Freitag, 9. Oktober 2015

Gedämpftes Verständnis

Der sogenannte "Dämpfungsfaktor" ist ein Begriff, dem man im Zusammenhang mit Verstärkern und Lautsprechern seit vielen Jahrzehnten begegnet, und um den sich viel Ideologie, aber auch viel Unverstand rankt. Ich finde, die damit erzeugte Verwirrung ist größer als die erzeugte Einsicht, und wenn's nach mir ginge müßte man den Begriff in der Versenkung verschwinden lassen. Ich werde hier den Versuch machen, zu erklären worum es überhaupt geht, und wie ich zu dieser vielleicht etwas provokativen Ansicht komme.

Der Dämpfungsfaktor ist ein Begriff, der sich im Zusammenspiel zwischen einem Verstärker und dem daran angeschlossenen Lautsprecher ergibt. Er wird gebildet als das Verhältnis aus der Impedanz der Last (Lautsprecher) und der Impedanz der Quelle (Verstärker). Er beschreibt damit eine Situation, und nicht etwa die Eigenschaften eines Gerätes. Das ist schon das erste Problem.

Oft wird versucht, einen Dämpfungsfaktor-Wert als Eigenschaft eines Verstärker auszugeben. Etwas, was man in die technischen Daten des Verstärkers hinein schreibt. Dafür muß man aber den angeschlossenen Lautsprecher idealisieren, und sein Verhalten in Form einer einzigen Zahl ausdrücken, nämlich seiner Nennimpedanz. Das ist eine derartig radikale Vereinfachung, daß man damit der Praxis nicht ansatzweise gerecht wird. Es dient nur dazu, den Dämpfungsfaktor ebenfalls als eine einzelne Zahl ausdrücken zu können, was natürlich ebenso wenig praxisgerecht ist. Es würde lediglich die Situation ausdrücken, die entsteht wenn man an den Verstärker einen Lastwiderstand anschließen würde, anstelle eines echten Lautsprechers. Das ist nur für den Labortisch relevant.

Will man die Eigenschaften des Verstärkers für sich angeben, z.B. für seine technischen Daten, dann sollte das auf eine Weise geschehen, die möglichst keine künstlichen Annahmen über den angeschlossenen Lautsprecher braucht. Das wäre die Angabe der Ausgangsimpedanz (= Quellimpedanz des Verstärkers). Weil die in aller Regel mit der Frequenz variiert, und oft auch reaktive Komponenten hat (also nicht so wirkt wie ein einfacher Widerstand), wäre es günstig, einen Impedanzschrieb über die Frequenz als Diagramm darzustellen, und zwar nach Betrag und Phase. Bei Lautsprechern kennt man solche Impedanz-Diagramme, aber das Gleiche wäre auch für Verstärker sinnvoll. Eine solche Angabe würde dann lediglich den Verstärker selbst charakterisieren, ohne Abhängigkeit vom Lautsprecher.

Hat man ein solches Impedanzdiagramm für den Verstärker und eines für den Lautsprecher, dann kann man für diese Kombination (bzw. Situation) auch den tatsächlichen Dämpfungsfaktor bestimmen, und zwar sogar in seinem Frequenzverlauf, und nicht bloß als einzelne Zahl. Das wäre erheblich aufschlußreicher und näher am echten Verhalten. Nur wäre das ein bißchen zu anspruchsvoll für Leute, die sich lieber an einzelnen Zahlen festhalten, weil die besser für den Schwanzlängenvergleich taugen.

Aber das ist erst der Anfang. Bis hierher ging es um den Dämpfungsfaktor an der Schnittstelle zwischen dem Verstärker und dem Lautsprecher. An dieser Stelle geht es darum, welchen Einfluß der Dämpfungsfaktor auf den Frequenzgang des gesamten Arrangements hat. Man sieht die Kombination von Lautsprecher und Verstärker als einen frequenzabhängigen Spannungsteiler, bestehend aus der Lastimpedanz und der Quellimpedanz. Ein Spannungsteiler ist etwas recht einfaches, und selbst die Frequenzabhängigkeit macht das nicht wesentlich komplizierter. Das Ergebnis ist eine Frequenzgang-Kurve, von der man natürlich meist möchte, daß sie möglichst gerade horizontal verläuft. Das klappt am besten wenn die Quellimpedanz möglicht klein gegenüber der Lastimpedanz ist. Das entspricht dann einem hohen Dämpfungsfaktor.

