Aus dem verblichenen Blog des Hifi-Forum
Wie man weiß finde ich Blindtests interessant. Schon allein weil dabei regelmäßig Leute desillusioniert werden. Ich habe daher mit Interesse verfolgt wie sich ein Verstärker-Blindtest, den der Betreiber des österreichischen Hifi-Forums, David Messinger, kürzlich veranstaltet hat, so entwickelt. Der Mann hat ja inzwischen mit dem Durchführen von solchen Blindtests einige Erfahrung, und auch mit der Diskussion derselben in den einschlägigen Diskussionsforen. Das ist für einen Zyniker und Satiriker eigentlich immer ein gefundenes Fressen. Das heißt, eigentlich auch wieder nicht, denn es ist der Satire oft schon genug wenn man einfach die Diskussionen mitliest, man hat da als Lästermaul eigentlich gar nicht viel zu tun.
Doch fangen wir am Anfang an.
Verstärker sollen, der Hifi-Idee folgend, eigentlich klangneutral sein. Das heißt sie sollten zum abgespielten Klang nichts hinzutun und nichts wegnehmen. Das Ideal ist der sprichwörtliche Draht mit Verstärkung (das gilt nicht für alle Verstärker, das will ich gleich dazusagen - manche wollen gar kein Hifi, sondern möglichst schöne Verzerrungen). Wenn man also Verstärker beurteilt, dann sollte man eigentlich untersuchen wie nahe sie diesem Ideal in der Praxis kommen. Derjenige, der ihm näher kommt, ist der bessere.
Das kann man auf prinzipiell zwei verschiedene Arten tun. Man kann versuchen, die Abweichungen vom Original zu messen, oder man kann versuchen, den Geräten bei der Arbeit zuzuhören und so die Abweichungen herauszuhören. Erstere Methode ist relativ einfach, vorausgesetzt man weiß was man alles nachmessen muß und ebenfalls vorausgesetzt man hat die dafür nötige Ausrüstung. Das Problem ist, woher weiß man ob man alles Wichtige gemessen hat? Zweitere Methode ist auch ziemlich einfach, vorausgesetzt man hat die geeigneten Hörfähigkeiten und Umgebungsbedingungen. Das Problem ist, wie stelle ich sicher daß ich mich nicht irre, denn der Mensch ist bekannt dafür was er so imstande ist sich alles einzubilden, und man will ja nicht die Einbildungskraft eines Hörers testen, sondern die Fähigkeiten des Verstärkers. In der Praxis macht man daher beides, der "Laie" ist mangels Ausrüstung aber auf die zweite Möglichkeit beschränkt.
Jetzt werden elektronische Verstärker für Audio bekanntlich seit ziemlich genau 100 Jahren gebaut. Vielleicht ist es nur wenigen aufgefallen, aber dieses Jahr ist der 100. Geburtstag der Triode, also des ersten vernünftigen elektronischen Verstärkerbauteils, das noch immer nicht ganz in Rente gegangen ist und in Hifi-Kreisen sogar eine gewisse Renaissance durchlebt. Zugegeben, die ersten Bemühungen haben nicht unbedingt das Hifi-Prädikat verdient, aber man kann doch sagen daß ab etwa dem Ende des zweiten Weltkrieges Verstärker gebaut wurden, deren Qualität diesem Ziel schon recht nahe kam. Seither sind noch einmal 60 Jahre vergangen, in deren Verlauf der Transistor aufkam, und die integrierten Schaltkreise, und stark verbesserte Meßgeräte obendrein. Angesichts dieser Lage würde sogar ein Gehörloser erwarten, daß mittlerweile die Entwicklung von Verstärkern einen solchen Perfektionsgrad erreicht hat, daß es ausgesprochen schwer fallen sollte, sie per Gehör voneinander zu unterscheiden, solange bei ihrer Entwicklung die Hifi-Kriterien gebührend berücksichtigt wurden. Gerade auch wegen der rasanten Entwicklung in der ganzen Elektronik.
Mit einem Wort, man sollte erwarten daß es die Regel sein müßte, daß zwei Verstärker gleich klingen, und die Ausnahme daß man sie unterscheiden kann. Noch am ehesten, so würde man denken, wären Unterschiede zu erwarten, wenn man die Geräte an die Grenzen ihrer Möglichkeiten treibt, denn dort würden die Unterschiede noch am deutlichsten zutage treten. Daß diese Grenzen sehr unterschiedlich gesteckt sein können sollte sich von selbst verstehen, angesichts der Unterschiede zwischen den verschiedenen zu versorgenden Lautsprechern und Räumen. Mithin würden die Unterschiede zwischen den verschiedenen Verstärkern nicht im Klang liegen, sondern in den Grenzen bis zu denen sie diesen (neutralen) Klang aufrechterhalten können.
Das wäre die aus nüchternen Überlegungen gespeiste Erwartungshaltung, nicht wahr?
Warum wundern sich dann sehr viele Leute wenn genau dieses zu erwartende Ergebnis bei einem Test wie dem oben erwähnten rauskommt? Man müßte doch sagen: Prima, der Test bestätigt die Überlegungen des gesunden Menschenverstandes perfekt!
