Sonntag, 15. März 2009

Die audiophile Kränkung

Seit Sigmund Freud 1917 ein bißchen zu großspurig von den drei großen Kränkungen der Menschheit schrieb hat es immer wieder Leute gegeben, die der Liste weitere "große" Kränkungen hinzugefügt haben. Ein gewisser Hang zur Numerologie ist dabei recht auffällig, denn anscheinend muß es immer eine "magische" Zahl von Kränkungen sein, wie z.B. drei, vier, sieben, zehn oder zwölf. Gerhard Vollmer schreibt zum Beispiel von den sieben Kränkungen, obwohl er im Text dann je nach Zählung neun oder zehn Kränkungen erwähnt. Sieben fand er wohl irgendwie besser für die Überschrift. Über sieben Brücken mußt Du gehn, sieben Kränkungen überstehn, lalala.

Für mein Blog würde sich aus naheliegenden Gründen die "teuflische Zahl" Dreizehn empfehlen (auf 666 Kränkungen zu kommen ist mir zu anstrengend). Der Einfachheit halber lege ich daher die zwölf Kränkungen aus dem Manifest des evolutionären Humanismus zugrunde, dann brauche ich bloß noch eine Kränkung hinzuzufügen, nämlich die meiner Mentalität am besten entsprechende "Audiophile Kränkung".

Die audiophile Kränkung besteht darin, daß das narzisstische Selbstbildnis des Audiophilen, in dem er sich überragende und objektive Hörfähigkeiten bescheinigt, durch wissenschaftliche Erkenntnisse und neutrale Hörtests immer wieder aufs gröblichste verletzt wird. Der Audiophile steht nicht im Zentrum des Universums (Kopernikus), er steht auch nicht an der Spitze aller Lebensformen (Darwin), ist dazu noch nicht mal der Herr im eigenen psychologischen Haus (Freud), und jetzt soll er auch noch Dinge hören die's gar nicht gibt (pelmazo). Was bleibt dann noch übrig? Wofür lohnt es sich noch zu leben?

Es zeigt sich hier wieder auf das Deutlichste daß Wissenschaft eigentlich die Beschäftigung von Sadisten ist. Die Wissenschaftler lieben es, der Welt die unwillkommenen Wahrheiten um die verstopften Ohren zu hauen, und weiden sich daran wie sich die derart Beglückten winden und schlängeln, um die Konsequenzen aus diesen Wahrheiten nicht ziehen zu müssen. Besondere Glücksgefühle empfindet der Wissenschaftler-Sadist und Klugscheißer wenn er dem Opfer am Ende einer Serie erfolgloser Ausweichmanöver sein verächtliches "ich hab Dir's gleich gesagt, aber Du wolltest es ja nicht hören" reindrückt. Siehe zum Beispiel die Klimadebatte. Wartet erst mal ab wie's zugeht wenn demnächst mal unvorhersehbarerweise das Erdöl alle ist. Wie viele Klugscheißer man da wird ertragen müssen die das schon immer gesagt haben wollen.

Wenn man schon nicht im Zentrum des ganz großen Universums stehen kann, dann kann man sich immer noch sein eigenes ganz privates Universum erschaffen, in dem man im Zentrum steht. So mache ich es hier mit meinem Blog, und auch der Audiophile erschafft sich sein eigenes Klanguniversum, in dessen Zentrum er herrscht, und keinen Zweifel über sich kommen läßt. Und er erschuf seine Kette und hörte daß es gut war. Bis sich vielleicht irgendwann herausstellt daß es nicht so hundertprozentig gut war und eine Sintflut oder ein Sodom und Gomorra nötig wird, um die Kette zu optimieren. Um das Letzte herauszuholen beauftragt er gelegentlich einen Propheten, der der Schöpfung hier und da ein Tuning angedeihen läßt.