Aber mit dem Dämpfungsfaktor wird auch oft ein ganz anderes Konzept verbunden, nämlich die "Kontrolle" des Lautsprechers. Dabei geht's um Folgendes: Ein Lautsprecher-Chassis, also eine Anordnung aus Magnet, Schwingspule, Membran und Korb, ist ein schwingfähiges mechanisches System, in dem die schwingenden Teile eine Massenträgheit haben. Einmal in Bewegung, möchten sie sich weiter bewegen, auch ohne Antrieb. Wenn der Strom zum "Motor", bestehend aus Magnet und Schwingspule, abgestellt wird, dann bewirkt die Massenträgheit, daß die Bewegung weitergeht, und die Funktion des Motors sich umkehrt und er zum Generator wird. Das Teil liefert Strom. Man nennt das die Gegen-EMK (Elektromotorische Kraft). Dieser Strom fließt zurück zum Verstärker. Die Quellimpedanz des Verstärkers bildet für diesen Strom die "Last". Der vorhin erwähnte Spannungsteiler wirkt jetzt anders herum. Auch diesmal ist es günstig, wenn die Ausgangsimpedanz des Verstärkers möglichst klein ist, denn umso mehr wird die Gegen-EMK "kurzgeschlossen", was dazu führt daß die Bewegung des Motors möglichst schnell abgebremst wird. Das ist was man mit "Kontrolle" meint: Möglichst wenig eigenmächtige Bewegung der Membran aufgrund von Massenträgheit; die Membran soll so unmittelbar wie möglich den Vorgaben des Verstärkers folgen, also der Spannung, die er abgibt. Besonders deutlich wird das bei der Resonanzfrequenz des Chassis, wo die Tendenz zur eigenständigen Bewegung am größten ist.

Daher kommt ursprünglich der Begriff: Die Tendenz der Lautsprechermembran zur eigenmächtigen Bewegung soll so gut wie möglich gedämpft werden. Der Begriff des Dämpfungsfaktors sollte dem ein Maß geben.

So lange der Verstärker direkt an das Lautsprecher-Chassis angeschlossen ist, stimmen diese beiden Betrachtungsweisen sogar einigermaßen überein. So ist es aber in der Praxis nicht: Man hat es mit einem Lautsprecher zu tun, der aus mehreren Chassis und einer passiven Frequenzweiche besteht. Die Frequenzweiche sitzt zwischen Verstärker und Chassis. Das bedeutet, daß man für die Betrachtung des Dämpfungsfaktors entscheiden muß, auf welcher Seite der Weiche man guckt.

Will man wissen, wie gut die Gegen-EMK des Chassis gedämpft wird, dann muß man die Weiche rechnerisch zum Verstärker schlagen. Man betrachtet also die Quelle als die Kombination von Verstärker und Weiche, und die Last ist dann das einzelne Lautsprecher-Chassis.* Es liegt auf der Hand daß dann die Impedanzen ganz anders ausfallen als bei der Betrachtung oben, wo man die Weiche zum Lautsprecher gerechnet hat. Entsprechend andere Dämpfungsfaktoren ergeben sich. Konkret läuft es darauf hinaus, daß in aller Regel die Weiche eine größere Rolle spielt als der Verstärker. Die Ausgangsimpedanz des Verstärkers wird irrelevant wenn sie einmal deutlich unter der Impedanz der Weiche liegt, und dazu braucht's nicht viel.

Mit anderen Worten: Die Kontrolle des Lautsprechers kann nicht besser werden als es die Weiche erlaubt.

Nachdem die meisten Verstärker heutzutage Ausgangsimpedanzen haben, die unter der Weichenimpedanz liegen, bedeutet das, daß der Verstärker bei der Kontrolle der Gegen-EMK von Lautsprechern eine eher untergeordnete Rolle spielt, und der Dämpfungsfaktor, so wie er üblicherweise angegeben wird, wird entsprechend nebensächlich.

Diese Betrachtung geht davon aus, daß das Problem der Gegen-EMK das Bass-Chassis betrifft, und daß die Weiche für dieses Chassis eine Serien-Induktivität hat. Das dürfte der Normalfall sein. Andere Lautsprecher-Konstruktionen, so wie z.B. Elektrostaten, bieten andere Bedingungen, so daß ich nicht den Anspruch auf universelle Gültigkeit meiner Argumentation erhebe. Das ist aber egal, denn mir geht's um die üblichen Situationen. Spezielle Situationen brauchen sowieso eine getrennte Betrachtung.

Der Punkt, um den es mir geht, ist daß der Begriff des Dämpfungsfaktors keinen Praxisnutzen bringt, und gerade im Beisein einer Weiche eher Verwirrung stiftet. Also so gut wie immer. Geht es um die Kontrolle der Gegen-EMK, dann dominiert die Weiche, über deren Daten man meist zu wenig weiß. Geht es um die Linearität des Frequenzgangs, dann wäre man besser bedient mit den Impedanzschrieben von Lautsprecher und Verstärker, weil die üblich angegebene Zahl für den Dämpfungsfaktor zu wenig über die tatsächliche Situation sagt.

