Dienstag, 15. April 2008

Anleitung zum Lächerlichsein.

Aus dem verblichenen Blog des Hifi-Forum.

Nun ist zwar Paul Watzlawick leider schon tot, aber die Vielen, die seinen kleinen Leitfaden "Anleitung zum Unglücklichsein" gelesen haben, werden sich noch immer gerne daran erinnern. Im selben Geiste praktischer Lebenshilfe, wenngleich mit geringeren Fähigkeiten ausgestattet, will ich es versuchen dem geneigten Leser die hohe Kunst des sich Lächerlichmachens näher zu bringen. Um im Sinne Watzlawicks zu sprechen: Wie in allen anderen Sparten des modernen Lebens ist auch hier staatliche Lenkung vonnöten. Lächerlich sein kann jeder; sich lächerlich machen aber will gelernt sein, dazu reicht etwas Erfahrung mit persönlichen Fehltritten nicht aus.

Ich hätte diesen kleinen Leitfaden nicht schreiben können ohne die großen Vorbilder, deren Meisterschaft im sich Lächerlichmachen ich in den letzten paar Jahren im Hifi-Forum bewundern durfte. Ihnen gehört mein besonderer Dank. Ich hoffe auch der geneigte Leser dieser Zeilen findet in ihren Texten eine Inspiration. Es ist ehrenvoll, von den Besten einer Disziplin lernen zu dürfen.

Wie auch Watzlawick will ich aber gleich zu Beginn darauf hinweisen, daß "meine Ausführungen nicht als erschöpfende und vollständige Aufzählung betrachtet werden" dürfen, "sondern nur als Leitfaden oder Wegweiser, der es den begabteren unter meinen Lesern ermöglichen wird, ihren eigenen Stil zu entwickeln."

Der Schlüssel zur Lächerlichkeit liegt gemeinhin darin, etwas partout nicht zu sehen was für alle Anderen offensichtlich ist. Je ernsthafter und ehrlicher man diese partielle Blindheit zur Schau stellen kann, desto überzeugender macht man sich lächerlich.

Wer kennt nicht Loriot's Nudel-Sketch, in dem der Hauptdarsteller derart von seiner Absicht, eine Frau anzubaggern, eingenommen ist, daß er keinerlei Notiz von einer Nudel in seinem Gesicht nimmt, die seinen Plan ad absurdum führt?

Man erkennt da auch gleich, wie fließend der Übergang von der Lächerlichkeit zur Tragik ist. Die Beiden sind gewissermaßen Zwillinge, sie sind eigentlich dasselbe, nur aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

Wie kann man so etwas planmäßig herbeiführen?

Zunächst braucht man eine stillschweigende Annahme, oder eine Kombination solcher Annahmen, die einem so in Fleisch und Blut übergehen muß daß sie selbstverständlich erscheint. So selbstverständlich daß man vergißt daß es eigentlich nur Annahmen sind, dazu noch recht willkürliche. Dabei hilft es beträchtlich wenn es wünschenswerte Annahmen sind.

Beispielsweise könnte man annehmen, einen Adonis-Körper zu haben, eine hohe Intelligenz, oder ein unbestechliches Gehör. Da solche Annahmen schmeichelhaft sind, wird man es besonders leicht fertig bringen, sie als selbstverständlich vorauszusetzen.

Damit wird sich automatisch jedermann, der Zweifel daran erkennen läßt, in die Nähe von böswilligen oder sonstwie defizitären Charaktern bringen. Die Weichen zum Konflikt sind gestellt, in dem man nur schlecht aussehen kann – gute Voraussetzungen für Lächerlichkeit wie für Tragik.

Um die stillschweigende und willkürliche Annahme zu stützen und zu schützen gegen die Anfechtungen der Logik und des gesunden Menschenverstandes, wird es nötig sein, zu Zirkelschlüssen zu greifen. Auch hier ist es am besten wenn der volle Umfang des Zirkels dem Bewußtsein verborgen gehalten wird. Wenn der Zirkel nur groß genug ist wird einem jedes gleichzeitig sichtbare Einzelstück perfekt gerade vorkommen, und vor so viel Distanz daß die Krümmung auffällig wird hüte man sich.

