Donnerstag, 21. Januar 2016

Mit Quatsch Angeln

Beim Angeln geht's bekanntlich darum, einem Fisch einen Köder vor die Nase zu halten, in der Hoffnung daß er den so geil findet, daß er darüber den Haken übersieht.

So ein Fall ist MQA. Die neueste Sau, die durch's audiophile Dorf getrieben wird. Die "Zukunft des Streaming" nennt es die Stereophile. Lavorgna meint sogar, MQA klinge besser als das Original, aus dem die MQA-Variante erzeugt wurde. Kann man Bullshit klarer vor Augen haben?

Die Szene tut sich allerdings immer noch schwer damit, zu verstehen was das überhaupt ist. Das ist nicht verwunderlich angesichts der recht vagen Informationen, die man dazu von Meridian zu lesen kriegt. Ich versuche mal zusammen zu stellen, was ich von der technischen Seite bisher glaube verstanden zu haben. Daraus wird allerdings schon ziemlich klar, worin der Haken besteht, der sich im Köder verbirgt. Es möge jeder Fisch selbst beurteilen, ob ihm unter diesen Umständen der Köder noch schmeckt.

Ein Aspekt von MQA, der relativ klar zutage liegt, ist seine Kompatibilität mit Abspielgeräten, die Stereo bei 48 kHz mit 16-bit abspielen können. Das sollten annähernd alle interessierenden Geräte sein. Das Distributionsformat selbst kommt zwar mit 24-bit Wortlänge daher, aber da sich die unteren Bits für ein normales Abspielgerät wie Rauschen verhalten, kann man es ohne Komplikationen abspielen, egal ob das Gerät die Wortlänge auf 16 bit reduziert oder nicht. Man muß nur den entsprechenden Rauschpegel akzeptieren, was weniger dramatisch ist als es vielleicht scheint, denn in Sachen Rauschpegel sind die meisten Produktionen sowieso nicht besonders anspruchsvoll.

In den "unteren" Bits, die wie Rauschen wirken, steckt aber zusätzliche Information, die ein spezielles Abspielgerät entdecken, decodieren und verwenden kann. Die zusätzliche Information soll speziell die zeitliche Auflösung verbessern, und damit Artefakte vermeiden helfen, die angeblich bei der Verwendung von 44,1 kHz oder 48 kHz Abtastfrequenz störend in Erscheinung treten können.

Um Zugang zu dieser zusätzlichen Information zu haben, muß man die MQA-Technologie lizensieren (als Hersteller) oder ein entsprechend ausgerüstetes Gerät haben (als Verbraucher). Damit verbunden ist auch eine Rechteverwaltung und entsprechende lizenzrechtliche Vereinbarungen. Natürlich muß die Quelle solche Informationen erst einmal enthalten, also mit MQA-Technologie erstellt worden sein. Außerdem darf keine Signalbearbeitung dazwischen geschehen sein, sonst wäre die Zusatzinformation zerstört. Es sei denn das bearbeitende Gerät ist selbst wieder MQA-kompatibel, so daß es die Information erkennt und bewahren kann. MQA verlangt also eine komplett MQA-konforme (und lizensierte) Signalkette, andernfalls ist man auf das 48 kHz Basisformat zurückgeworfen, dessen Qualität noch unter der einer gewöhnlichen CD liegt (weil weniger als 16 "effektive" Bits zur Verfügung stehen).

Wie das genau funktioniert mit der Verbesserung der zeitlichen Auflösung ist (mir) nicht so klar, aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig. Für den Anwender ist damit jedenfalls schon klar, worin der Haken besteht, der sich im Köder verbirgt: Es ist ein neuerlicher Versuch, eine Rechteverwaltung im Material unterzubringen, um damit kontrollieren zu können was der Endanwender mit dem Material machen kann. Zudem braucht es eine komplett MQA-kompatible Signalkette, was entsprechende Lizenzeinnahmen für Meridian nach sich zieht.

Damit wird deutlich, was dabei für Meridian heraus springen soll, und es läßt auch erahnen, warum das die Rechteinhaber des Quellmaterials interessant finden könnten. Weniger klar ist, warum das der Konsument gut finden soll.

Natürlich versucht man es über die Behauptung einer Qualitätssteigerung. Das ist nichts Neues, denn so wird seit Jahrzehnten jede Neuerung im HiFi-Bereich beworben, was nicht verhindert hat, daß die wahrgenommene Qualität der Musik-Veröffentlichungen wegen des Loudness-Wars immer schlechter wurde. Entsprechend oft sind solche angeblichen Verbesserungen auch wieder in der Versenkung verschwunden. Was die audiophilen Meinungsmacher nicht daran hindert, auf die gleiche Masche immer wieder hereinzufallen, und die Neuerung in den höchsten Tönen zu lobhudeln.