Im Grunde ist das ein Argument für Aktivboxen, denn da hat in der Regel jedes Chassis seinen eigenen Verstärker, und die Weiche entfällt. Für jede Paarung eines Chassis mit einem Verstärker in der Aktivbox gibt es dann jeweils einen eigenen Dämpfungsfaktor, aber das braucht nur den Hersteller zu interessieren. Als Anwender hat man mit derlei Details und ihrer korrekten Interpretation nichts zu tun.

Besonders absurd wird es meiner Ansicht nach dann, wenn in der audiophilen Szene besonders teure und aufwändige Weichen benutzt werden. Beispielsweise gibt es Leute, die darauf schwören, die Induktivität für das Tiefton-Chassis möglichst niederohmig zu machen, eben gerade um die "Kontrolle" zu optimieren. Mir erscheint das widersinnig spätestens dann, wenn dabei eine Bauteilrechnung zusammen kommt, für die man auch die für eine Aktivbox nötigen Verstärker bezahlen könnte. Was einem dabei zupaß kommt ist, daß die Bauteile für einen guten Verstärker immer billiger geworden sind. Für eine gute Drossel, die ein Audiophiler akzeptieren würde, hängt der Preis aber mit dem Materialverbrauch an Kupfer (und evtl. Eisen) zusammen, und das wird eher teurer. Damit wird die Passivweiche wirtschaftlich immer unvorteilhafter. Elektronisch war sie ohnehin schon immer die schlechtere Lösung.

Ich hoffe, daß daraus ein Trend zur Aktivbox wird, womit sich dann auch das Thema Dämpfungsfaktor erledigen würde. Es wäre langsam Zeit.

* Das ist, wie ich dem Hinweis eines Bloglesers verdanke, im Grunde sogar noch zu optimistisch dargestellt. Für die Dämpfung einer Eigenbewegung müßte idealerweise der Widerstand im kompletten Stromkreis, in dem die Gegen-EMK wirkt, möglichst niedrig sein. Da gehört auch der Widerstand der Schwingspule dazu, neben dem des Verstärkers und der Weiche. In der Praxis hat der Widerstand der Schwingspule den größten Anteil, gefolgt (meistens) von der Weiche, dann erst vom Verstärker und dem Kabel. Es ist also noch unwahrscheinlicher, daß sich dabei Verstärker und Kabel bemerkbar machen.

3 Kommentare :

Christoph Seufert hat gesagt…

Ich hoffe, dass der Trend gleich noch einen Schritt weiter geht zur Digitalbox wie System JBL Pro M2, besonders Kii Three oder Grimm LS1. Zum einen kann man die mechanischen/elektrotechnischen Eigenschaften der Lautsprecher digital optimieren. Und die DAC-Schwurbeleien erspart man sich auch gleich.

Unknown hat gesagt…

Ein wirklich sehr interessanter und aufschlussreicher Beitrag! Danke!

lukas hat gesagt…

Im Großen und Ganzen kann ich den Ausführungen zustimmen. Allerdings ist der Dämpfungsfaktor des Verstärkers auf die Baßwiedergabe doch nicht ganz so zu vernachlässigen, wie hier angedeutet wird. Der Grund dafür liegt darin, dass bei einer vernünftig abgestimmten Box, und das bezieht sich hier jetzt ausschließlich auf die Konstruktion des Basslautsprechers und seines Gehäuses, die Einflüsse der Weiche miteinkalkuliert sind. D.h., es ist im Prinzip egal wie hoch der Widerstand von Schwingspule und Weiche ist, das macht sich nur auf den Wirkungsgrad bemerkbar. In gewissen Grenzen kann man durch Vergrößerung des Gehäuses die richtige Abstimmung erreichen, auch wenn der Verlustwiderstände rel. groß sind. Man kann hier quasi einen Nullwert einstellen. Wenn der Verstärker im Bereich der Resonanzfrequenz des Basschassis eine hohe Ausgangsimpedanz hat, dann macht sich dass u.U. durchaus gehörmäßig bemerkbar.
Das Problem ist, dass man aus kommerziellen oder designerischen Gründen nicht unbedingt große Boxen haben will und die Lautsprecher von vornherein schon so abgestimmt sind, dass sich eine leichte Bassüberhöhung bei der Resonanzfrequenz einstellt, ein hoher Dämpfungsfaktor verschlimmert diese Tendenz noch zusätzlich und läßt den Bass dann weich und aufgebläht erscheinen. Das ist aber dann eben nur zum Teil ein Problem des Verstärkers, sondern auch der Boxen.