Ein Beispiel aus dem Hifi-Bereich soll das illustrieren:

Als willkürliche und stillschweigende Annahmen nehmen wir:
1. Ich habe ein besonders feines und unbestechliches Gehör
2. Meine Anlage ist von herausragender Qualität
3. Die Wissenschaft und Technik ist vom vollen Verständnis noch weit entfernt
4. Wirklicher Fortschritt wird von Außenseitern erreicht

Selbst (oder gerade weil) in jedem dieser Sätze ein Körnchen Wahrheit stecken mag, so läßt sich daraus doch ein perfekt absurdes und wirklichkeitsfernes, jedoch durch Zirkelschlüsse innerlich abgesichertes Gedankengespinst herstellen.

Zunächst ist festzustellen daß jeder Satz unserem Helden potentiell schmeichelt. Die ersten beiden offener, die anderen subtiler. Der dritte Satz z.B. wird besonders demjenigen schmeicheln, der von der Wissenschaft nicht so viel versteht, und das dürften die Meisten sein: „Seht her, die Wissenschaftler kapieren’s ja selber nicht!“ Und im vierten Satz kann man mit dem Underdog sympathisieren.

Der Zirkelschluß geht nun zusammengefaßt so:

Ich höre Effekte die nach gängiger Lehrmeinung nicht sein können. Angesichts der Qualität meines Gehörs und meiner Anlage und weil ich die Effekte reproduzierbar höre kann an deren Realität kein Zweifel bestehen. Das unterstreicht und bestätigt was ich über die Unfähigkeit der Wissenschaft und die Mangelhaftigkeit der „gängigen Lehrmeinung“ sowieso schon wußte, und die Tatsache daß ich es gerade mit meiner Außenseiteranlage feststelle zeigt, daß spezielle Köpfe in speziellen Firmen nötig sind, um darüber hinaus zu wachsen.

So stützen sich die willkürlichen Annahmen gegenseitig, und daß die ganze Konstruktion in der Luft hängt fällt um so weniger auf. Von außen sieht das aber ganz anders aus:

Die gehörten Effekte können natürlich eingebildet sein, was gerade auch durch die aus den stillschweigenden Annahmen gespeiste Erwartungshaltung noch gefördert wird. Oder die gehörten Effekte entspringen nicht einer besonders hochwertigen, sondern einer besonders problematisch konstruierten Anlage, was mit deren Preis oder der Frontplattendicke nichts zu tun zu haben braucht. Mithin wären die Effekte ohne weiteres durch die gängige Lehrmeinung erklärbar, wenn man sich der Mühe unterzöge der Ursache auf den Grund zu gehen. Das Verständnis der Wissenschaft wäre dafür völlig ausreichend, und für die Ansicht von Außenseitern gäbe es keinen Bedarf. Daneben kann man wohl sagen daß die meisten Außenseiter keineswegs zum Fortschritt beitragen, sondern schlicht scheitern.

Besonders schön und für die Herbeiführung von Lächerlichkeit ideal ist, daß es aus der Perspektive von beiden Seiten jeweils so aussieht, als habe die gegenüberliegende Seite ein stark verengtes Blickfeld. Um die altbekannte biblische Metapher zu bemühen: Es werden jede Menge Splitter im Auge des Gegenüber diagnostiziert, ohne daß man sich um die Balken im eigenen Auge kümmern würde.

Wenn die freischwebende Konstruktion aus Annahmen und Zirkelschlüssen so kompliziert wäre daß sie auch von Außenstehenden nicht durchschaut wird, dann ist der Lächerlichkeitseffekt dahin. In der Tat halten einige besonders geistreiche Zeitgenossen den ganzen Wissenschaftsbetrieb für eine solche gigantische Luftnummer, bloß haben sie selbst nichts besseres anzubieten und sehen mühelos über dessen Erkenntniserfolge hinweg, was dann schon wieder einen Hang zum Monströsen und damit Lächerlichen hat. Für den weniger ambitionierten Lächerlichkeitsaspiranten empfiehlt es sich aber, das Gedankengebäude nicht allzu kompliziert werden zu lassen. Es muß für genügend Außenstehende noch erkennbar sein daß das Ganze komplett gaga ist.

