Vordergründig ist ein Brand eine Marketingkonstruktion, eine Fassade die man für die Kundschaft aufstellt. Der Kunde soll mit dem Brand bestimmte Assoziationen verbinden, und das Marketing arbeitet daran die gewünschten Assoziationen aufzubauen und zu pflegen. Diese Assoziationen sind im Wirtschaftsleben ein Wertgegenstand ersten Ranges, und wenn eine Firma den Besitzer wechselt ist nicht selten der "Brand" einer der größten Posten auf der Haben-Liste.
Die Firma als solche, also die dort arbeitenden Leute mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen, die Firmenkultur und -organisation, ist gar kein zentraler Bestandteil dieses Brand-Gedankens. Wer in Brands denkt ist geneigt die Firma dahinter für nebensächlich und austauschbar zu halten.
Nun gibt es in jeder Firma Jobs und Posten, die tatsächlich relativ leicht austauschbar sind. Firmen, deren Produkte nicht schwierig zu entwickeln und herzustellen sind, werden naturgemäß einen größeren Anteil an solchen Jobs haben als High-Tech-Firmen, deren Produkte vom Spezialwissen der Mitarbeiter abhängen.
Die HiFi-Branche ist eine der Branchen in denen das "Branding" eine sehr große Bedeutung hat. Das hat zum Teil damit zu tun daß es heute keine High-Tech-Branche mehr ist. Wie man ein Hifi-Gerät entwickeln und bauen muß, damit die Audio-Qualität für den größten Teil der Kundschaft ausreicht, ist im Grunde heute Elektronik-Allgemeinwissen. Außer in Marktnischen wird damit die Herstellung von Hifi-Geräten zum Marketing- und Kostenoptimierungs-Geschäft. Und das was sich High-End nennt ist oftmals von der Technologie und von der Audioqualität her noch niedriger angesiedelt, und noch stärker vom Marketing beherrscht.
Es war daher wohl folgerichtig und nicht bloß eine Manager-Mode als in den letzten drei Jahrzehnten viele traditionelle Audio-Firmen erleben mußten, was es bedeutet zum Brand zu werden. In Deutschland könnte man da Dual und SABA als einstmals bekannte und geschätzte Traditions-Firmen beispielhaft anführen, von denen schließlich nur noch der Name, also der Brand, übrig blieb und von Konzernen als "Asset" genutzt wurde, obwohl die Firma dahinter praktisch verschwunden war. Die Idee dahinter ist daß die Technologie einfach genug ist um erfolgreich auch in Billiglohnländern gefertigt zu werden, und es sich daher lohnt, die Assoziationen der Kundschaft bei der Brand-Wahrnehmung zu nutzen, während man gleichzeitig die Firma dahinter durch eine fernöstliche ersetzt. Das funktioniert immerhin so lange wie sich die Assoziationen noch nicht aufgelöst haben, mit anderen Worten bis die Kundschaft auf breiter Front gemerkt hat daß hier ein Etikettenschwindel vorliegt.
Bei Low-Tech-Produkten kann man diese Strategie mit noch am erfolgreichsten verfolgen, aber je mehr die speziellen Fähigkeiten konkreter Leute eine Rolle spielen desto weniger funktioniert es. Dennoch wird es immer wieder probiert, und man kann daraus ablesen welche Vorstellungen eine Manager-Kaste davon hat wie das "eigene" Geschäft funktioniert. Da graust es einem immer wieder. Nun ist es zwar anscheinend typisch menschlich wenn man meint, das wovon man nichts versteht könne ja wohl nicht so schwer sein, stimmen muß es aber noch lange nicht, auch nicht wenn es sich ein CEO einbildet. Was der Eine gut kann muß ein Anderer eben noch lange nicht genauso gut können, selbst wenn man ihm Zeit zum Üben läßt. Eine Produktionslinie, die man quer durch die Welt von A nach B verlagert kann in B ein voller Mißerfolg werden auch wenn's in A prima geklappt hat.
