- „Wenn ich ein Wort verwende“, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, „dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“
- „Die Frage ist doch“, sagte Alice, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst“.
- „Die Frage ist“, sagte Humpty Dumpty, „wer die Macht hat – und das ist alles.“
- (Lewis Carroll: Alice hinter den Spiegeln)
In der aktuellen Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung fand ich heute einen Artikel auf der Wissen-Seite mit dem Titel "Starrköpfe". Überflüssig zu sagen, daß ich mich sofort angesprochen fühlte. ;-)
Der Artikel bespricht einen Forschungsbeitrag eines Innsbrucker Forschers, der jüngst im Psychonomic Bulletin & Review erschien. Tobias Greitemeyer zeigt darin, daß viele Menschen auch dann noch an widerlegte Informationen glauben, wenn ihnen klar ist, daß sie falsch sind. Ja, das klingt nicht nur paradox, das ist es auch, weshalb die Süddeutsche extra betont: "Es ist wert das zu wiederholen: Selbst wenn jemand weiß und verstanden hat, dass eine Geschichte falsch und nichts als eine Lüge ist, neigt er dazu, trotzdem daran zu glauben."
Das ist für Aufklärer eine frustrierende Nachricht. Es reicht nicht, einen falschen Glauben zu widerlegen. Es reicht auch nicht, wenn der Betreffende kapiert hat, daß sein Glaube widerlegt ist. Er hört trotzdem nicht auf zu glauben. "Wenn der Mensch einmal an etwas glaubt, dann will er seine Haltung nur äußerst ungern aufgeben." Das Ganze heißt im englischen Fachbegriff "Belief Perseverance", also etwa "Glaubensbeharrlichkeit".
Offenbar hängt die Sache damit zusammen, wieviele Gründe man sich für die letztlich falsche Meinung zurecht gelegt hat. Diese Gründe brauchen gar nicht schlüssig zu sein, sie können sogar recht trübe sein, Hauptsache man hat sie für sich angenommen. Dann nutzt nicht mal der Nachweis, daß ein Ergebnis falsch ist, sondern es hilft laut Greitemeyer nur noch eines: "Man muss Argumente generieren, warum das (...) Ergebnis keinesfalls richtig sein kann."
Das heißt im Umkehrschluß, daß sich eine falsche Ansicht so lange hält, bis der Betreffende nicht nur kapiert hat, daß seine Meinung falsch ist, sondern auch daß sie unter keinen Umständen stimmen kann. Es reicht also nicht wenn man alle Beweise und Indizien für den Glauben zunichte macht, man muß darüberhinaus eine wasserdichte Beweiskette dagegen aufstellen, und zudem erreichen daß der Betreffende sie zur Kenntnis nimmt und auch kapiert.
Wer dagegen erreichen will, daß der Betreffende seinen Glauben behält, der braucht eigentlich nur für eines zu sorgen: Zweifel an der Wasserdichtigkeit des Gegenbeweises aufrecht zu erhalten. Den Rest erledigt die Glaubensbeharrlichkeit. Jede Verschwörungstheorie speist sich daraus.
Wer in den Hifi-Diskussionen schon so lange mitmischt wie ich, der wird keine Mühe haben, Beispiele für diese Sachlage zu finden. Mein in dieser Hinsicht frappierendstes Erlebnis (und es gibt einige starke Konkurrenten!) hatte ich Anfang 2011, als in meinem Blog-Thread im Hifi-Forum ein Streit wieder aufgeflammt ist, der sich um ein Blindtestangebot zum Thema Netzkabel drehte, welches "Franz" im Kommentarteil dieses Blogs machte (am 9. April 2010), nur um es dann wieder platzen zu lassen als er merkte, daß ich ihn beim Wort nehmen wollte, und der dann versuchte, mir die Sache in die Schuhe zu schieben. Dabei war nicht etwa Franz selbst derjenige, der mich am meisten frappiert hat, sondern "hifiaktiv" David Messinger, der mit dieser Diskussion zeigen wollte, wie unter anderem von mir "Andersdenkende diffamiert" werden. Stattdessen hat er er gezeigt, wie weit er zu gehen bereit ist um sich diese Meinung zu bewahren, und das habe ich in der krassen Form wirklich noch nicht erlebt gehabt.
