Sonntag, 12. Juni 2011

Missionare und Aufklärer

Es ist Pfingsten und ich schreibe über Missionare. Paßt doch gut, oder? Im Christentum feiert man an diesem Tag den "heiligen Geist", der sich in Form von "Feuerzungen" auf die Gläubigen herab ergießt. Das wird vielfach mit der Mission in Zusammenhang gebracht, ja als Ausgangspunkt der christlichen Mission angesehen. Die hat es dann in der Folge auch gelegentlich mal selbst mit Feuerzungen probiert, aber nicht unbedingt zum Vorteil der Betroffenen.

In hitzigen Diskussionen mit Audiophilen ist der Vorwurf schnell bei der Hand, man sei ein Missionar, wenn man darauf besteht seine ablehnende Meinung zu audiophilen Hirngespinsten offen zu vertreten, drum habe ich mir gedacht ich nehme diese Schublade mal etwas genauer in Augenschein. Und wenn wir schon dabei sind geht's auch gleich noch um die Nachbarschublade mit den Aufklärern, die aus der Sicht der Audiophilen keinen wesentlich besseren Ruf haben.

Das kann man bequem in einem Satz miteinander kombinieren: "Die Aufklärer mit ihrem missionarischen Eifer ...", was gleich einen historischen Faux-Pas darstellt. Das wird aber nur Leuten auffallen, die ein wenig geschichtliches Wissen vorweisen können.

Das Zeitalter der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert hatte ja die Berufung auf die Vernunft als urteilende Instanz zum Inhalt. Das war im genauen Gegensatz zur Auffassung der christlichen Missionare, die schon lange davor den Glauben als die zentrale Instanz propagierten. Missionare und Aufklärer waren damit Gegner, und haben das in dieser Zeit auch ausführlich ausgefochten.

Der Philosoph Kant definierte bekanntlich einmal die Aufklärung so:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."
Es ist nicht ganz überflüssig, darauf hinzuweisen daß es nach dieser Definition nicht darum geht, einen Anderen aufzuklären, sondern sich selber! Wer keinen Verstand hat, dem kann man auch keinen einbleuen, und wer seinen Verstand nicht benutzen will, dem kann man die Benutzung nicht aufzwingen. Man braucht dazu "Entschließung und Muth", denn beim Gebrauch des Verstandes können Einsichten heraus kommen, die unwillkommen sind.

Das ist schon von der Idee her etwas ganz anderes als das Herabregnen von Geist auf eine Gruppe von Leuten, die dann wie angezündet herumrennen und den Geist an die Anderen verteilen.

Aufklärung möchte erreichen daß der Betreffende denkt, Mission möchte erreichen daß er glaubt. Der Unterschied könnte kaum größer sein.

Der "missionarische Aufklärer" ist daher eigentlich ein Widerspruch in sich, aber taugt als billige Verunglimpfung nichtsdestotrotz. Dahinter steckt die Vorstellung und Unterstellung, daß das was der Aufklärer vertritt letztlich auch nur eine andere Form von Glauben sei, daß er also letztlich ein Missionar einer anderen Religion ist (der "Vernunftreligion"), und es somit zwischen Aufklärer und Missionar eigentlich gar keinen wesentlichen Unterschied gibt. Und je umtriebiger und entschlossener er zu Werke geht, desto eher kann man ihm noch den Eifer zum Vorwurf machen, der als Zeichen von Fanatismus hingestellt wird.

Kant fährt fort:
"Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurtheilt, u. s. w. so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."
Ich hätte für unsere Audiophilen hinzufügen können:  "Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur hören kann...", aber das würde vernachlässigen daß sie ja in Wirklichkeit gar nicht besser hören als der Rest der Welt, sondern bloß glauben daß sie besser hören. Wofür sie dann ja auch bereitwillig bezahlen.

Was für Kant die Aufklärung voranschreiten läßt ist der öffentliche Gebrauch der Vernunft, der damit auch zu den Freiheitsrechten gehört. Der öffentliche Gebrauch ist für ihn der Gebrauch als Gelehrter, wobei er den Gelehrten nicht formell auffaßt, als jemanden der einen Titel trägt, sondern als jemanden der sich in den Dingen von denen er schreibt gebildet oder informiert hat. Wie er es formuliert hätte wenn er das Internet und Foren gekannt hätte weiß ich nicht, aber es wird klar daß er damit nicht die Freiheit gemeint hat daß jeder unterschiedslos sagen darf was er mag.

Kant wußte daß das lange dauern würde, bis es sich durchsetzt, war aber optimistisch daß es sich durchsetzen würde. Ich bin das auch, aber wenn man Zeuge wird wie sich Leute nicht nur weigern, zu denken, sondern alles daran setzen um ein paar simple Erkenntnisse der Vernunft von ihrem Bewußtsein fernzuhalten, dann kann man schon mal daran verzweifeln.

