Samstag, 24. Dezember 2011

Brummen oder Brennen?

Es ist ja schon schlimm genug wenn das von "wohlmeinenden Tippgebern" in einem Forum kommt, aber wenn's ein Hersteller quasi offiziell im Handbuch seines Produktes empfiehlt, dann wird's kriminell.

Es geht um die Bekämpfung von Brummschleifen durch Aufhebung der Schutzleiterverbindung.

Wer in seiner Audioanlage Geräte mit Schutzleiterverbindung hat, den trifft mit einer relativ großen Wahrscheinlichkeit auch das Problem der Brummschleife. Ich habe schon mehrfach über dieses mit der Masse zusammenhängende Problem geschrieben und werde das hier nicht wiederholen. Leider kursieren als Abhilfe immer wieder Tipps, man solle es bei einem oder mehreren Geräten eben mit dem Auftrennen der Schutzleiterverbindung probieren. Dazu gehört das Abkleben der Schutzleiterkontakte am Stecker, oder Manipulationen in den Steckern oder in den Geräten. Und das hilft ja oftmals auch gegen das Brummen, denn dadurch wird die Schleife tatsächlich aufgetrennt.

Beseitigt hat man dabei aber auch die Schutzfunktion, für die der Schutzleiter da ist. Man hat eine Unannehmlichkeit durch eine Gefahr ersetzt. Eine Gefahr nicht bloß für sich selbst, was man vielleicht noch moralisch vertretbar finden könnte, sondern eine Gefahr für unbeteiligte Dritte. Deswegen ist so etwas auch verboten, und falls tatsächlich was passieren sollte sieht man auch bei etwaigen Schadenersatzforderungen und Haftungsfragen ziemlich schlecht aus.

Im Hifi-Forum findet sich bei solchen Tipps zum Glück schnell jemand, der den Tippgeber rüffelt. Insofern ist da das Risiko gering, daß jemand zu illegalen und gefährlichen Handlungen angeleitet wird, ohne daß er sich dessen bewußt würde.

Anders ist das wenn ein Hersteller das in einer Bedienungsanleitung empfiehlt. Dort findet man auf der sechsten Seite folgenden Hinweis:
"However, if capacitors or directly coupled output is used, then only one connection to the safety earth is required, otherwise ground loop may occur. This means that either DAC or (say) amplifier should use a 3-lead /3-pin earthed connection, but not both."
Der Autor scheint zu glauben, daß die Sicherheit auch dann gewährleistet ist, wenn nur ein Gerät mit dem Schutzleiter verbunden ist, weil die anderen Geräte, z.B. über die Masse einer Cinch-Verbindung, dann indirekt ebenfalls am Schutzleiter hängen.

Das ist aber ein schwerer Irrtum!

Ich fürchte der Irrtum ist relativ häufig, weswegen eine Erklärung hier wohl angebracht ist.

Der Schutzleiter ist dazu da, zu verhindern daß der ahnungslose Benutzer eines fehlerhaften Gerätes mit Netzspannung in Berührung kommen kann, und dadurch zu Schaden kommt. Es ist wichtig, sich klar zu machen welche Fehlerszenarien dadurch abgedeckt werden sollen, denn dadurch erkennt man wie der Schutzleiter wirken soll, und warum der Hinweis des Herstellers falsch und gefährlich ist.

