Der weitaus stärker verbreitete Umgang mit diesem Problem bedient sich daher der Begriffsbesetzung. Man versucht, den Begriff so umzuerklären daß sein guter Klang nicht verloren geht, sein Inhalt aber verbogen und verwässert wird bis zu dem Punkt wo man zu den gewünschten Machtverhältnissen kommt.
So z.B. die vor 20 Jahren verblichene DDR. Das war ein angeblich demokratischer Staat in dem das Volk de facto nichts zu sagen hatte, außer es entsprach zufällig dem was die Staatsführung ohnehin gut fand. Demokratie stand auf der Schachtel drauf, innen drin war Diktatur. Eine Mogelpackung.
Ich gebe zu daß ich diese Taktik noch abstoßender finde als eine offene Diktatur. Es ist nicht nur unterdrückerisch, es ist dazu auch noch verlogen. Die positive Kehrseite der Medaille ist aber, daß es auf eine selbstbewußtere und besser informierte Masse hindeutet wenn man zu dieser Lüge zu greifen sich bemüßigt fühlt. Ein Staatswesen das sich mit solchen Lügen etikettiert ist daher schon von vorn herein schwächer als eines, das geradeheraus als Diktatur auftritt. Die Lüge zeigt im Grunde daß sich die Diktatoren über ihre relative Schwäche im Klaren sind.
Wenn man so auf der Welt herumguckt findet man problemlos weitere Beispiele dafür. Wenn z.B. die iranischen Machthaber sich ihrer Sache so sicher wären würden sie keine Wahlen veranstalten und die dann fälschen. So etwas macht man bloß weil das Volk zu gut Bescheid weiß und zu selbstbewußt ist als daß es sich direkt einer Diktatur unterwerfen würde. Man versucht also, ihm etwas zu verkaufen wo Demokratie draufsteht, aber keine drin ist. Offen entmündigen läßt sich das Volk nicht mehr, also versucht man's zu verarschen. Bloß ist's von da aus auch nicht mehr weit bis sich das Volk auch nicht mehr so einfach verarschen läßt.
Aber natürlich geht's in meinem Beitrag hier nicht eigentlich um Demokratie sondern um Blindtests, und es wird Zeit daß ich in meiner bekannt demagogischen Art nach dieser gewichtigen Einleitung den Bogen zurück zum Thema spanne. Ich finde da nämlich interessante Analogien.
Bei den Blindtests hat es eine Weile lang so ausgesehen als suchten die Gegner ihr Heil darin, Blindtests als prinzipiell untauglich für das Feststellen kleiner Details darzustellen. Oder alternativ als völlig irrelevant für das Hobby Hifi. Aber diese pauschale Verteufelung scheint nicht recht fruchten zu wollen, die Anhängerschaft solcher Fundamentalopposition scheint sich auf eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Hardcore-Audiophilen zu beschränken, und sie läßt sich nicht so einfach vergrößern.
Wie die Demokratie ist eben auch der Blindtest eine im Grunde bestechende Idee. Wer wirklich am Hören und nur am Hören interessiert ist, und dafür belastbare Erkenntnisse sucht, der muß eben störende Fremdeinflüsse ausschalten, egal ob sie durch andere Sinne, durch Psychologie oder durch ungleiche Randbedingungen verursacht sind. Da kann man nicht wirklich dagegen sein ohne sich verdächtig zu machen.
Unter diesen Umständen scheint sich ein Strategiewechsel zu vollziehen. Man setzt anscheinend vermehrt darauf, den Begriff für sich zu besetzen. Es mehren sich Leute die quasi im Vorbeigehen erwähnen, sie würden Blindtests regelmäßig, als Teil ihrer Arbeit, durchführen. Die Message dabei ist: Leute, der wirkliche Blindtest-Experte bin hier ich, ich mach das praktisch dauernd. Wenn man es nur richtig macht, dann funktionieren Blindtests auch, und die ganzen Unterschiede kommen zum Vorschein von denen die Abstreiter nichts wissen wollen.
Und wenn man dann näher untersucht was das ist was einem da als Blindtest angeboten wird, dann findet man eine groteske Karikatur eines Blindtests, die seriösen Kriterien nicht einmal ansatzweise standhält. Man baut einfach drauf daß das Publikum mit der Behauptung zufrieden ist und nicht in die Schachtel hineinguckt, auf der in großen Buchstaben steht: Der wahre Blindtest.
Letzes Jahr habe ich z.B. über die großen Drei geschrieben, wo es um drei Kommentare von Hifi-Zeitschriften ging, und die Stereoplay behauptete ja damals ausdrücklich, daß sie Blindtests Monat für Monat durchführten und auch "bestehen". Sie lassen sich über ihre Testmethoden nicht im Detail aus, aber es ist wohl auch so klar daß sie nicht annähernd den Kriterien entsprechen die an seriöse Blindtests zu stellen sind. Das wäre in dieser Form gar nicht leistbar. Ohne eine entsprechende Dokumentation kann man ja auch viel erzählen wenn der Tag lang ist.
Für Nachvollziehbarkeit zu sorgen kann dabei nicht in ihrem Interesse sein. Was nicht bekannt ist läßt sich schlecht im Detail bewerten und kritisieren. Wenn man das Feindbild passend aufgestellt hat, dann hat man damit auch den Vorwand dafür, sich dem gar nicht erst zu stellen. Das wissen auch die Politiker. Externe Wahlbeobachter z.B. werden in der Regel mit ähnlichen Argumenten abgelehnt. Die sind eben von vorn herein feindlich gesinnt, man ist denen nicht Rechenschaft schuldig, weiß selber besser wie Demokratie (oder eben ein Blindtest) funktioniert.
