Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch der Hifi-Foren-Öffentlichkeit, fand dieses Frühjahr ein interessantes und aufschlußreiches Experiment statt, von dem ich hier berichten will. Ich habe mit dessen Durchführung nichts zu tun, und bin auch selbst erst nachträglich darauf aufmerksam geworden, komme aber nicht umhin, meinen Respekt dem dafür Verantwortlichen, Dirk Jambor, zu zollen.
Worum geht's?
Vordergründig geht es darum, in Form einer Analogie ein überzeugendes Argument dafür zu bieten, weshalb Kurzzeit-Blindtests nicht funktionieren. Also eine Episode in der unendlichen Geschichte der Blindtest-Saga. Vielleicht war deswegen die öffentliche Resonanz gering. Umso besser, denn so konnte sich das Experiment besser entfalten. Dirk Jambor, recht angesehener und respektierter Teilnehmer des Forums Open-End-Music-Professional (ein Titel übrigens mit einer ganz hintersinnigen Ironie), startete dort dieses Thema mit einem Beitrag, in dem ein Stereogramm zu sehen ist, nebst einer kurzen Erläuterung und dem Statement: "So in etwa funktioniert das mit den typischen Kurzzeit BT und unter Stress."
Der geneigte Leser möchte sich vielleicht einen Überblick über die Diskussion in diesem Thema verschaffen, ehe ich hier weiter eindringe, vielleicht kommt er ja auch selbst auf die zweite Ebene hinter der vordergründigen Ebene des simplen Blindtest-Bashings. Es kann auch nicht schaden sich mit den Stereogrammen selbst ein wenig zu beschäftigen, wenigstens so weit bis man es geschafft hat wenigstens eins davon auch tatsächlich "in 3D" zu sehen.
Wer das hinter sich hat und bereit ist für die zweite Ebene, der lese jetzt hier weiter.
Die Stereogramme sollen ja ganz offen als eine Art Beweis durch Analogie fungieren, für eine These von der in besagtem Forum sowieso praktisch niemand überzeugt werden muß. Eine Predigt also an die schon Bekehrten, der Beweis für eine Selbstverständlichkeit, das Stürmen eines offenen Scheißhauses. Was so überflüssig aussieht ist feines Kalkül. Wohl wissend, wie dankbar die Leserschaft sein würde für solche Bestätigungen der eigenen Überzeugung (da schwingt ein wenig das Gefühl der diskussionsmäßigen Unterlegenheit gegenüber den "Technikern" mit), probiert Jambor aus, in wie weit solche Bedürfniserfüllung in der Lage ist, kritisches Hinterfragen auszuschalten. Und das ohne die reflexartige Abwehrhaltung zu produzieren, die bei Eingreifen des "Gegners" unvermeidlich gewesen wäre. Audiophile unter sich, und damit in ihren Reaktionen umso authentischer.
Gehen wir, die wir eine größere Distanz dazu haben, also einmal die explizit oder implizit gemachten Behauptungen durch und klopfen sie auf ihre Stichhaltigkeit ab.
Ein Beweis durch Analogie steht und fällt damit ob die Analogie tatsächlich gegeben ist, also ob ein Ding als Modell für ein anderes herhalten kann oder nicht. Jambor behauptet die Analogie zwischen Stereogramm und Kurzzeit-BT. Durch die ganzen Beiträge hindurch wird das nicht ernsthaft in Frage gestellt. Womit wird diese Analogie begründet?
Im Eröffnungsbeitrag stellt Jambor die analytische, konzentrierte Betrachtungsweise des Bildes, die nur ein 2D-Bild sichtbar werden läßt, gegen eine Betrachtung, in der man "endspannt" (sic) das Bild auf sich wirken läßt und dann vielleicht die 3D-Struktur entdeckt. Das ist die Message: Konzentration und analytisches Wahrnehmen (was gleich auch noch mit Stress assoziiert wird) verstellt den Blick für eine andere "Ebene", und nachdem der Kurzzeit-BT auf eben Konzentration und analytischem Wahrnehmen basiert, bleiben ihm prinzipiell bestimmte Aspekte der Wahrnehmung verborgen, es fehlt quasi die dritte Dimension. Nochmal Dirk Jambor: "Der klassische BT, wird nur dem etwas bringen, der den Leuten das 3D ausreden will ohne jetzt Person oder Befindlichkeiten aufzurollen. Wer die Wahrheit sucht, sollte es locker und humorvoll wie mit diesen Bilder sehen/hören."
Daß man entspannt sein müsse um die dritte Dimension der Stereogramme zu sehen wird dann auch von mehreren Teilnehmern teils euphorisch bestätigt. Doch wie ist es tatsächlich?
