Ich hab mir die Sache angesehen, und bin der Meinung, daß an der Trojaner-Behauptung sehr wohl was dran sein kann.
Wer schon lange genug dabei ist, kann sich bestimmt noch an die mehreren Versuche der Industrie erinnern, der CD einen Kopierschutz zu verpassen. Die sind allesamt gescheitert, wie nicht nur wir wissen; der Musikindustrie ist das noch viel schmerzhafter bewußt. Das bedeutet nicht, daß sie diese Versuche ein für alle mal eingestellt hätten. Es bedeutet aber, daß sie sich im Klaren darüber sind, daß man die Sache intelligenter anpacken muß, und dazu gehört auch ein längerer Atem.
Nimm also mal hypothetischerweise an, Du wärst ein skrupelloser Bonze aus der Musikindustrie, der sich nie damit abfinden konnte, daß die Technik das umstandslose Kopieren und Verteilen auch der hochqualitativsten Aufnahmen einfach und billig gemacht hat, und nach Möglichkeiten sucht, Geldquellen neu zu erschließen, die ihm dadurch verloren gegangen sind. Skrupellos deshalb, weil Dir völlig egal ist, wie es dem Konsumenten oder auch dem Musiker dabei geht, deren Interessen vertrittst Du nicht. Dein Motiv ist die Liebe zum Geld, und nicht die Liebe zur Kunst. Wie würdest Du vorgehen, wohl wissend um die Fehler der Vergangenheit?
Du denkst so: Die Rechte an der Aufführung und Vervielfältigung der Musikstücke gehören mir. Die Künstler haben diese Rechte an mich abgetreten. Die billige und einfache Kopiererei hat mich dieser Rechte beraubt. Was ich brauche, ist eine Methode um mir diese Rechte zurückzuholen. Ich brauche eine technische Infrastruktur, die es mir erlaubt, das auch durchzusetzen, und zwar notfalls auch gegen den Konsumenten. Ich brauche ein technisches System, das meine Rechte "managt". Also DRM.
Das darf der Konsument aber nicht merken, denn dagegen ist er inzwischen allergisch. In der Praxis hat DRM immer auch Nachteile für den ehrlichen Nutzer gebracht, z.B. Probleme beim Nutzen des legal erworbenen Materials auf unterschiedlichen Wegen (daheim vs. im Auto, im Heimnetzwerk, etc.). Für den ehrlichen Nutzer ist DRM eine unnötige und lästige Nerverei, die er sich nicht freiwillig antut.
Wenn Du also als Musikindustrie-Bonze einen weiteren Versuch unternehmen willst, Dir Deine Rechte zurück zu holen, dann brauchst Du eine Methode, die diese Allergiereaktion nicht auslöst, am Ende aber trotzdem das bewerkstelligt, was Du erreichen willst. Und jetzt wird's spannend: Wie könnte so etwas aussehen? Wie geht man dabei vor, und was kann am Ende dabei heraus springen?
Klar ist dabei unmittelbar, daß man etwas einführen muß, das zumindest am Anfang als Vorteil wahrgenommen wird, ohne daß es auch nur eine Spur der Nachteile hat, die man mit DRM assoziiert. Die Nachteile dürfen erst spürbar werden, wenn es schon keinen Weg mehr zurück gibt, ansonsten scheitert man zu früh. Das bedeutet, man muß von vorn herein langfristig planen. Man braucht ein System, das es erlaubt, die gewünschte DRM-Funktionalität erst nachträglich zu aktivieren, wenn man eine dominante Marktposition errungen hat. Die Erringung einer dominanten Marktposition dauert aber auch im günstigsten Fall viele Jahre. Ein Jahrzehnt ist sicher nicht zu lang gedacht.
Vorher, während man diese dominante Position noch zu erreichen versucht, muß man Vorteile vorweisen können, man muß einen Köder haben, sonst beißt der Fisch nicht an. Ideal wäre ein System, bei dem der Vorteil von der gleichen technischen Infrastruktur abhängt, wie das später mögliche DRM. Das ist der Trick hinter dem trojanischen Pferd. Es ist ein Geschenk, das in seinem Bauch ein verstecktes Unheil birgt. Der Köder, in dem der Haken verborgen ist.
Mit so einem Plan im Kopf, wie würdest Du über MQA denken? Was bietet Dir MQA, um dem Konsumenten eine Form von "Digital Rights Management" unterzujubeln, ohne daß er es merken würde bevor es zu spät für ihn ist? Eine ganze Menge, wie sich zeigt:
- MQA bietet Geheimhaltung. Was da genau an Mechanismen drin ist, wird nicht offen gelegt. Das hat mindestens schon mal den Vorteil, daß man Kritikern vorhalten kann, sie wüßten nicht wirklich Bescheid und würden bloß spekulieren, und damit Panikmache betreiben.