Ein aktuelles und haarsträubendes Beispiel dafür kann man im Falle Studer beobachten. Studer ist ein Teil dessen was früher mal Studer-ReVox war. Den älteren HiFi-Afficionados ist das noch ein wohlbekannter Name, mit dem damals im guten Sinn "High-End" verbunden wurde. Die schweizerische Traditionsfirma wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg von Willi Studer gegründet und wuchs im Laufe der Zeit auf über 1500 Beschäftigte. Neben den HiFi-Geräten, die unter dem Namen (Brand) ReVox verkauft wurden, produzierte die Firma auch Studiotechnik unter dem Namen Studer. Bekannt und geradezu legendär waren vor allem die Studer-Bandmaschinen und die Mischpulte.
Willi Studer verkaufte aus Altersgründen die Firma nach längerem Hin-und-Her 1990 an einen schweizerischen Konzern, die Motor-Columbus-AG, die heute im Alpiq-Konzern aufgegangen ist. Er wollte ausdrücklich die Einheit der Firma erhalten und dafür sorgen daß sie in schweizerischem Besitz blieb. Interessenten aus dem Ausland hätte es bei den bekannten Audio-Konzernen durchaus gegeben (z.B. Philips), aber Studer blieb patriotisch. Es hat ihm nichts genutzt, und er mußte mitansehen wie in kürzester Zeit seine ehemalige Firma geschrumpft und filetiert wurde. Motor-Columbus hatte als Energie-Konzern keinerlei Bezug zum Audiogeschäft. Es waren die Zeiten als es Manager-Mode bei Konzernen war, zu "diversifizieren". Der Daimler-Konzern diversifizierte z.B. mit Dornier, AEG, Fokker, MBB etc. in den Flugzeugbau und die Elektrotechnik, was saftige Verluste produzierte. Mannesmann diversifizierte in Richtung Telekommunikation und Maschinenbau, und ist heute verschwunden bzw. in anderen Firmen aufgegangen. Mitte der 90er Jahre war dann die Mode das Gegenteil: Konzentration auf's Kerngeschäft. Studer war 1994 in zwei unabhängige Teile geteilt, die beide in ausländischer Hand waren: ReVox mit dem Hifi-Geschäft gehörte einer Investorengruppe in Luxemburg, und Studer mit dem professionellen Audiogeschäft war an den amerikanischen Harman-Konzern verkauft, zu dem die Firma noch heute gehört. Es muß für Willi Studer der reine Horror gewesen sein.
Studer hat seither das Geschäft mit Bandmaschinen ganz aufgegeben, und konzentriert sich heute auf digitale Mischpulte für den Rundfunk und für die Studioausstattung. Die Firma ist auf etwa 100 Mitarbeiter geschrumpft was schon ein gewaltiger Aderlaß ist, hat aber in den letzten Jahren ordentliche Geschäfte gemacht und steht im Markt nicht schlecht da. Mit einem anderen Harman-Brand, Soundcraft in England, wurden die Beziehungen nach und nach enger geknüpft, was angesichts unterschiedlicher Firmenkulturen nie wirklich harmonisch war. Soundcraft macht zwar ebenfalls Mischpulte, aber vor allem für Live-Anwendungen bei Konzerten und in Clubs, und betätigt sich erst seit relativ kurzer Zeit verstärkt im digitalen Bereich, während das Hauptgeschäft traditionell bei analogen Mischpulten lag.
In jüngster Zeit hat sich das dergestalt entwickelt daß aus beiden Firmen eine gemeinsame Business-Einheit wird. Bei Entwicklung und Produktion wird kooperiert, so wurde die Vi-Serie von Soundcraft-Mischpulten von Studer entwickelt, und bei Soundcraft werden Baugruppen für Studer gefertigt. Der Entwicklungsleiter und weiteres Management ist beiden Firmen gemeinsam. Studer und Soundcraft, so sieht es aus, werden zu zwei Marketing-Namen, die Produkte kommen letztlich aus einer anonymen Einheit.