Der Audiophile ist so lange unangefochtener Herrscher in seinem Universum, so lange er allein über den Klang entscheidet. Was gut ist und was nicht muß dem Zugriff von Außen, von Apparaten und von Theorien, entzogen sein. Audiophil ist man nur wenn man über die Meßbarkeit erhaben ist. Der Grundsatz audiophilen Glaubens, daß das menschliche (bzw. das audiophile) Gehör jedem Meßgerät überlegen ist, ist daher keine Erfahrungstatsache oder Schlußfolgerung aus irgendwelchen Beobachtungen, sondern er ist das Basisdogma und damit das zentrale Fundament der Audiophilie. Audiophilie ohne den Glauben an die Überlegenheit des Gehörs wäre so wie Christentum ohne Christus. So wie der Christ weiß daß Christus existiert hat (und existiert), so weiß der Audiophile daß sein Gehör jeder Meßtechnik überlegen ist, und wenn er auch sonst nichts von der Meßtechnik versteht.

So wie jeder Christ instinktiv spürt das er ohne Christus seinen ganzen Glauben in der Pfeife rauchen kann, so spürt der Audiophile, daß seine Audiophilie hinfällig wird, wenn sich sein Gehör als fehlerhaft, willkürlich und unberechenbar erweist, einem schnöden Apparat unterlegen. Die Bemühungen von Wissenschaftlern, mehr darüber herauszufinden, werden daher so lange begrüßt, so lange kein Risiko besteht daß das Fundament zum Schwanken gebracht wird. Bei Jesus wird jede Entdeckung begrüßt, die die biblische Legende stützt, aber wenn mal jemand anfängt an seiner historischen Existenz zu zweifeln, oder an seiner Auferstehung, dann ist der Spaß vorüber und der Nerv blank (siehe z.B. Gerd Lüdemann). Auch der Audiophile beklagt gern daß man über das Gehör noch viel zu wenig wisse und es noch viel zu forschen gebe, und ignoriert darüber völlig alles das was man schon weiß, speziell wenn es an diesem Bild der Überlegenheit rüttelt. In beiden Fällen gibt es Tabuzonen, Bereiche in denen die Wissenschaft nichts zu suchen hat, aus denen man sie am liebsten für immer aussperren würde, um das "Mysterium" zu bewahren. Wobei das Mysterium letztlich für den eigenen Narzissmus steht, auch wenn viele Audiophile darin gerne ihre eigene angebliche Genußfähigkeit und Emotionalität verherrlichen.

Die aufeinanderfolgende Reihe der Kränkungen hat man mit einer Sägezahnkurve verglichen, wo dem Absturz aufgrund einer kränkenden wissenschaftlichen Entdeckung eine Erholung folgt, bei der sich das narzisstische Ego wieder stabilisieren kann und sich mittels Ausweich-, Verdrängungs- und Verarbeitungstricks mit der neuen Lage arrangiert, bis die nächste grundlegende Entdeckung den nächsten Absturz hervorruft. Immer scheint es aber erstaunlich lange zu dauern, bis sich so etwas wie eine Akzeptanz der Entdeckung auch bis in alle Nischen fortgepflanzt hat. Man bedenke daß die letzten Ausläufer der Überzeugung, die Erde sei flach und nicht kugelförmig, noch bis weit in das 20. Jahrhundert zu verfolgen sind, als bereits Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen wurden. Wir können also gerade einmal knapp behaupten daß die erste Kränkung, die mit dem Namen des Kopernikus verbunden ist, obwohl sie weiter zurück reicht, heute als überwunden und verarbeitet gelten kann. Schon bei der zweiten Kränkung, mit Darwin's Namen verbunden, sind wir davon noch weit entfernt, obwohl die wissenschaftlichen Grundlagen dafür auf ähnlich sicherem Boden stehen wie bei Kopernikus, und obwohl seither 150 Jahre Zeit zur Gewöhnung war.