- MQA enthält kryptografische Infrastruktur zur Authentifikation. Diese "Authentication" wird als Vorteil angepriesen, als Garantie für den Konsumenten, daß er wirklich eine zertifizierte Qualität bekommt. Wer ein bißchen davon versteht, weiß aber daß die dazu nötige kryptografische Infrastruktur dieselbe ist, die man auch zur Verschlüsselung und Zugriffskontrolle einsetzen kann. Es ist also einfach, alle nötigen Mechanismen sowohl für Authentifizierung als auch für Zugriffskontrolle in die Geräte einzubauen, und ggf. später davon Gebrauch zu machen.
- MQA bietet zwar im Moment noch keine Methode, wie ein Abspielgerät rückfragen kann, also z.B. über das Internet dynamisch die Erlaubnis zum Abspielen einholen kann. Einige gängige Lizenzverwaltungssysteme, wie man sie von Software kennt, funktionieren so natürlich nicht. Aber es ist ohne weiteres denkbar, eine Lizenzverwaltung in nur eine Richtung damit zu implementieren. Z.B. könnten Informationen zum Ungültigmahen von Schlüsseln in eine ganz normale Audiodatei oder in einen Stream eingebettet werden, so daß man einfach dadurch, daß man einen neueren Titel abspielt, das Recht zum Abspielen eines älteren Titels verliert. Außerdem, falls man je mal einen Rückfrageweg brauchen sollte, könnte man den auch nachträglich hinzufügen, wenn man mal genug Marktmacht hat.
- MQA bietet im Moment keine Methode, das Kopieren von Musik zu verhindern. Die Dateien oder Stream zu rippen wird auch mit MQA problemlos möglich sein. Abspielen kann man aber erst einmal nur den "linearen" Teil des Materials, ohne den durch den MQA-Decoder bereit gestellten HiRes-Teil, an den man nur mit einer Lizenz kommt. Welche Qualität der lineare Teil hat, bestimmt aber nicht der Konsument, sondern derjenige, der den MQA-Encoder betreibt. Also Du, der Bonze der Musikindustrie. Auch der Künstler wird da in der Praxis nichts mitzureden haben. Das bietet Dir die Möglichkeit, die problemlos abspielbare Qualität auf das Niveau einer Compact-Cassette (remember?) herunter zu fahren. Für mehr braucht es eine Lizenz. Diese Möglichkeit darf man aber auf keinen Fall zu früh nutzen, sonst gibt man seinen Trumpf zu früh aus der Hand. Bis genug Marktmacht errungen ist, muß man den linearen Teil in etwa auf CD-Qualität lassen. Später hast Du als Betreiber des Encoders dann mehr Freiheiten. Es ist bisher der Öffentlichkeit unbekannt, wie weit man damit im MQA-System gehen kann. Es gibt wohl Anzeichen, daß man die Auflösung des linearen Teils auf 10 Bit herunterfahren könnte, wenn man wollte. Das wäre kaum UKW-Qualität. Da man Titel schon seit Jahr und Tag im Radio mitschneiden kann, wäre das keine ernsthafte Einschränkung.
- Die Authentifizierung in MQA bietet die Möglichkeit der Lizensierung auf der ganzen Wertschöpfungskette, nicht bloß beim Abspielen. Was das bedeuten kann, hat Jim Collinson von Linn hier erklärt.
Also muß abgestritten werden, daß es um DRM geht. Eine Strategie dabei ist, DRM mit Kopierschutz zu assoziieren. Wenn DRM = Kopierschutz, dann ist klar, daß MQA kein DRM ist, denn MQA enthält keinen Kopierschutz. Das ist eine zu eng geführte Definition von DRM, denn eigentlich geht es dabei nicht zentral um die Frage, ob Du als Konsument das Material kopieren kannst, sondern allgemeiner um die Frage wie Du es nutzen kannst. Aber die Engführung erlaubt es, ohne offene Lüge etwas abzustreiten, was Du insgeheim tatsächlich anstrebst.
Die ehrliche Antwort auf die Frage, ob MQA DRM enthält wäre also: Jein. Nicht die alte Kopierschutzkamelle. Aber etwas weit perfideres.
Es muß auch ein Köder da sein, also ein Vorteil, den man den Konsumenten einreden kann. Der Musikindustrie den Vorteil klar zu machen ist kein Problem, siehe oben. Warum eine Sony oder eine Warner MQA gut findet ist sofort klar. Wie sie ein Konsument gut finden soll, ist etwas schwieriger einzufädeln, zumal nicht wenige den Braten riechen werden.
Wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, versucht man es dabei mit altbekannten Mitteln, also mit der Sau, die man seit Jahrzehnten regelmäßig durch's Dorf getrieben hat: Die Audioqualität soll besser sein. In der audiophilen Ecke holt man sich da eigentlich automatisch Beifall, und es ist auch nicht schwer, genügend Leute zu finden die Verbesserungen hören. Die Fanboy-Maschine ist hier gut geölt und immer bereit. Die "Fach"presse ist ebenfalls seit vielen Jahrzehnten unter Kontrolle, und verbreitet das was die Geldgeber wollen. Also keine Probleme hier.
Das Problem ist aber, daß das Mißtrauen der Konsumenten ebenfalls recht groß ist, wenigstens desjenigen Teils davon, dessen Erinnerung mehr als ein paar Jahre zurück reicht. Bei denen scheint man sich damit zu behelfen, sie als die "üblichen Verdächtigen" bei der Ablehnung technischen Fortschritts zu verunglimpfen. Problem dabei: Etliche Hersteller von Abspiel- bzw. Streaming-Geräten scheinen ebenfalls skeptisch zu sein. Schließlich würden auch die sich von MQA und der dahinter stehenden Lizensierungs-Maschine abhängig machen. Man ist an Dolby erinnert, nicht unbedingt eine angenehme Erinnerung für so manchen Hersteller.
Ebenfalls skeptisch macht die Geheimniskrämerei, und der Bullshit-Pegel, der aus der MQA-Ecke kommt. An Rhetorik fehlt es nicht, aber daß MQA tatsächlich bessere Qualität liefert ist über das Behauptungsstadium nicht hinaus gekommen. Seriöse Tests gibt es wenig, und was es gibt zeigt keinen merklichen Vorteil. Es ist zudem wenig überzeugend, warum der eher geringe Einsparungseffekt an Datenmenge, besonders wenn man es mit FLAC und Konsorten vergleicht, einen solchen Aufwand rechtfertigt, selbst wenn dadurch bessere Qualität als von der CD heraus kommen sollte. Deswegen sagen ja auch etliche Leute, daß das Q in MQA eine Lösung für ein nicht existentes Problem sei. Wer bessere Qualität als CD zu brauchen glaubt, kann sich auch eines HiRes-Formates im Zusammenhang mit FLAC bedienen, und spart sich den ganzen Lizenzquatsch.
Noch dazu kommt, daß es mit dem Versprechen der Master-Qualität nicht weit her ist. Man will anscheinend dem Konsumenten weis machen, die Authentifizierung bedeute, daß er die Qualität bekommt, die der Künstler gewollt und abgesegnet hat. Das ist natürlich gelogen. Über die MQA-Qualität bestimmt derjenige, der den Encoder hat. Das ist so gut wie nie der Künstler, und das Ergebnis des Encodierens wird auch ohne die Mitwirkung des Künstlers unter die Leute gebracht werden. Für den Künstler verbessert sich damit gar nichts, eher im Gegenteil.
In der Praxis wird das schon existierende Material nochmal durch den Encoder gejagt, womit man es erneut verkaufen kann, so wie das schon früher mit den Remasterings war. Die waren auch regelmäßig nur lauter, nicht aber klanglich besser (eher im Gegenteil). Aus ähnlichen Gründen wird auch das MQA-Material letztlich bloß eine Neuveröffentlichung desselben Materials sein, von dem man behauptet es klänge besser (was man immer behauptet hat), was aber meist doch nicht besser klingt. Wobei man dafür sogar die Möglichkeiten hätte, indem man die Lautstärke zurück nimmt.
Aber man kann mir natürlich hier übertriebenen Pessimismus vorwerfen. Das Urteil liegt bei Euch: Was findet Ihr glaubwürdiger, daß MQA endlich das Format ist, nach dem die Anwender die ganze Zeit gelechzt haben, und das endlich alle Probleme behebt, die PCM angeblich hat? Oder daß es eine schlau eingefädelte Finte ist, um den Konsumenten das Schlucken des Köders schmackhaft zu machen, in dem der DRM-Haken verborgen ist?
Für weiteren Informationsbedarf siehe z.B. Archimago's Blog, oder auch ein langer Thread auf CA.
Vielleicht wollt Ihr aber auch die Seite der MQA-Firma (ja, sie haben sich aus Meridian ausgegründet) ansehen, wo man - wer hätte es gedacht - den Künstler in den Vordergrund stellt. Man findet da offenbar immer genug Kälber, die freiwillig in den Schlachthof gehen.
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