Montag, 28. Februar 2011

Gorilla-Blindheit

Ich wundere mich seit geraumer Zeit wieso der unsichtbare Gorilla eine so große Rolle in Blindtestdiskussionen spielt. Inzwischen finde ich aber einen gewisse, hintersinnige Relevanz darin: Die Diskussion selbst (und nicht der Blindtest) ist nämlich ein Beispiel wie diese "Unaufmerksamkeitsblindheit" praktisch genutzt werden kann.

Aber der Reihe nach.

Im Zusammenhang mit Blindtests scheint das Argument zu sein, daß Unaufmerksamkeitsblindheit dafür verantwortlich sein könnte daß die Tester manche Dinge nicht hören von deren Hörbarkeit sie überzeugt sind. Und daß es sich dabei auch durchaus um sehr deutliche und eigentlich offensichtliche Dinge handeln kann. Das sekundäre Argument ist deshalb, daß aus der Tatsache, daß in einem Blindtest etwas nicht gehört wurde, nicht geschlossen werden kann, daß der Effekt nicht vorhanden oder allenfalls sehr klein gewesen sein kann. Es könnte, so die Analogie, ein akustischer Gorilla gewesen sein, der einem da durch die Lappen gegangen ist.

Dieses Argument hat den Charakter einer "Deepity". Es gibt eine eher offensichtliche und auch offensichtlich richtige Bedeutungsebene, die aber recht trivial ist. Und es gibt eine tiefere Bedeutungsebene, die alles andere als offensichtlich oder gar offensichtlich richtig ist.

Schon klar: Die Konzentration auf eine Sache verbessert zwar die Fähigkeit, diese Sache zu entdecken, aber vermindert gleichzeitig die Fähigkeit, eine ganz andere, unerwartete Sache zu bemerken. Letztlich ist das ganz einfach das Wesen der Konzentration. Man konzentriert sich ja nicht einfach ganz allgemein, sondern man konzentriert sich auf etwas ganz Bestimmtes. Das ist gewollt, exakt deswegen konzentriert man sich ja.

Im Grunde wußten wir das auch schon vor den Gorilla-Videos. Man wundert sich bei aller Selbstverständlichkeit höchstens wie groß ein Objekt oder ein Effekt werden kann und trotzdem noch unbemerkt bleibt.

Der Zusammenhang mit den Blindtests ist allerdings eher fragwürdig. Ich finde wer dieses Argument auf sie anwendet hat nicht recht verstanden wofür Blindtests eigentlich da sind.

Niemand würde Blindtests veranstalten um bisher unbekannte Effekte zu finden. Man testet ja gerade deswegen blind um die Konzentration zu fokussieren und alle sachfremden Einflüsse so gut es geht auszuschließen. Schon die Vorstellung, das sei irgendwie gegen die Hörtester gerichtet, also eine Art Schikane, ist eigentlich ein Blödsinn. Der Ausschluß dieser sachfremden Einflüsse macht das Ergebnis außerdem glaubwürdiger, ich hoffe ich muß nicht mehr ausführen wieso.

Mit anderen Worten, die Konzentration ist beim Blindtest ausdrücklich erwünscht, und zwar in vollem Bewußtsein daß dadurch auch Unaufmerksamkeitsblindheit auftreten kann. Der Effekt nach dem man sucht muß wenigstens in Form einer Hypothese vor dem Test bekannt sein, und man muß die Testgestaltung und die Auswahl des Testmaterials daran ausrichten. Das Ergebnis bestätigt dann diese Hypothese oder eben nicht.

Wer nach bisher unbekannten Effekten sucht, sollte daher erst einmal eine testbare Hypothese entwickeln, bevor diese dann in einem Blindtest untersucht werden kann. Und er sollte sich vorher überlegen wie Test und Testmaterial aussehen müssen, um die besten Aussichten zu haben daß der Test ein aussagefähiges Ergebnis liefert.

Ich finde daher daß bei genauerer Betrachtung das Gorilla-Argument alles andere als angemessen ist, wenn es um Blindtests geht. Es offenbart ein verkehrtes Blindtest-Verständnis.

Wenn ich mir allerdings ansehe wie die Blindtest-Diskussion läuft, mit welcher Hartnäckigkeit und Hysterie man da versucht, Blindtests zu diskreditieren, und bei gemachten Tests auch noch die absurdesten Argumente herauszieht, um sie in Zweifel zu ziehen, dann sehe ich den Gorilla an einer ganz anderen Stelle.

Der Gorilla, der sich so auffällig ins Bild drängt, und den man partout nicht sehen will, ist die Autosuggestion. Wenn man den schon nicht aus dem Bild herausbekommt, dann versucht man die Aufmerksamkeit auf irgendwelches Klein-Klein zu richten, damit man wenigstes so tun kann als wäre er nicht da. Um beim Gorilla-Video zu bleiben: Es wäre analog dazu daß man nicht bloß dauernd einen Ball im Kreis herum spielt, sondern darum auch noch ein möglichst großes Spektakel macht. Und sobald man merkt, daß jemand in Richtung Gorilla guckt, spielt man ihm unter großem Tamtam einen Ball zu damit er erstmal abgelenkt ist.

Das kann schon ein gültiges Argument sein, das man da in die Runde wirft, wie z.B. die durchaus sinnvolle Diskussion der Frage, welche Schlußfolgerung man aus einem gemachten Test ziehen kann und welche nicht. Oder auch die Feinheiten der Statistik kann man sinnvollerweise diskutieren. Mir ist bloß der Ablenkungseffekt dieser Nebendiskussionen ein bißchen zu offensichtlich als daß ich dahinter reine und lautere Ziele voraussetzen kann. Es gibt schon auch Mäuse, und sie sind nicht immer unbedeutend, aber man sollte sie nicht zum Gorilla aufblasen um den wirklichen Gorilla zur Maus schrumpfen zu lassen.


Für Kommentare gibt's den bekannten Thread im Hifi-Forum.