Ich will daher gar nicht spekulieren wie lange es wohl dauern wird bis die Menschheit auf breiter Front eingesehen hat, daß ihr Gehör "nichts taugt" (Ihr wißt wie ich's meine...), und sich die Audiophilie so überlebt hat wie die Flat Earth Society. Ich nehme nicht an daß ich das erleben werde. In der Zwischenzeit wird es ein zähes Rückzugsgefecht geben, aber rückwärts wird es für Audiophile auf jeden Fall gehen, wie immer wenn man seinen Glauben an das heftet was die Wissenschaft (angeblich) noch nicht weiß. Gerhard Vollmer schrieb 1994:
Wenn Wert und Stolz des Menschen darin liegen oder darauf gründen, daß der Mensch etwas kann, was sonst niemand, was insbesondere keine Maschine kann, dann sind Wert und Stolz immer wieder aufs neue gefährdet. Hier wiederholt sich eine Argumentationsstruktur, die in der Theologie längst bekannt ist, ohne daß sie dort zu einem Abschluß gekommen wäre: Wer seinen Glauben an Gott auf das stützt, was wissenschaftlich nicht erfaßt, was insbesondere bislang nicht erklärt ist, der führt ein aussichtsloses Rückzugsgefecht.
So ein Rückzugsgefecht kann zwischendurch zwar durchaus auch mal einen Ausfall oder Gegenangriff beinhalten, aber von Dauer sind solche Erfolge nicht. Diesen Eindruck habe ich z.B. gegenwärtig bei dem scheinbaren Vormarsch der Evangelikalen mit ihrem antidarwinistischen biblischen Schöpfungsglauben, da sehe ich den Rückschlag schon kommen. Statt ihre eigene Ansicht weiter zu verbreiten haben sie einer breiteren Öffentlichkeit vorgeführt, wozu sie im Dienste der Aufrechterhaltung ihrer Illusionen fähig sind. Bei den Audiophilen sehe ich in wesentlich kleinerem Maßstab dasselbe.

5 Kommentare :

pelmazo hat gesagt…

Ich zensiere ja nicht gerne, aber ein Anonymus meinte hier den "Ehrenkodex" der Scientology als Kommentar hinterlassen zu müssen. Der ist eben wieder rausgeflogen. Wer den Scheiß unbedingt lesen will weiß auch wo er ihn finden kann, das braucht nicht auch noch mein Blog zu verunstalten.

Anonym hat gesagt…

Mich wundert grad wo denn der kleine vorstoß der esoterischen verdummung zu finden ist. Ich habe eher den eindruk man steht der sache immer kritischer gegenüber. Sogar mein örtlicher hi-änd endler verkauft nur noch mit den worten 'wenn sie es brauchen verkauf ich es ihen gerne'.

Anonym hat gesagt…

Palmazzo trifft wie immer den Nagel auf den Kopf. Neu ist mir, dass er ja auch durchaus
belesen ist. Ein Nachteil ist das nicht. Chapeau!

Dr. B. C. hat gesagt…

Das Ende des deutschen Hififorums

Die forenschwergewichtigen audiophilen Kränkungs-Apostel (bzw. die geistig dünnpfiffigen Audio-Rennpferde mit starker Neigung zum Rinderwahnsinn und vogelgrippiger Tendenzen) verlassen das sinkende technische Mutterschiff "hififorum.de" und ziehen sich auf die kleinen (vor längerer Zeit bereits "zu Wasser gelassenen") audiophilen (Dümpel-Foren-)Rettungsboote zurück.

Nun.

Rein theoretisch müßte das Gewicht dieser geballten, vom Mutterschiff flüchtenden schwergewichtigen esoterischen Dummheit AUCH DIESE kleinen audiophilen "Dummheits-Rettungs"-Forenboote in die Tiefe reißen.

Ja, theoretisch.

Aber:

Dummheit schwimmt (leider), weil sie ja "innen hohl" ist.

Verzweifelte Grüße an pelmazo und an die Freunde des gesunden Menschenverstandes

Christian Böckle

Der Kapitän:
"WIR SINKEN! ALLE IN DIE RETTUNGSBOOTE!
AUDIOPHILE, (Frauen und Kinder) ZUERST."

Es ist (und bleibt) ein Elend.

Anonym hat gesagt…

Alle lieben den Verrat, keiner liebt den Verräter

Pelmazo ist…

Wer aber, aus rechtlich relevanten Gründen wissen möchte oder muss, wer sich hinter dem Pseudonym "Pelmazo" verbirgt, bitte eine E-Mail an: s.h.i.m.leser@googlemail.com

Nach Überprüfung der Sachlage, gibt es den vollständigen Namen, die E-Mail, Namen der Arbeitgeber und für wen er so gearbeitet hat und sogar ein hübsches Bild.

Der anonyme, Anonymus :L

http://img10.abload.de/img/pelmazorgji.jpg