicht mehr zur Verfügung. Geld das man in Sicherheitstechnik investiert hat produziert erst einmal nichts. Ein Haus das für ein Beben der Stärke 9.0 ausgelegt wird, ist viel zu teuer wenn so ein Beben niemals auftritt. Bis zu welchem Punkt kann man da von jemandem verlangen daß er sein Geld auf diese Weise "unproduktiv" ausgibt? Produktiv wird das Geld im Grunde nur dann wenn der "Auslegungsfall" auch tatsächlich eintritt, was weder wünschenswert noch besonders wahrscheinlich ist.
Man hätte die japanischen Reaktoren bestimmt auch so bauen können daß sie das jüngste Erdbeben und den darauf folgenden Tsunami überstanden hätten. Sie hätten dann bloß wesentlich mehr Geld gekostet. Für mich bedeutet das, daß die Reaktorsicherheit letztlich eben kein technisches Problem ist, sondern ein gesellschaftliches Problem. Man tut sich überhaupt keinen Gefallen wenn man es in der Diskussion zu einem technischen Problem macht. Und dazu noch tut man der Technik bzw. den Technikern damit unrecht.

Ein GAU ist der "größte anzunehmende Unfall", was darauf hindeutet daß es ein Fall ist mit dem man rechnet, und für den man die Anlage technisch auslegt. Die Katastrophe ist das folglich noch nicht.
Erst ein noch größerer Unfall bringt dann die Katastrophe, und den nennt man hierzulande salopp den "Super-GAU", ein Begriff der nicht auf ungeteilte Gegenliebe stößt. Egal wie man's nennt: Diese zwei Begriffe, bzw. das was sie bedeuten, trennt eine Linie die irgendwer einmal mehr oder weniger willkürlich gezogen hat. Wo diese Linie hingehört, ist meiner Meinung nach eine zu wichtige Frage als daß man es Gutachtern und Spezialisten überlassen könnte, denn das ist keine technische Frage, sondern eine der gesellschaftlichen Akzeptanz und gehört vor diesem Hintergrund diskutiert.

Wer das liest könnte dem Reflex verfallen, ich wäre ein Kernkraftbefürworter. Daß man mir das zutrauen würde bezweifle ich nicht, schließlich texte ich ja auch sonst öfter gegen den Trend und die "politische Korrektheit". Aber ich bin schon vor 30 Jahren in Menschenketten gegen Atomkraft gestanden und habe meine Meinung seither auch nicht wesentlich geändert. Die technische Sicherheit oder Unsicherheit der Reaktoren steht dabei für mich allerdings nicht im Vordergrund, Tschernobyl und Fukushima zum Trotz, die sich beide seither ereignet haben. Ich lehne die Kernkraftnutzung vor allem aus zwei Gründen ab, die mit der Technik eher indirekt zu tun haben:
  • Die Problematik der radioaktiven Abfälle. Ich halte dieses Problem nicht für zufriedenstellend lösbar, und ich halte es für unverantwortlich die Nachwelt mit so etwas zu belasten.
  • Ich halte diese Technik für gesellschaftlich nicht tragbar.
Während ich zum ersten Punkt nichts weiter zu sagen brauche, muß ich den zweiten wohl etwas genauer erklären:

Man kann bei jeder technischen Anlage zwar ein bestimmtes Maß an Sicherheit oder Robustheit gegenüber abnormen Belastungen einbauen. Das macht die Anlage aber nicht automatisch sicher. Es kommt immer auch darauf an wie sich die Betreiber der Anlage verhalten. Damit meine ich das Betriebspersonal, aber durchaus auch die Besitzer der Anlage, und das Management.

Das Betriebspersonal verliert womöglich über die Jahre, wenn die Routine sich einschleift, den Blick für die Risiken, und es schleichen sich Unvorsichtigkeiten, Schlamperei und Bequemlichkeit ein. Prozeduren werden "abgekürzt", Fehler weniger ernst genommen als es nötig wäre, Vorschriften werden "kreativ" ausgelegt. Wer sich Berichte über in der Vergangenheit stattgefundene Unglücke und Störfälle genauer ansieht wird regelmäßig finden daß solche Faktoren dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.

Das Management steht unter dem Druck, den Gewinn des Anlagenbetriebs zu maximieren. Das ist nicht unbedingt bloße Gier und Eigeninteresse, denn die Firmen sind in der Regel Aktiengesellschaften, und der Gewinn wird von den Aktionären schlicht und einfach eingefordert. Dazu gehören in der Regel auch eine ganze Menge von Kleinaktionären aus dem normalen Volk, die direkt und über Aktienfonds daran mitverdienen. Das heißt es wird am Betriebspersonal gespart so weit es geht, sei es indem man die Zahl der Leute minimiert, oder an ihrer Qualifikation und Ausbildung spart. Und es wird an den Betriebskosten gespart, indem man Reparaturen hinausschiebt, und indem man generell kreativ dabei ist den Spielraum auszunutzen, den die Vorschriften bieten.