David war bei der Kommentar-Diskussion im Blog mit dabei, und er hätte wissen müssen, daß ich die nachher so heiß umstrittene Vorbedingung einer Generalprobe von Anfang an gestellt hatte und keineswegs nachträglich auf's Tapet geracht hatte, wie er danach kategorisch behauptete. Das konnte man auch alles im Blog nachlesen, zudem gab's etliche Zeugen, und es wurde mehrfach in der Diskussion klargestellt. Trotzdem ließen sich weder Franz noch Charly noch David davon abbringen, zu behaupten ich hätte diese Bedingung nachträglich hervorgeholt. Charly ging so weit daß er nahelegte, ich hätte die Blogkommentare selbst nachträglich editiert, seine eigene Erinnerung sei anders. Und David weigerte sich sogar dann, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, als man ihm die Textpassagen ins Forum kopierte, damit er sie maximal bequem lesen konnte.
Das heißt es reichte nicht einmal die Aufstellung eines wasserdichten Beweiskette in Form von schriftlichen Originalzitaten, um den falschen Glauben zu überwinden, David weigerte sich einfach, das zur Kenntnis zu nehmen. Das ist die ultimative Verteidigung einer ansonsten unhaltbaren Position: Man verweigert die Kenntnisnahme der Fakten. Die eigene "Erinnerung" und die so liebgewonnene Überzeugung ist ohnehin überzeugender als alle Fakten es je sein können. Tobias Greitemeyer hätte damit bestimmt auch seine Freude gehabt.
David hat nach einigem hin-und-her dann tatsächlich seinen "Irrtum" anerkannt (in Beitrag #1653 als Reaktion auf meine #1651, beide lesenswert), aber man kann sich nicht sicher sein ob nicht seine "Erinnerung" irgendwann wieder die Oberhand bekommt. Das ist eben auch die Gefahr: Der liebgewonnene Glaube kann auch wieder zurückkommen. Zumal es durchaus passieren kann, daß sich das negative Erlebnis, derart "vorgeführt" zu werden, zu einer Rechtfertigung des ursprünglichen Glaubens wandelt. Ich habe also vielleicht die Testbedingungen nicht faktisch nachträglich verschärft, aber angesichts meiner generell empfundenen Niedertracht ist er davon überzeugt, daß ich dazu bereit und fähig gewesen wäre. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, daß man die Tatsache, daß ich es so hingekriegt habe, daß ich faktisch nicht niederträchtig war, als noch größere Niedertracht ansehen kann, weil es mir ja dadurch gelungen ist, meine Widersacher bloßzustellen. "Weil Du recht hast, stehe ich jetzt dumm da! Du Arschloch!", könnte er denken.
Wie geht man damit um?
Beim angegebenen Fall war die Sache wenigstens so, daß die Diskussion offen genug ablief, daß die Positionen klar sichtbar waren, und daß demzufolge Ausweichen nicht wirklich möglich war. Man kann zwar bezweifeln, daß der Betreffende daraus etwas gelernt hat, aber er kam nicht darum herum, seinen "Irrtum" öffentlich einzugestehen. In seinem eigenen Forum hätte es dafür keine Chance gegeben. Dort ist er Humpty Dumpty, er bestimmt was die Worte "freundlich", "sachlich", "Forenregel" usw. bedeuten. Dafür hat er die Macht. Was das in der Praxis bedeutet kann man im Hififorum.at sehen.
Für mich ergeben sich daraus mehrere Lehren:
- Wenn der Glaube stark genug ist, dann hilft gar nichts.
- Wer Glaubensbeharrlichkeit überwinden will, muß dem Gegenüber die Beschäftigung mit der Realität aufnötigen.
- Man kommt am besten gegen eine "Glaubensbeharrlichkeit" an, wenn man ausgeglichene Machtverhältnisse hat. Wer die Macht hat, braucht keine Fehler zuzugeben, muß nicht argumentieren, muß noch nicht einmal zuhören. Man kann ihn daher nicht dazu bringen, sich mit den Fakten zu beschäftigen.
- Öffentlichkeit neutralisiert Macht.
(Ich habe nach meiner Abmeldung im Hifi-Forum übrigens die Kommentare hier im Blog wieder erlaubt, allerdings diesmal nur für Leute mit Google-Konto.)