Das Gegenteil ist der Fall, siehe hier und hier, man überlegt sich allenthalben, was denn am Test faul sein könnte, daß ein solches Ergebnis herauskommen konnte. Viele Leute "wissen" irgendwie daß zwei Verstärker sich überhaupt nicht gleich anhören können, besonders wenn sie zu stark unterschiedlichen Preisen verkauft werden. Die Logik geht dann andersrum: Ich weiß daß sich die Verstärker unterschiedlich anhören müssen, wenn das in einem Test nicht so festgestellt wird dann kann folglich mit dem Test etwas nicht stimmen. QED
Das Eine, was man anscheinend nicht fertigbringt, ist das kritische Hinterfragen der Prämisse: "Alle Verstärker klingen unterschiedlich". Diese Prämisse wird derart mit Zähnen und Klauen verteidigt, daß die Sammlung von vorgebrachten Argumenten dafür ein gefundenes Fressen für Zyniker und Kulturpessimisten ist. Da ist wirklich nichts zu blöd. Kostproben gefällig?
- Ihr behauptet also alle Verstärker klingen gleich!
- Wieso werden dann überhaupt noch unterschiedliche Verstärker gebaut?
- Ihr hört wohl zu schlecht! Ich höre so was locker!
- Ihr macht ja bloß unser Hobby kaputt!
Obwohl meiner ehrlichen Meinung nach solche Argumente wie die obigen schon von mäßig intelligenten Leuten als völlig abwegig erkannt werden müßten, werden sie immer wieder vorgebracht, und zwar von Leuten die oft sehr empfindlich reagieren wenn sie das Gefühl haben man würde sie nicht ganz ernst nehmen. Leider reicht meine Fähigkeit zur Heuchelei nicht, um solchen Leuten erfolgreich vormachen zu können, ich würde sie ernst nehmen, drum gibt's immer wieder Streit.
Nicht alle Argumente sind allerdings derart trüb, das sei der Gerechtigkeit halber gleich dazugesagt. Es sollte aber doch klar sein, daß in dem Moment in dem man die eigentlich völlig selbstverständliche Aussage akzeptiert, daß sich Verstärker durchaus gleich anhören können, mit einem Schlag das Testergebnis völlig akzeptabel wird und es keinerlei Grund gibt, den Test selbst, die Motivation der Veranstalter, oder Schlimmeres in Zweifel zu ziehen. Das Akzeptieren dieser Selbstverständlickeit bedeutet schließlich nicht, daß alle Verstärker gleich klingen, oder daß irgendeinem Verstärker die Existenzberechtigung genommen wird, oder Ähnliches. Es bedeutet ebensowenig daß man die durchgeführten Tests für perfekt und nicht mehr verbesserungswürdig zu finden hätte.
Woher also die Verbissenheit? Es darf trefflich spekuliert werden. Hier ein paar von meinen Ansätzen:
- Die Leute sind von den Hifi-Blättchen indoktriniert. Für eine Zeitschrift ist es natürlich ein Unding wenn zwei Prüflinge gleich sind. Das kann man unmöglich schreiben, irgendeinen Unterschied muß man sich aus den Fingern saugen, und wenn man ihn frei erfindet. Überleg mal, wie wäre das wenn man bei einem Verstärkertest lesen würde: "Fünf der sechs Geräte sind bei gehobener Zimmerlautstärke nicht zu unterscheiden, nur das sechste klingt an der schwierigen Testbox XYZ etwas sumpfig im Baß". Na, klingelts?
- Die Leute haben zum Teil über Jahrzehnte Geräte vergleichsgehört, ohne sich um solche Dinge wie präzisen Pegelausgleich oder glaubwürdige Verblindung zu scheren, im Glauben ihr feines Gehör könnte das schon von selber auflösen. Und haben natürlich Unterschiede gehört. Man hört immer Unterschiede, wenn man sich nur lange genug dafür Zeit läßt. Sogar wenn's definitiv keine Unterschiede gibt hört man sie. So wächst eine Überzeugung die man nicht so einfach wieder fallen lassen kann, besonders wenn sie dem Ego schmeichelt.
- Die Leute verallgemeinern ihre Erfahrungen unzulässig. Sie haben fünf unterschiedliche Verstärker gehört und schließen daraus es müßten alle Verstärker unterschiedlich sein. Oder sie stellen einen Klangunterschied zwischen zwei Kabeln fest und meinen dann die Klangeffekte seien den Kabeln zuzuschreiben.
- Die Leute wollen ungestört aufschneiden können. Welcher Hobbykapitän möchte schon sein Seemansgarn von irgendeinem Schlaumeier in Zweifel gezogen haben? "Ich habe den Klabautermann mit eigenen Augen gesehen und da interessiert mich einen Scheiß ob Du behauptest den gibt's nicht, Du elende Landratte, fahr Du erst mal richtig zur See!"
- Halbwissen überschätzt sich fast immer.
So können wir also mit verstärkter Verwunderung beobachten wie ein eigentlich unaufregendes Testergebnis manche Leute zu Höchstleistungen dabei aufstachelt, Gründe zu suchen warum sie das Testergebnis nicht ernstzunehmen brauchen. Und wir wissen daß es dann beim nächsten Test wieder ebenso gehen wird. Auch wenn er "verfeinert" werden sollte, als Ergebnis der laufenden Diskussionen, wird - so prognostiziere ich - kein prinzipiell anderes Ergebnis herauskommen. Warum auch? Schließlich kennen wir das Spielchen seit mittlerweile 3 Jahrzehnten, und nicht alle Blindtests wurden in dieser Zeit von amateurhaften Dilettanten durchgeführt.
Wenn man mich fragen würde wo ich die größeren Dilettanten am Werk sehe...
Aber lassen wir das.
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