Wenn die meisten Leute zu faul und zu feige zum Gebrauch ihres Verstandes sind, und lieber glauben, dann hat der Missionar gegenüber dem Aufklärer einen Vorteil. Er muß allerdings dafür sorgen daß seine Lehre gerne geglaubt wird. Wenn sie dem Narzissmus der Leute schmeichelt, so daß sich die Gläubigen für was besseres halten können, dann geht's leichter. Bei den Audiophilen ist das ziemlich einfach zu sehen: Ein gewisser Elitarismus kommt bei den meisten ziemlich schnell zum Vorschein, und auf den Nichtgebrauch des Verstandes ist man sogar stolz, hat man doch sein unbestechliches Gehör, zudem hält man sich für Genuß- und Gemütsmenschen, und der Verstand wäre dem bloß im Weg.

Der Missionar ist nicht viel schwieriger zu durchschauen als der Missionierte. Zu den psychologischen Triebfedern gehören:
  • Selbstversicherung.
    Wenn alle dasselbe glauben braucht man keine Zweifel zu haben. Jedem Glauben ist daher ein abweichender Glaube ein Dorn im Auge. Dann braucht man einen Grund und eine Rechtfertigung für den eigenen Glauben, denn er ist nicht mehr selbstverständlich. Das ist umso lästiger als man eben für etwas das man einfach glaubt normalerweise keine gute Rechtfertigung hat. Bei Religionen ist das offensichtlich: Welche Rechtfertigung gibt es für den Glauben an die Jungfrauengeburt? An die leibliche Himmelfahrt? An die göttliche Inspiration ausgerechnet des eigenen heiligen Buches? Solche Sachen haben keine Rechtfertigung, die glaubt man weil man damit aufgewachsen ist, und nicht weil man das nach reiflicher Überlegung als die beste Erklärung erkannt hat. Jeder abweichende Glaube ist damit eine Herausforderung und ein Infragestellung der eigenen Position. Deshalb muß er verschwinden, wenn nicht physisch dann wenigstens aus dem geistigen Blickfeld.
  • Identitätsstiftung
    Wer missioniert muß eine Entscheidung für sein Glaubenssystem (und gegen andere) getroffen haben, und betrachtet sich daraufhin als zugehörig zu einer Gruppe. Das stiftet Identität.
  • Narzissmus
    Wenn man es schafft andere von seinen Glaubenssätzen zu überzeugen dann steigt dadurch das Selbstwertgefühl. Man kommt sich bestätigt und wertgeschätzt vor.
  • Machtstreben
    Das tritt besonders dann in Vorschein wenn Missionare in größeren Gruppen auftreten. Da merkt man die Lust daran, Anderen seine Ansichten aufzuzwingen, was gerade in den Religionen bis heute sichtbar ist, und teils auch ganz offen in den religiösen Schriften gefordert wird. Entsprechend fanden (und finden) viele der Beteiligten nichts dabei die Ungläubigen zur Konversion zu zwingen, und bei Nichtbefolgen abzuschlachten.
  • Eigennutz
    Gerade bei den Religionen wird sichtbar daß sich Anhänger oft schon deswegen missionarisch betätigen weil sie sich dadurch einen Vorteil zu erringen hoffen, nämlich im Jenseits. Das Paradies gibt's nicht umsonst, man muß dafür anschaffen gehen. Wenn's extrem kommt schmeißen die Leute ihr diesseitiges Leben weg und katapultieren sich über ein Märtyrerdasein gleich auf dem kurzen Weg ins Paradies, was merkwürdigerweise ebenfalls missionarisch wirksam sein kann.
Nun will ich nicht bestreiten daß es auch dem Narzissmus eines Aufklärers schmeicheln kann wenn er Erfolg hat und Andere beim Gebrauch ihres Verstandes auf die gleichen Einsichten kommen wie er. Der Missionar und der Aufklärer können von den gleichen unterschwelligen Motiven getrieben sein. Die werden aber leichter durchschaut von Leuten die denken. Leute die glauben neigen eher dazu sich ihre Helden sauberzuglauben. Wenn ein Aufklärer erfolgreich ist, dann hat er sich damit gleichzeitig erschwert, verehrt zu werden. Seine "Zielgruppe" kann selber denken und braucht die Verehrung nicht mehr. Der größte Erfolg eines Aufklärers ist, sich überflüssig gemacht zu haben.

Es ist natürlich nicht automatisch so das man die Missionare bei den Audiophilen finden würde, und die Aufklärer bei den Holzohren. Es gibt beiderlei Sorten auf beiden Seiten, aber auf der audiophilen Seite wird erheblich mehr geglaubt. Die Analogien zur Religion, und der ihr gegenüber stehenden Aufklärung, sind beileibe nicht zu weit her geholt.


Wie denkt Ihr drüber? Kommentare hier.