Um so etwas zu verhindern, muß man unabhängige Kontrollen einführen, und ein Kräfteverhältnis schaffen das die nötigen Maßnahmen auch wirksam erzwingen kann. Das Problem dabei ist, daß auch diese Struktur einer gewissen Erosion unterworfen ist. Schon bei der Einrichtung der Kontrollbehörden sind ja Interessen im Spiel, und diejenigen die kontrolliert werden sollen versuchen Einfluß darauf zu nehmen, was die Kontrolleure dürfen und was nicht. Zusätzlich bleibt es nicht aus daß sich Kontrolleure und Kontrollierte kennenlernen und sich eine gewisse Verfilzung ergibt, zumal es dabei ja auch um viel Geld gehen kann. Es reicht schon wenn eine Kontrolle auf diese Art im Voraus rechtzeitig beim Kontrollierten bekannt wird, und schon kann diese Kontrolle nutzlos sein.

Eine kerntechnische Anlage wird für eine Gebrauchsdauer von mehreren Jahrzehnten gebaut, und das bedeutet daß die beteiligten Personen sich ggf. über ihr gesamtes persönliches Berufsleben hindurch kennen. Zudem hat eine Regierung, die für die effektive Kontrolle der Anlage zuständig sein sollte, in der Regel selbst ein Interesse daran daß die Anlage läuft, und ist daher womöglich geneigt ein oder zwei Augen zuzudrücken. Dazu muß man noch keine Korruption unterstellen, das ist schon aufgrund der Interessenlage so. Umso mehr noch ist die Unabhängigkeit in Frage gestellt wenn Korruption noch hinzu kommt, was angesichts der in Frage stehenden Summen nicht ganz so unwahrscheinlich ist wie man es wohl gern hätte.

Es ist daher gar nicht so einfach, eine gesellschaftliche Kontrolle der Reaktorsicherheit zu installieren, die über die Betriebsdauer der Anlagen hinweg ausreichend wirksam bleibt. Ich bin der Überzeugung daß wir hier in Deutschland einen relativ sicheren Betrieb der Anlagen haben, nicht etwa weil diese technisch auf einem hohen Stand wären, wie immer wieder suggeriert wird, sondern weil entsprechender gesellschaftlicher Druck vorhanden ist, wie er in vielen anderen Ländern fehlt. Und wenn sie tatsächlich technisch sicherer sein sollten als anderswo, dann ist das ebenfalls diesem gesellschaftlichen Druck geschuldet, und nicht etwa besseren technischen Fähigkeiten der Ingenieure hierzulande. Um es salopp auszudrücken: Nicht Siemens macht die Reaktoren sicherer, sondern die Atomkraftgegner.

Wir können uns aber nicht dauerhaft als Gesamtgesellschaft vom Vorhandensein einer solchen kritischen und aktivistisch ausgerichteten Protestszene abhängig machen. Die gesellschaftliche Akzeptanz der teils recht militanten Protestaktionen hängt ja ebenfalls an einem seidenen Faden, und man muß es schon als einen Glücksfall ansehen daß über die langen Jahre dieses Thema genug im breiten Volk verankert geblieben ist, daß die Protestbewegung eben nicht einfach vom Tisch gewischt werden konnte, wie das eine Menge von Industriemanagern und Politikern liebend gerne getan hätten. Vielleicht ist es an dieser Stelle daher angebracht mal inne zu halten und sich bewußt zu werden was wir dieser Protestbewegung eigentlich verdanken, und wie viel näher wir ohne sie an dem wären was im Augenblick die Japaner plagt.

Vielleicht ist es auch angebracht, hier die Querbeziehung zu knüpfen zu einem anderen Thema, das in den 1980er Jahren groß in der Diskussion war: Der Datenschutz. Der war als Folge durch die daraufhin geschaffenen Gesetze auf einem im internationalen Vergleich sehr hohen Niveau. Bloß ist das öffentliche Interesse daran ziemlich zurückgegangen, mit der Folge daß inzwischen auf diesem Feld vieles im Argen liegt. Teils ist das darauf zurückzuführen daß damals der Datenschutz als ein Konfliktthema zwischen dem Bürger und der Obrigkeit aufgefaßt wurde, und das Verhältnis zwischen Konsument und den Unternehmen kaum beachtet wurde. Wäre das Thema aber präsenter geblieben in der Diskussion, hätte man sicher auch eher nachgebessert. Diese Thematik zeigt daß Sicherheitsdenken und Kontrollstrukturen wesentlich schneller erodieren können, wenn das gesellschaftliche Interesse nachläßt, als man wegen der Lebensdauer der betroffenen Strukturen wollen würde.