Die Schweizer ziehen dabei offenbar den Kürzeren. Seit einigen Wochen ist Studer in offener Rebellion gegen die Entscheidung, die verbleibende Produktion vollends nach England zu verlagern, was einem Drittel der Belegschaft den Job kostet und die Firma zu einer voll abhängigen Entwicklungsabteilung werden läßt.
Das ist bitter, und zwar gleich aus mehreren Gründen:
- Studer produziert im Gegensatz zu Soundcraft schwarze Zahlen, was nicht ganz zu Unrecht den Verdacht erweckt daß hier eine Manager-Riege eigene Fehler zu Lasten derjenigen ausbügeln will, die gut gewirtschaftet haben.
- Studer allein ist umso weniger wert je mehr es von anderen Harman-Teilen abhängt, und ist daher auch umso schwieriger aus dem Harman-Konzern herauslösbar.
- Die Produktion und die Entwicklung 1000 Kilometer voneinander enfernt anzusiedeln ist bei komplexen Produkten mit niedriger Stückzahl eine Schnapsidee. Die Einsparungsmöglichkeiten stehen in keinem Verhältnis zu den Kommunikationsschwierigkeiten und den Verzögerungen die man sich damit einhandelt. Bei so einem technologisch komplexen Geschäft ist ein einfacher und direkter Kontakt zwischen Entwicklung und Produktion wesentlich, wenn nicht sogar marktentscheidend.
- Studer-Produkte werden nicht einfach in Kisten verpackt und verkauft. Der Kunde will bei solchen Produkten kein Gerät, sondern ein System, bzw. eine Problemlösung kaufen, und damit braucht es ein ganz anderes Verhältnis zwischen Kunde und Lieferant. Das kann man nicht in dieser Form auf eine ausgelagerte Produktion ausdehnen.
- Soundcraft hat in der Vergangenheit stark in eigene moderne Produktionsanlagen investiert und Mühe gehabt diese auszulasten. Inzwischen läßt man immer größere Teile des eigenen Produktprogramms in China fertigen, was dazu führt daß sich die Produktionsanlagen noch weniger rechnen. Anscheinend will man Studer dazu zwingen dieses Loch zu stopfen, weil man nicht eingestehen will daß man damals falsch entschieden hat.
Wenn das so weiter geht wird auch Studer bald zu den Firmen gehören, die nur noch als Brand im Portfolio eines Konzerns existieren, hinter dem keine reale, abgrenzbare, charakteristische, menschliche Struktur mehr steht. Eine leere Firmenhülse, deren Namen man noch als Aufkleber auf bestimmte Produkte drauf pappt.
Für Harman ist so etwas nicht ganz neu. Man braucht sich für einen Eindruck bloß deren Webauftritt ansehen. Da ist ganz ausdrücklich von Brands die Rede. Eine Firma, viele Brands, so sehen sei sich auf der oberen Management-Ebene gerne. Ein Denken in Etiketten. Menschen sind "Human Resources", gewachsene Traditionsfirmen sind "Brands", Entlassungen sind "Synergieeffekte".
Auch Harman war mal eine Firma, bevor sie zu einem Konzern wurde. Auch dort gab es eine Gründerfigur in Sidney Harman, die sich inzwischen vom Geschäft verabschiedet hat. Das Zepter schwingen dort nun Leute, die keine Wurzeln im Audio-Business haben. Siehe die Lebensläufe der Top-Manager, wie man sie auf der Webseite findet. Der oberste Chef ist da erst seit zwei Jahren, der Chef des Bereiches "Professional" ist seit 2001 dort. Astreine Karrieristen-Lebensläufe von Leuten, denen es relativ wurscht ist ob ihre Firma Audiogeräte oder Getriebe oder Fruchtsaft herstellt. Hauptsache der Bonus stimmt, siehe z.B. hier oder hier.
Es sieht nicht gut aus für Studer.
P.S.: Ein paar interessante Hintergrundinformationen in Sachen Harman gibt's hier, hier, hier, hier und hier und noch ein CEO-Kurzinterview.