Im Grunde wird man bei MQA unweigerlich an die HDCD erinnert. Ähnlich wie bei HQA wurde dort zusätzliche Information in den niedrigen Bits kodiert, die ein lizensiertes Abspielgerät verstehen und verwenden konnte, um die Qualität zu verbessern. Für normale Geräte ist die zusätzliche Information einfach Rauschen. Die grundsätzliche Idee ist also uralt. Der Erfolg war bei HDCD ziemlich überschaubar. Der interessierte Leser möge mal recherchieren, in welchen hymnischen Worten damals (ist immerhin 20 Jahre her) die Qualität von HDCD besungen wurde. Ähnlichkeiten mit der Situation heute bei HQA wären nicht rein zufällig.

Nun ging es bei HDCD in erster Linie um die Vergrößerung der Wortlänge von 16 auf (so wurde behauptet) 20 Bit. Bei HQA steht demgegenüber die zeitliche Komponente im Vordergrund, also letztlich die Abtastfrequenz. Nun ist man ziemlich frei in dem was man in den "Rauschbits" unterbringt. Man kann damit die scheinbare Wortlänge (also den Dynamikumfang) zu vergrößern versuchen, oder den Frequenzumfang (was mit der "Zeitauflösung" gemeint ist), oder irgend etwas anderes. Das ist der Vorteil der Datentechnik, daß man den Bits eine beliebige Bedeutung geben kann.

Nun ist's also die Zeitinformation. Das passt zwar zum momentanen Output der audiophilen Hype-Maschine, wo solche zeitbezogenen Begriffe (ich schrecke davor zurück, es "Argumente" zu nennen) ziemlich Konjunktur haben. Es ist aber eben auch gefühliger Unsinn, der einer genaueren Betrachtung nicht standhält. Ich habe dazu schon Einiges hier im Blog geschrieben. Warum sollte es diesmal besser gehen als damals bei HDCD? Ich sehe keinen überzeugenden Grund.

Letztlich steht dahinter die alte Frage, ob die CD, bzw. das von ihr verwendete Format von 44,1 kHz bei 16 bit für ein Distributionsformat ausreicht, und wenn nicht warum nicht. Seit die CD kopierbar wurde ersehnen sich die "Rechteinhaber" heiß und inniglich den Tod der CD herbei, und ihren Ersatz durch irgend etwas, was ihnen das Gefühl zurück gibt, sie hätten die Kontrolle über das was der Verbraucher mit ihrem Produkt macht. Unzählige Versuche in diese Richtung, manche sehr dilettantisch, manche weniger, hat es seither in diese Richtung gegeben, und die CD hat alle überlebt, einschließlich daß man auf ihrem Image herumtrampelt so sehr man kann. Es sind eben nicht alle Verbraucher so blöd wie viele Audiophile, und wie es sich die "Industrie" wünscht.

Weil das die entscheidende, zugrunde liegende Frage ist, haben sich die Meridian-Leute ihr direkt gewidmet, nämlich in einem Vortrag auf der AES-Convention im Herbst des vorletzten Jahres. Darüber habe ich hier schon einmal geschrieben. Kurz gesagt: Sie haben nicht gezeigt, daß die CD nicht ausreicht, obwohl das weithin so interpretiert wurde. Diese Interpretation wollten sie offensichtlich erreichen, und in der leichtgläubigen audiophilen Szene ist ihnen das auch gelungen.

Die Marketing-Aktion geht aber weiter, nicht bloß in den entsprechenden Messen wie der High-End, oder kürzlich der CES in Las Vegas. Auch die wissenschaftlich orientierte Fachöffentlichkeit wird weiter bedient. So erschien z.B. im vergangenen Herbst im AES-Journal ein zweiseitiger Versuch von Bob Stuart von Meridian, "High-Resolution Audio" zu definieren. MQA wird nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber eindeutig gemeint.

Ich finde dabei insbesondere bemerkenswert, wie Stuart darin versucht, eine wissenschaftliche Anmutung (jede Menge wissenschaftlich klingende Prosa einschließlich Literaturverweise und scheinbare Fakten) mit ziemlich unwissenschaftlichen Assoziationen zu verbinden. Es ist ein Beispiel für Propaganda, spezialisiert auf das AES-Fachpublikum. Ich möchte hier nicht schließen bevor ich nicht ein paar wenige Beispiele dafür auseinander genommen habe.