Nun, ein Stereogramm basiert darauf daß man nicht auf das Bild fokussiert, sondern daß man auf das Bild in der "richtigen" Weise schielt, daß also die beiden Augen ein jeweils zueinander verschobenes Bild sehen. Räumliches Sehen basiert ebenfalls darauf daß die beiden Augen ein unterschiedliches Bild sehen, aber nicht völlig unterschiedlich sondern geringfügig anders, so daß das Gehirn aus den kleinen Unterschieden die Tiefeninformation rekonstruieren kann. In den Stereogrammen nutzt man diese Fähigkeit des Gehirns aus, indem man ihm ein Bild vorsetzt das sich horizontal wiederholt, aber mit kleinen Unterschieden, die normalerweise nicht auffallen, aber genau so gestaltet sind daß sie im Sinne räumlichen Sehens interpretiert werden können. Dazu muß bloß der Blick so schielen, daß der richtige horizontale Versatz in den Bildern in beiden Augen entsteht. Mit Entspannung hat das nur insofern etwas zu tun als Vielen das unwillkürliche Schielen oder Defokussieren im Zustand der Entspannung leichter fällt. Hat man den "Dreh" aber einmal heraus, dann kann man das oft schneller ganz ohne Entspannung und mit Konzentration hinkriegen.
Ich selbst habe zum Beispiel eine Weile mit dem Smarties-Bild herumgeknobelt bis ich die richtige Distanz und "Schielstärke" gefunden hatte, aber seither kann ich es ohne große Probleme "aufrufen". Mit anderen Worten, wenigstens bei mir hat diese Effekt keine Verbindung mit Streß und Konzentration, im Gegenteil, ich habe den Eindruck daß ich - nachdem ich's einmal gelernt habe - durch Konzentration schneller dahin komme, den 3D-Effekt zu sehen. Es wäre interessant zu erfahren wie viele Andere die gleiche Erfahrung gemacht haben.
Ich wäre dagegen vermutlich auch bei größter Entspannung von selbst, ohne Tipp, nicht darauf gekommen wie das Bild zu betrachten ist, damit der 3D-Effekt auftaucht. Ich würde aufgrund der Beiträge im Thread das gleiche auch von den dortigen Teilnehmern vermuten. Praktisch alle scheinen dort eine mehr oder weniger genaue Anleitung gebraucht zu haben bevor sie "es" sehen konnten.
Es haut also etwas nicht hin mit dem Argument. Die Verbindung zum Stress und der Konzentration existiert so wie behauptet nicht, und wenn man etwas daraus folgern kann dann eher daß auch in diesem Fall Training hilft. Wie beim Kurzzeit-BT. Ergo: Eine Bestätigung des Blindtests, und keiner hat's gemerkt. Denn auch der Blindtest soll ja nicht die Fähigkeit abtesten, etwas völlig unbekanntes ohne Anleitung spontan finden zu können, sondern man interessiert sich dafür ob jemand unter Verblindung etwas kann was er zuvor unverblindet schon konnte. Die Analogie wäre also eher so daß ein Stereogramm-Blindtest jemandem, der Stereogramme kennt, ein neues Stereogramm vorsetzt und ihn probieren läßt ob er es "entschlüsseln" kann. Ich würde sagen die Chancen stünden nicht schlecht das er es könnte.
Vielen erzähle ich damit nichts Neues, aber ich finde es bemerkenswert wie es Dirk Jambor, ein mit Blindtests erfahrener Mann, hier geschafft hat die versammelte Runde so vollständig von der Stichhaltigkeit eines unsinnigen Argumentes zu überzeugen, und jeden Antrieb zum Hinterfragen schon im Ansatz ausgeschaltet hat. Eine eindrucksvolle Demonstration der Macht des Wunschdenkens. Jeder dort im Thema Mitdiskutierende wünschte sich ein gutes und wirkungsvolles Argument gegen Blindtests, und wenn dann eines angeboten wird, ist man dafür so dankbar daß man die Kritikfähigkeit direkt an der Garderobe ablegt. Besonders wenn man es so klar und eindeutig als Kampfmittel gegen den gemeinsamen Gegner anpreist wie es Jambor tut: "Sollte man jedem Techniker, Physiker und Mathematiker verordnen."
Nebenbei: Er wußte natürlich nur zu gut daß dieses Verordnen bei den Technikern etc. nicht gut funktionieren würde, denn es fehlt ihnen die Sehnsucht nach einem guten Argument gegen Blindtests, und damit wäre die Gefahr zu groß daß jemand tatsächlich anfängt, die Argumentation zu hinterfragen. Aber als Zuruf an die versammelten Audiophilen wirkt es natürlich wie Balsam: Wenn die Techniker sich nur einmal unserer Erlebnisfähigkeit öffnen könnten, dann würden sie zweifellos überzeugt sein.
Es ist so genial und so überzeugend vorgetragen, daß man geneigt sein könnte zu denken, Jambor glaube das wirklich alles auch selbst. Es ist ein Genuß, einen solch begnadeten Experimentator am Werk zu sehen.
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