Ähnlich ist's auch mit einem vor kurzem veranstalteten Test, über den's im Österreichischen Hifi-Forum mehrere Threads gibt. Wieder die gleiche Masche: Jemand behauptet daß seine "Art" der Blindtests die bessere bzw. richtige Art sei, liefert gleich die passende Abgrenzungs-Rhetorik mit, mit der man sich um genauere Nachprüfungen herumdrücken kann, und kümmert sich ansonsten so gut wie gar nicht darum, was das "Blind" in einem seriösen Blindtest eigentlich bedeutet.
Es ist ein interessanter Sport: Wie weit kann ich den Begriff Blindtest demontieren bevor es zu sehr auffällt und ich zurückgepfiffen werde? Anders gefragt, welche Kriterien oder Methoden eines seriösen Blindtests stehen dem von mir gewünschten Ergebnis entgegen, und komme ich damit durch sie einfach wegzulassen oder rebelliert dann das Volk?
Bei demokratischen Wahlen steht zum Beispiel dem gewünschten Ergebnis oft entgegen daß das Volk den Falschen wählt. Dem kann man auf verschiedene Weise begegnen, ohne daß man die Wahlen als solche gleich abschafft:
- Man läßt nur solche Parteien zur Wahl zu die einem genehm sind. Im Idealfall bloß die Eine, aber es sieht oft besser aus wenn es mehrere sind die letztlich gleichgeschaltet sind.
- Man macht die Wahl öffentlich und sorgt für psychologischen Druck indem man seine Sympathisanten öffentlich ihre Stimme abgeben läßt.
- Man macht die Auszählung und/oder die Auswertung geheim oder undurchsichtig, und manipuliert das Ergebnis zu seinen Gunsten.
- Man erklärt eine Wahl für ungültig wenn sie das falsche Ergebnis gebracht hat. Dafür kann man vorsorgen indem man eine gewisse Anzahl an problematischen Vorkommnissen insgeheim während der Wahl selber provoziert.
- Man hindert "problematische" Wähler daran, ihr Wahlrecht auszuüben. Von plumper Bedrohung bis hin zu subtilen Benachteiligungen gibt es dafür eine breite Palette an Möglichkeiten.
Das kann man auch prägnanter sagen: Wenn man sich nicht an die Regeln hält kann man's auch gleich sein lassen. An alle Regeln!
Wie bei der Demokratie und ihren Wahlen sind die Regeln aus der Erfahrung mit Mißbrauch geboren. Sie sind eben keine Schikane um ein unerwünschtes Ergebnis zu erzwingen, sondern sie sind dazu da um den Mißbrauch so weit es geht einzudämmen. Wer diese Regeln aushebeln will, bei dem kann man davon ausgehen daß er genau diesen Mißbrauch auch im Schilde führt.
Bei Blindtests gibt es eine Anzahl geradezu "klassischer" Mißbrauchsversuche:
- Man sorgt nicht für Transparenz bei der Auswertung, so daß niemand nachvollziehen kann wie das Endergebnis zustande kam. Man ist darauf angewiesen den Angaben zu vertrauen.
- Man sorgt nicht für ausreichende statistische Relevanz, so daß man zufällige Ergebnisse als Erfolg verkaufen kann. Meist wird das kombiniert damit daß man unter vielen Versuchen die wenigen herauspickt die für einen Erfolg zu sprechen scheinen, und läßt die anderen unter den Tisch fallen. Besonders für den statistisch unbedarften Laien sieht so Zufall schnell aus wie ein Beweis.
- Man sorgt nicht für ausgeglichene Versuchsbedingungen. Sei es daß man Pegel nicht ordentlich abgleicht, oder daß man verräterische Details im Material beläßt (Umschaltklicks, Zeitdifferenzen, etc.), oder daß man eine für bestimmte Kandidaten unvorteilhafte Umgebung schafft.
- Damit zusammenhängend: Man sorgt nicht für zuverlässige Verblindung. Man muß alle Möglichkeiten ausschließen wie jemand durch "Fremdeinflüsse" eine Entscheidung treffen kann. Egal ob das durch Sehen passiert oder durch welche Informationskanäle das Vorwissen zustande kommt.
Wenn der Fremdeinfluß unbeabsichtigt war und im Ausmaß begrenzt, dann kann das Ergebnis trotzdem gelten. Eine Wahl wird auch nicht bei jedem kleinen Fehler für ungültig erklärt. Es muß jemand bewerten ob eine Chance gegeben ist daß der Fehler den Wählerwillen signifikant verfälscht hat. Beim Blindtest muß man bewerten ob ein Verblindungsmangel das Ergebnis signifikant verfälschen hätte können oder nicht. Wenn Regeln ganz bewußt außer Kraft gesetzt werden um so etwas zu ermöglichen, dann ist auf jeden Fall Vorsicht am Platz. Besonders wenn die begleitende Rhetorik wie in den erwähnten Fällen so eindeutig ist.
Wie bei der Demokratie auch ist es letztlich das Volk, das die Kontrolle ausübt. Mangels stringenter Beweismethoden kommt es darauf an, daß das Ergebnis plausibel ist, und daß es unter glaubwürdigen Umständen zustande gekommen ist. Man braucht nicht bei allen Auszählungen einer Wahl dabei gewesen zu sein, um ein Gefühl dafür zu kriegen ob es dabei im Großen und Ganzen mit rechten Dingen zu ging. Bei Blindtests empfehle ich die gleiche auf gesundem Menschenverstand basierende Herangehensweise. Wenn auf der Schachtel Unglaubwürdiges angepriesen wird, guckt man eben hinein.