Beim Hifi-Voodooismus ist diese Bedingung in exemplarischer Weise erfüllt. Selbst Leute die den darin liegenden Zirkelschluß nicht unmittelbar überblicken merken doch oft, zu welch absurden Auswüchsen diese Denkweise führt. Welche spezifischen Blindheiten und Denkhemmungen dafür gepflegt werden. Wie grotesk es ist daß die davon Befallenen nicht dahinter kommen. Auf welche hirnrissigen Argumente sie kommen um diese Erkenntnis zu vermeiden. Mit einem Wort: Wie lächerlich das alles ist.

In der Tat muß man zu abstrusen, der Logik Hohn sprechenden Argumenten greifen, um solche Gedankenkonstruktionen zu verteidigen, und auch da wiederholen sich immer wieder die gleichen von der eristischen Dialektik inspirierten Muster, deren Beherrschung einem zu großer Meisterschaft bei der Erzeugung von Lächerlichkeit verhelfen kann. Ich kann hier nur exemplarisch ein paar wichtige herausgreifen:

1. Die Steigerung ins Absurde.
Wenn jemand behauptet, der Wissenschaft seien die fraglichen Phänomene längst vertraut, dann erklärt man einfach, das sei gleichbedeutend mit dem Ende aller Wissenschaft. Wenn jemand behauptet, er könne ein Phänomen durchaus erklären, dann stelle man ihn als jemand hin der sich für allwissend hält. Sich selber kann man damit vormachen, der Gegenüber sei ein wenig naïv und würde die wahre Dimension des Problems unterschätzen, dem Außenstehenden gegenüber wirkt man aber wie jemand der jedes vernünftige Maß aus den Augen verloren hat und seine Zuflucht in theatralischen Übertreibungen sucht.

2. Das Persönlichnehmen
Wenn jemand Zweifel erkennen läßt, daß die geschilderten Hörerlebnisse real sind, dann muß man das natürlich persönlich nehmen, denn eine bessere Gelegenheit gibt es kaum, sich besonders authentisch der Lächerlichkeit preiszugeben. Diese Zweifel beinhalten schließlich einen direkten Angriff auf die grundlegenden willkürlichen Annahmen, was man keinesfalls durchgehen lassen kann. Außerdem kann man als Gekränkter immer Sympathie beanspruchen. Die Begabtesten schaffen das in einem Ton, der an die Beteuerung Erich Mielkes erinnert, er liebe doch alle.

3. Die Selbstüberhöhung
Das ist das Verhalten eines Halbstarken, der größer zu wirken trachtet als er ist. Dieses Verhalten ist immer deutlich demonstrativ, sei es daß man demonstriert daß einem die anderen zu profan/vulgär/unkultiviert sind, oder daß man selbst auf mysteriöse und wenig faßbare Weise „schon weiter“ sei, also daß die anderen (noch) nicht mitreden können. Daß man es nicht wirklich nötig habe sich auf deren Niveau herabzulassen. Daß man „es draufhat“ und andere eben nicht. Das wäre für sich gesehen schon provokativ und destruktiv genug, doch wenn man das kombinieren kann mit dem Durchscheinen von eigener Ahnungslosigkeit oder Unfähigkeit, dann ist die Lächerlichkeit die automatische Folge. Dazu braucht man nur konsequent vermeiden, seine eigene Kompetenz jemals unter Beweis zu stellen, denn irgendwann dämmert es den Meisten, daß es hinter der Fassade hohl ist.