In einem Satz: Selbst wenn die Reaktoren nach bestem technischen Können sicher wären, gesellschaftlich sind sie nicht sicher zu kriegen. Angesichts des Ausmaßes in dem die Öffentlichkeit und Umwelt beeinträchtigt wird, wenn es schief geht, ist so etwas gesellschaftlich nicht tragbar.

Und noch ein Aspekt ist wichtig, der seinen Einfluß hat, auch wenn überhaupt nichts schief geht:

Die Kernkraft ist eine Technik, deren Eigenschaften es im Grunde erzwingen daß sie als Großtechnologie betrieben wird. Mehr noch: Die Gesellschaft wird immer für die Restrisiken haften müssen, darum wird auch kein Versicherer eine Haftpflichtversicherung für so ein Kraftwerk anbieten können. Der Versicherungsfall kann ja, wie man sieht, eine Dimension erreichen die eine ganze Volkswirtschaft vor große Probleme stellt. In Deutschland wird ebenfalls deutlich daß auch im Normalfall der Staat herangezogen wird, um den Betrieb sicherzustellen. Die Polizei wird z.B. für die Sicherung der Castor-Transporte beschäftigt.

Letzlich heißt das, daß ein Kernkraftbetreiber ein Druckmittel in der Hand hat, das er gegen den Staat, die Gesellschaft und die Bürger einsetzen kann, was eine andere Technologie nicht in dieser Form auslösen würde. Und es heißt, daß unvermeidlicherweise die Gesellschaft einen Teil des Risikos tragen muß für etwas, woraus der Kraftwerksbetreiber den Profit macht. Das ist keine gesunde Situation, und als Bürger müßte man eigentlich ein starkes Interesse daran haben daß man solche Abhängigkeiten möglichst vermeidet. Ich bin überzeugt davon daß die großen Schwierigkeiten, die man hierzulande hat, die Politik dazu zu bringen die Kernkraftnutzung zu beenden, mit genau diesem Abhängigkeitsszenario zu tun hat.

In Japan hat man diese Abhängigkeiten zwischen Kraftwerksbetreiber und Regierung plastisch vorgeführt bekommen. Es war schon fast körperlich spürbar wie sehr die Regierung und mit ihr das ganze Volk letztlich von einer Firma abhängig war und noch ist, ohne die sie noch nicht einmal zuverlässig erfahren konnte wie die Lage ist. Eine Firma zudem, die nicht den Eindruck macht als ob eine offene und halbwegs vollständige Information der Regierung, geschweige denn der Öffentlichkeit, überhaupt in ihrem Interesse liegt. Und es ist anzunehmen daß das im Ernstfall in Deutschland kein bißchen besser wäre. Vertuschung und Verharmlosung sind auch hierzulande keine Unbekannten, wie schon das Beispiel Vattenfall zeigen dürfte.

Völlig unabhängig von CO2-Bilanzen und der Klimadiskussion ist der wichtigste Grund pro erneuerbare Energien für mich daher der, daß es dezentralere Formen der Energiegewinnung sind, die weniger anfällig für Monopolistengehabe und Kollektivhaftung sind. Also ein struktureller, gesellschaftlicher Grund, und wieder nicht ein technischer Grund.

Ich fände daher daß es an der Zeit ist, die eigentlich wichtige Frage zu diskutieren, nämlich ob und in welcher Form wir die Nutzung der Kernkraft mit ihren gesellschaftlichen Implikationen akzeptieren können. Die Frage der technischen Sicherheit ist trotz der Ereignisse in Fukushima dabei ein ziemlich begrenztes Einzelproblem. Dazu gehört daß man mal die verständlichen Reflexe aller Beteiligten etwas beiseite schiebt, und nicht mehr auf Kernschmelzen und Strahlenwerte glotzt, nicht mehr glaubt mit Moratorien und Sicherheitsdiskussionen weiter zu kommen, und stattdessen darüber redet wie man sich seine Gesellschaft eigentlich vorstellt, und ihre Energieversorgung. Man könnte dabei zum Schluß kommen, daß nicht bloß Kernkraftwerke ein Auslaufmodell sind, sondern mit ihnen gleich auch staatlich protegierte börsennotierte Energiemonopolisten, für die man im Ernstfall ja doch die Kohlen (oder die Brennstäbe) aus dem Feuer holen müßte.


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