Stuart vergleicht gleich zu Anfang den Begriff der Auflösung (Resolution) mit dem analogen Begriff der Optik. Das klingt plausibel, ist aber ausgesprochen unredlich. Die Art der Analogie, die er zu ziehen versucht, passt zwischen Bild und Ton eben gerade nicht. Im Bildbereich bezeichnet die Auflösung, wie er richtig schreibt, die Fähigkeit, zwei Objekte zu unterscheiden, die sich in großer räumlicher Nähe zueinander befinden. Würde man das auf den Ton übertragen, müsste man darunter die Fähigkeit verstehen, zwei Schallereignisse unterscheiden zu können, die sich in großer zeitlicher Nähe befinden. Das ist ein Problem, das die Psychoakustik schon seit langer Zeit untersucht hat. Das Ergebnis ist in keiner Hinsicht ein Argument für "High Resolution Audio", denn der zeitliche Abstand liegt im Millisekundenbereich, wozu man nun wahrlich kein HRA braucht.

Stuart spricht stattdessen diffus von "temporal microstructure in sound", und macht damit wenig mehr als das Bullshit-Wörterbuch der Audiophilie zu zitieren, ohne dem eine klare Bedeutung zu geben. Der Bezug zu einer konkreten Abtastfrequenz wird nirgendwo stringent abgeleitet oder auch nur plausibel argumentiert. Die ganze Analogie zum Bild bricht damit in sich zusammen. Es ist kein wissenschaftliches Argument, sondern ein Appell an die Vorstellung.

Es spricht auch nicht für ihn, daß er den schon oft widerlegten Fehler wiederholt, aus der Bandbreite eines einzelnen Kanals eine zeitliche Auflösungsgrenze abzuleiten, die nur scheinbar mit der relativen zeitlichen Auflösung neuronaler Prozesse korrelliert. Für eine relative zeitliche Auflösung von z.B. 8 µs braucht es aber beileibe keine analoge Bandbreite von 44 kHz. Die von Stuart erwähnte neuronale Informationsverarbeitung hat nirgends diese Bandbreite, nicht einmal annähernd. Die Wiederholung der Falschinformation wirkt insbesondere deswegen ziemlich übel, weil er noch meint mit den "modernen Einsichten" der Psychophysik argumentieren zu müssen. Die ganze Begründung, warum man so eine hohe Bandbreite brauchen soll, ist ein Fehlschluss, der anscheinend nicht oft genug widerlegt werden kann, er wird einfach immer wieder wiederholt.

In der weiteren Folge postuliert Stuart eine "Selbstähnlichkeit" von Schallereignissen, die man ausnutzen könne, was er alternativ eine "endliche Neuerungsrate" nennt. Er versäumt es, zu erklären warum das nicht in direktem Widerspruch zu dem steht, was Audiophile gern mit dem Begriff "Impuls" bezeichnen. Mir scheint das geradewegs die Antithese dazu zu sein. Der Impuls ist schließlich gerade dadurch gekennzeichnet, daß er spontan und nicht vorhersehbar auftritt, so daß dessen Neuerungsrate eben gerade nicht begrenzt ist. Man sieht daß Stuart zwischen diffusen audiophilen Termini auf der einen Seite, und wissenschaftlichen Begriffen auf der anderen Seite, hin- und her schwankt, ohne für dabei auftretende Widersprüche empfindlich zu sein. Das ist für Pseudowissenschaft nicht untypisch.

Es geht so weiter, aber dabei will ich es mal bewenden lassen. Stuart agiert und argumentiert geschickt, und er versteht die Marktmechanismen. Ob das zum Erfolg reicht bleibt aber fraglich. Ich hoffe darauf, daß die große Mehrheit der Verbraucher abgebrüht genug ist, um ihm nicht auf den Leim zu gehen.

Nachtrag mit Links auf interessante Seiten zu MQA (auf Englisch):
Diskussion auf Hydrogenaudio
Archimago's Untersuchungen
Auf youtube gibt's zu MQA jede Menge Promomaterial, meist von dubioser bis nicht vorhandener Seriosität oder Informativität.

2 Kommentare :

Michaela hat gesagt…

Hallo und vielen Dank für die Hifi Erklärungen, die auch eine Normalstreblicher verstehen kann. Ich besitze zwar kein Meridian Audio, finde die Technik aber trotzdem sehr interessant. In Zeiten von Streaming setzt ja eine Großzahl der Konsumenten eher nicht auf Hifi und eher auf MP3 und FLAC, da sehe mit Spannung der Weiterentwicklung bei den Dateiformaten entgegen.

Frank hat gesagt…

Und wo liegt das Problem bei FLAC?