4. Das Avantgarde-Denken
Das ist sozusagen die kollektive Spielart des vorigen Punktes, also Selbstüberhöhung im Plural. Sich selbst als Mitglied einer Elite darzustellen, die vorweg nimmt, was die Masse erst noch erreichen muß (falls das jemals so weit kommt). Die besseren Hörer, die das „Hobby Hifi“ richtig verstehen bzw. leben. Denen es kompromißlos und rastlos um die Musik und den optimalen Klang geht. Die sich in den Dienst der Perfektion stellen, und sich ausschließlich ihrem eigenen Gehör unterwerfen. Die glauben mit ihrem Gehör schon erreicht zu haben was die Wissenschaft erst noch mühsam erreichen muß (siehe Annahme 3). Die Lächerlichkeit steht einem da unmittelbar vor Augen: Hier die tumben, gefühllosen Wissenschaftler, die sich mit dem Rechenschieber abmühen, zu begreifen was ein großartiger Klang ist. Dort die Genies der Intuition, die den großartigen Klang ganzheitlich in einem Zug aufnehmen und erfassen! Subjektiv und doch ungleich stimmiger als es jede Formelsammlung erfassen könnte! So grandios! So lächerlich!

5. Die Ignoranz
Für jedes Denksystem, ob es nun auf gute Gründe aufbaut oder auf Luftnummern, gibt es einige Fragen oder Argumente, die an den Kern rühren und das Potential haben, das Ganze zu Fall zu bringen. Im besten Fall führen sie zu vertieftem Verständnis, und zu einer Verbesserung des Denksystems, und dann geht das Denksystem daraus gestärkt hervor. Bei einem freischwebenden System wie es uns hier interessiert ist das eher unwahrscheinlich, die „kritischen“ Fragen müssen daher gekonnt umschifft werden. Hier verbirgt sich ebenfalls Lächerlichkeitspotential, denn falls jemand solche Fragen aufwirft kommt man unweigerlich in eine schwierige Situation. Man kann die Fragen hartnäckig ignorieren, sie hartnäckig mißverstehen, auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen, oder manchmal sogar den Spieß rumdrehen, Hauptsache man vermeidet die Beantwortung der Frage, die das Denksystem unterminieren könnte. Das merkt der Außenstehende und findet es zunehmend befremdlich. Um das zu verstärken kann man eine gewisse Begriffsstutzigkeit offen zur Schau stellen, so als wollte man sagen: Wenn ich die Frage nicht kapiere kann sie ja wohl keiner kapieren, das Problem muß also wohl bei Dir liegen. Wenn die Frage aber in Wirklichkeit ganz gut zu kapieren ist, dann ist das Ziel der Lächerlichkeit erreicht.

Allgemein laufen viele Kniffe darauf hinaus, ein schwaches bis dämliches Argument so vorzubringen, als wäre man völlig davon überzeugt, einen Trumpf ausgespielt zu haben. Angesichts des Rohrkrepierers sollte man sich dann in die Pose des verkannten und mißhandelten Opfers begeben, dem völlig unverdient übel mitgespielt wurde. Je theatralischer je besser. Eine eingestreute Verschwörungstheorie kann auch nicht schaden.

Schließlich, zwar zuletzt aber ganz wichtig: Man schließe sich einer Gruppe an. Kaum jemand hält es durch, sich als Einzelgänger gegen alle Anfechtungen der Vernunft zur Wehr zu setzen. Nur in der Gruppe findet man den Rückhalt, der jeden Unsinn zu Sinn werden läßt. Watzlawick weist zurecht auf Nietzsche hin, der behauptete, Wahnsinn bei Individuen sei selten, bei Gruppen, Nationen und Epochen aber die Regel. Kaum ein Individuum bringt es fertig, solch groteske, absurde und lächerliche Ansichten zu vertreten und Handlungen zu begehen, wie es in einer Gruppe von Gleichgesinnten öfter vorkommt. Nur in der Gruppe finden die besonders Berufenen den Raum, um den Blödsinn auf die Spitze zu treiben.

Ein letztes leicht angepaßtes Watzlawick-Zitat sei dem Leser, der es bis hierhin geschafft hat, auf den Weg gegeben, mit dem Wunsch daß ihm die angestrebte Lächerlichkeit gelingen möge: „Man nehme, allen Gegenbeweisen zum Trotz, schlicht an, die eigene Ansicht sei unter allen Umständen selbstverständlich und normal. Damit wird jede andere Ansicht zum selben Thema verrückt oder zumindest dumm.“

1 Kommentar :

marteau hat gesagt…

Glückwunsch. Die Genealogie der HiFi-Moral. Inhaltlich einsam, umso bemerkenswerter. Weiter so.

Gruß,

marteau