Ein Audiogerät hat üblicherweise ein metallisches Gehäuse, und das kann Strom leiten. Wenn durch einen Defekt im Gerät ein Draht, der Netzspannung führt, mit dem Gehäuse in Kontakt kommt, dann liegt die Netzspannung frei berührbar am Geräteäußeren und stellt eine Gefahr dar. Es gibt zwei verschiedene Arten wie man dieser Gefahr begegnet:
  • Ein schutzisoliertes Gerät enthält intern verstärkte Maßnahmen, um die Isolation der Netzspannung vom Gehäuse zu gewährleisten. Eine Schuzleiterverbindung ist dann nicht nötig und auch gar nicht erlaubt. Dieser Fall ist der übliche Fall bei Hifi-Anlagen. Die Geräte haben meist einen flachen 2-poligen "Eurostecker".
  • Das Gehäuse des Gerätes ist mit dem Schutzleiter verbunden, so daß bei Kontakt der Netzspannung mit dem Gehäuse ein Kurzschluß entsteht, und durch den entstehenden Stromfluß eine Sicherung auslöst, wodurch die Netzspannung unterbrochen wird. Die Schutzleiterverbindung ist bei so einem Gerät Pflicht, und der Stecker ist 3-polig (die beiden seitlichen Kontakte beim Schuko-Stecker zählen als eine Verbindung).
Daraus sieht man, daß die Schutzleiterverbindung den Strom aushalten können muß, der zum Auslösen der Sicherung nötig ist. Deswegen ist vorgeschrieben, daß die Schutzleiterverbindung mit einem Draht gemacht sein muß, der mindestens so dick ist wie die anderen Drähte im Netzkabel. In Deutschland sind die meisten Steckdosen mit 16 A abgesichert, das heißt der Schutzleiter muß 16 A vertragen können.

Das ist aber nicht der Fall wenn die Schutzleiterverbindung über ein Cinch-Kabel geht. Wenn man Glück hat ist da genug Kupfer drin daß die Masseverbindung so einen Strom aushält, aber es gibt viele Kabel bei denen es bei weitem nicht reicht. Was dann im Fehlerfall passieren kann ist schnell beschrieben: Das Cinch-Kabel wird heiß und fängt im Extremfall an zu brennen. Die Sicherung löst nicht aus, stattdessen brennt das Kabel durch, und es liegt jetzt tatsächlich Netzspannung am Gehäuse an. Die Schutzleiterverbindung hat sich selbst deaktiviert, anstatt die Gefahr zu beseitigen, und ist sogar selbst zur Gefahr geworden.

Und es gibt noch einen weiteren Grund warum der Tipp des Herstellers gefährlich ist: Wenn manche Geräte auf diese Weise indirekt geerdet sind, dann ist es einfach, sie am Netz zu lassen während die Schutzleiterverbindung unterbrochen wird. Man braucht ja bloß die NF-Leitung abzuziehen, schon ist der Schutz weg, ohne daß gleichzeitig auch die Netzverbindung aufgehoben wäre. Man konstruiert die Netzstecker ja nicht umsonst so, daß die Schutzleiterverbindung immer automatisch hergestellt wird, wenn man einsteckt. Sie wird sogar durch voreilende Kontakte beim Einstecken zuerst hergestellt, und beim Ausstecken zuletzt getrennt. Wenn die Verbindung über separate Leitungen und Stecker geht, dann ist es mit diesem Automatismus vorbei. Damit wird es in der Praxis viel zu einfach, daß man den Schutz verliert, ohne daß es auffällt.

Bei den ganzen elektrischen Schutzmaßnahmen ist das dahinter stehende Prinzip, daß man vom Desaster immer mindestens zwei voneinander unabhängige Schritte entfernt sein will. Wenn ein Fehler reicht um die Katastrophe auszulösen, dann ist es eine Frage der Zeit bis sie eintritt. Der Schutzleiter ist ein Beispiel für diese zweite Barriere, die dann auf den Plan tritt wenn ein Fehler passiert ist. Das heißt aber auch daß man das Fehlen der zweiten Barriere nicht bemerkt, so lange alles in Ordnung ist. Fehlt sie aber, dann hindert nichts mehr, daß sich ein Fehler in Sekundenbruchteilen von einer harmlosen Kleinigkeit zu einem echten Problem größeren Ausmaßes entwickelt.

Deswegen sind solche faulen Tipps so problematisch: Sie suggerieren, daß alles in Ordnung ist, und wenn sie auch noch das Brummen beseitigen, dann scheint der Zustand sogar verbessert worden zu sein. In Wirklichkeit hat man einen Sicherheitsmechanismus unterlaufen, dessen Fehlen zum Verhängnis führen kann.

Für mich ist so etwas ein Killer-Kriterium für einen Hersteller, da können seine sonstigen Leistungen sein wie sie wollen.



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